Dorfkneipe – Historie mit Charme Wohnkultur | 26.02.2025 | David Pister

In den 50er-Jahren ging das letzte Bier über die Theke des Goldenen Sterns in Rheinau-Freistett. Bierzapfsäule, Tresen und Spülbecken sind zwar noch da – das Gasthaus aber hat sich in ein Wohnhaus verwandelt. Katja May hat der 1892 erbauten Dorfkneipe neues Leben eingehaucht und sie aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
May liebt alte Gebäude. Die Schweizerin sagt über sich selbst, sie habe ein gutes Auge für Schönheit. Als sie 1999 mit zwei Kindern, zwei Hunden und einem großen Auto nach Südbaden zieht, ist sie begeistert von den alten Schwarzwaldhöfen. Mit ihrem Familienbetrieb Historicusbau spezialisiert sie sich schnell auf die Herrichtung denkmalgeschützter Gebäude. In der alten Dorfkneipe „Gasthaus zum goldenen Stern“ hat May auch selbst ein Wohnbüro gefunden.
„Ich bin mit dem Hund am Goldenen Stern vorbeigegangen. Das sah so verloddert und verwahrlost aus. Was könnte man alles daraus machen“, denkt sich May 2016, als sie das alte Haus zum ersten Mal wahrnimmt. Die Leute sagten zu ihr, sie solle das Gebäude am besten abreißen lassen. Aber May ließ sich nicht beirren. Obwohl das Gasthaus wirklich traurig aussah: geschlossene Läden, von NATO-Draht umgeben, mit Efeu überwuchert. Nach dem Kauf übernachtet May alleine im Goldenen Stern – nur mit Schlafsack bewaffnet. „Ich musste das Haus spüren. Was ging hier früher ab? Die erste Nacht war mega positiv. Ich habe mich nicht einmal gegruselt“, sagt May.

Da wo einst getanzt, gelacht und geweint wurde, wohnt Katja May: in einer Dorfkneipe aus dem 19. Jahrhundert.
Im Gasthaus und in den anliegenden Wirtschaftsgebäuden sind insgesamt acht Wohnungen entstanden. Seit 2019 wohnt May im Goldenen Stern. 50 Jahre stand das Gebäude leer. Davor wurde das Gasthaus unterschiedlich genutzt: von der Volksbank, von einem Kfz-Teile-Handel und einem Architekten.
Die Freistetter – anfangs skeptisch – waren schnell begeistert von Mays Projekt. Am Tag der offenen Tür seien 300 Menschen gekommen. Beim Richtfest – als die erste Wohnung fertig war – sogar doppelt so viele. „Ich habe viele Komplimente bekommen. Mir wurde viel Freude entgegengebracht. Auch für mich ist es herzerwärmend, dass der Stern wieder aufblüht“, sagt May.
Für Freistett ist der Goldene Stern eine wichtige Immobilie. „Ich habe versucht, die Historie des Hauses herauszukitzeln“, so May. Viel hat sie erhalten: den Kühlschrank, der mit Eis betrieben wurde, eine Zeichnung wohl aus der Jahrhundertwende, ein Stück Original-Wand hinter einem Glas. Hier wurden durstige Reisende versorgt, getanzt und gefeiert. Wenn May am Tresen steht, meint sie das Leben von damals zu spüren.