H2 ohne O: Wasserstoff im Fokus business im Breisgau | 22.03.2020 | Liliane Herzberg

Wasserstoff – die große Hoffnung für die Erreichung der Klimaziele und die Energiewende. Gleichzeitig ist das chemische Element aber auch Teil einer kontroversen Diskussion. Denn die Nutzung des grünen Wasserstoffs steckt noch in den Kinderschuhen, bedarf weiterer Forschung, ist teuer und zugleich wenig nachgefragt. Südbadische Unternehmen wollen trotzdem darauf setzen und sind bereit, die neue Technik anzuwenden.

Wasserstoff ist nicht nur das leichteste Gas der Welt, sondern auch ein sehr kontaktfreudiger Kumpan: Er geht mit den meisten anderen Elementen gerne chemische Verbindungen ein – und ist auf der Erde übrigens in sehr großen Mengen vorhanden. Als Grundbaustein gasförmiger und flüssiger Energieträger wird er hoch gehandelt, denn er ist vielerorts einsetzbar – etwa als Kraftstoff für Fahrzeuge. Entscheidend ist, dass der Prozess der Erstellung auf Basis erneuerbarer Energien stattfindet, denn nur dann verheißt er sauberere, emissionsfreiere Energie.

Dass Wasserstoff sehr großes Potenzial hat, weiß der südbadische Energiedienstleister Badenova AG schon länger. Erneuerbarer Strom sei im Sommer im Überfluss vorhanden, bisher für den Winter aber schwer speicherbar, erklärt Peter Majer, der Leiter des Bereichs Innovation. „Wir können uns aber den chemischen Speichervorgang von der Natur abschauen und auf Wasserstoff setzen.“ Die Erdgasleitungen der Badenova werden bereits wasserstofffest gemacht. Außerdem hätte das Unternehmen schon vor sechs Jahren eine Elektrolyseanlage in Frankfurt und gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und der Hochschule Offenburg in Freiburg gebaut. Das Problem sei aber der erneuerbare Strom: „Wir kämpfen in der Gegend um Photovoltaikanlagen und Windkraftwerke. Die Wasserstoff-Technik beherrschen wir bereits, aber uns fehlt der erneuerbare Strom, um grünen Wasserstoff herzustellen. Bisher arbeiten wir nur mit fossilem Wasserstoff, und das würden wir gerne ändern.“

Brandaktuell ist außerdem der Beschluss einer neuen Wasserstoff-Tankstelle für Freiburg, da die Stadt den ersten H2-Booster gewonnen hat. Der Booster ist eine Aktion der H2-Mobility, die aus Gesellschaftern wie Shell, OMV oder Daimler besteht und verantwortlich für den flächendeckenden Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur ist. Für Freiburg fehlt aber noch der Beschluss für einen Standort.

Um die Zukunftsfähigkeit und Herstellung des Elements unter realen Bedingungen und im industriellen Maßstab zu erproben, hat das Bundeswirtschaftsministerium den „Ideenwettbewerb Reallabore der Energiewende“ ausgelobt. Dessen 20 Gewinnern stehen jährlich 100 Millionen Euro zur Verfügung. Einer der Gewinner ist die Energiedienst Holding AG mit dem in Grenzach-Wyhlen stehenden „Reallabor H2-Wyhlen“. Die Anlage produziert durch die sogenannte Elektrolyse Wasserstoff. „Sie spaltet Wasser mittels eigenen Ökostroms aus unserem Wasserwerk in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff“, erklärt André Büssers von der Unternehmenskommunikation bei Energiedienst. Der Wasserstoff werde anschließend in großen Tanks gespeichert, von LKWs abgeholt und in die heimische Industrie gebracht.

Die Anlage gelte als Vorreiterin, sobald die Zusage für die Fördergelder da sei, wolle Energiedienst die regionale Industrie noch mehr speisen, teilweise den örtlichen Nahverkehr damit betreiben und die Abwärme, die bei der Produktion sowie den Wasserwerken entsteht, als Nahwärme nutzen, um 900 Wohneinheiten in Grenzach-Wyhlen zu versorgen.

Die Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff sind vielfältig. Da das chemische Element auch ein flüssiger Energieträger sein kann, können fossile Energien wie Erdgas, Erdöl und Kohle durch gasförmige Stoffe wie etwa Wasserstoff, synthetisches Methan oder synthetischen Flüssigkraftstoff ersetzt werden. Wasserstoff wäre in diesem Fall ein Zwischenprodukt. Wie das funktionieren kann, erklärt Christopher Hebling, Bereichsleiter Wasserstofftechnologien am Freiburger ISE: „Man kann heutzutage das vielerorts anfallende Abfallprodukt CO2 abseparieren. Wenn man beispielsweise dem CO2 grünen Wasserstoff hinzufügt, entsteht Methanol, das transportierfähig ist und etwa als Schiffsantrieb genutzt werden kann.“

Im Wasserstoff liegt die Zukunft, dennoch muss immer genau abgewogen werden, wo der Einsatz sinnvoll ist und wo nicht. „Im Sektor Mobilität ist der Einsatz bei Flugzeugen, Schiffen, Langstrecken-Lastkraftwagen, dem Schienenverkehr und Grundchemikalien sinnvoll“, betont Ingo Krossing, Leiter des Lehrstuhls für Molekül- und Koordinationschemie der Universität Freiburg. Aber es sei immer alles eine Frage der Evaluation, so müssten Lebenszyklusanalysen durchgeführt werden, um bewusst abwägen zu können.

„Wasserstoff hat eine Achilllesferse“

Hebling führt auf, warum die Entscheidung nicht schwarz-weiß ist: „Wenn man einen dieselbetriebenen, einen batteriebetriebenen und einen wasserstoffbetriebenen Kleinwagen in seinem Gesamtzyklus über 200.000 Kilometer hinweg analysiert, sieht man, dass ein Diesel mit einem Anfangswert von zehn Tonnen CO2 startet. Ein batteriebetriebenes Auto hingegen startet mit 23 Tonnen CO2. Fährt Letzteres nun ausschließlich mit grünem Strom, ist der Kreuzungspunkt beider Fahrzeuge bei circa 100.000 Kilometern. Erst ab da besteht bei dem batteriebetriebenen ein Emissionsvorteil.“ Ein Wasserstoff-Wagen starte mit etwa 15 Tonnen CO2 und sei auf 200.000 Kilometer betrachtet besser als beide.

Bei allen Vorteilen gebe es laut Hebling dennoch auch viele Nachteile und Interessen, die es zu berücksichtigen gelte. Aus diesem Grund sei auch eine nationale Wasserstoffstrategie noch nicht beschlossen. „Wasserstoff hat eine Achillesferse. Wir müssen alles für grünen Wasserstoff tun, sonst erreichen wir die Klimaziele nicht. Dass über 50 Prozent des Wasserstoffs und seine Folgeprodukte importiert werden müssen, ist nicht verwerflich, sondern notwendig.“

Außerdem sei der Energieverlust bei der Produktion des chemischen Elements aktuell sehr hoch, so Büssers. Hier sei noch viel Forschung und Verbesserung nötig, ebenso sei der Wasserstoff der Elektrolyse teuer, hier müsse das Ziel der Politik sein, diesen durch Massenproduktion billiger zu machen. Majer sieht das ähnlich: „Wasserstoff ist eine wunderschöne Brücke zwischen den Welten Gas und Strom. Aber dieser Übergang zwischen den Welten muss in Zukunft stärker verknüpft und gefördert werden.“

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