Heftige Nebenwirkungen der EZB-Politik business im Breisgau | 08.03.2023 | Lars Bargmann

Uwe Barth, Lars Bargmann und Daniel Zeiler Redaktionsgespräch im Restaurant: Uwe Barth (l.) und Daniel Zeiler (r.) im Austausch mit Lars Bargmann

Wer sich mit Uwe Barth und Daniel Zeiler an einen Tisch setzt, sitzt dort quasi mit einem Kundenvolumen von fast 23 Milliarden Euro. Denn diese Summe verantworten die Vorstandsvorsitzenden der Volksbank und Sparkasse in Freiburg. Vor sechs Jahren waren es keine 17 Milliarden. Jedes Jahr kommt allein bei ihnen eine Milliarde dazu. Jetzt haben sie die Bilanzen fürs vergangene Jahr veröffentlicht. Für ein Jahr, in dem der 24. Februar einen Wendepunkt markierte. Der sich aber kaum im Geschäft niederschlug, wie sie im Gespräch mit Chefredakteur Lars Bargmann erzählten. Es gibt aber noch andere Besonderheiten.

bib: Herr Barth, vor einem Jahr meinten Sie, dass die EZB eher zurückhaltend agieren wird. Sie hat den Leitzins aber von 0 auf 3 Prozent erhöht.
Barth: Wir alle waren überrascht von der Dynamik. Mit dem Krieg in der Ukraine hatte niemand gerechnet, die Energiepreissteigerungen, eine Inflationsrate über acht Prozent, alles innerhalb kürzester Zeit.
Zeiler: Wir waren genauso überrascht. Ende 2021 begannen die ersten Preissteigerungen und damit auch die Inflation. Die EZB hat am Anfang ein bisschen spät reagiert, aber dann musste sie sehr schnell handeln.

bib: Die EZB hat den Banken sozusagen das alte Geschäftsmodell zurückgegeben. Alle deutschen Banken zusammen können mit 25 bis 27 Milliarden Euro an eigenen Zinseinnahmen rechnen. Die Sparkasse wird geschätzt 30 Millionen Euro für ihre bei der EZB geparkten Gelder bekommen, die Volksbank geschätzt etwa die Hälfte. Richtig?
Zeiler: 30 Millionen sind sehr großzügig geschätzt. Auf der anderen Seite verzinsen wir auch wieder Spareinlagen, dadurch geht auch unser Aufwand wieder nach oben.
Barth: Nein, unsere geparkten Gelder betragen zum Bilanzstichtag 2022 etwa 150 Millionen Euro. Wir erhalten dafür wieder Zinsen, aber weniger als von Ihnen geschätzt, auf der anderen Seite können wir unseren Kunden wieder Zinsen für die Geldmarkt- und Spareinlagen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro bieten. Von den höheren Kreditzinsen werden wir erst in ein, zwei Jahren profitieren. 

bilanz-volksbank

bib: Loben Sie die EZB nun für die Zinswende oder übertreibt sie nun wieder, nachdem sie ja aus der Niedrigzinsphase einen Niedrigzinszustand gemacht hatte und damit auch, zumindest zeitlich, übertrieben hatte?
Barth: Grundsätzlich ist es positiv, dass die Negativzinsen beendet sind. Nicht nur aus Bankensicht. Ja, damit kommt unser ursprüngliches Geschäftsmodell zurück. Aber es hat deutliche Nebenwirkungen, weil die Zinswende so schnell und so intensiv gekommen ist wie noch nie. Zumindest nicht nach dem 2. Weltkrieg. Damit verbunden ist nicht nur, dass die Nachfrage nach Wohnimmobilien rapide gesunken ist. Das ist also nicht nur positiv.
Zeiler: Auch wir merken die deutliche Zurückhaltung im Wohnungsbaubereich. Aber das Zinsniveau ist mit 4 oder 4,5 Prozent im langfristigen Vergleich völlig normal. Wir waren einfach viele Jahre verwöhnt. Neben den Zinsen spielen aber auch die Baupreise, die Inflation, die Lebenshaltungskosten eine große Rolle. Regionalbanken haben aber genau jetzt Vorteile, weil wir mit unseren Kunden sehr individuell nach Lösungen suchen können.

Nährboden für die Inflation

bib: Konkret?
Zeiler: Man kann auf der Laufzeitseite was machen, die Häuslebauer müssen ihr Eigenkapital hochfahren, so früh wie möglich damit anfangen. Es wird aber sicher auch die eine oder andere Ablehnung geben. Wir müssen den Kunden auch mal sagen: Es tut uns leid, aber diesen Traum kannst du dir derzeit nicht erfüllen.

bib: Welchen Anteil hat die EZB an der Inflation in Deutschland?
Barth: Die EZB wurde für ihre sehr offensive Geldpolitik zu Recht massiv kritisiert, sie hat eine politische Rolle eingenommen, damit sich vor allen die südeuropäischen Länder entschulden können …

bib: … also nicht nur Geld-, sondern auch Wirtschaftspolitik gemacht …
Barth: Das ist so. Jetzt hat sie einen Nährboden für die Inflation gelegt. Die Ausweitung der Geldmenge wirkt aber nur dann inflationstreibend, wenn sie nachfragewirksam wird. Genau dann entsteht Inflation. Das ist aber nicht vollumfänglich geschehen. Man kann der EZB also nicht die gesamte Schuld geben. Die hohe Inflation ist vor allem durch die Energiepreise getrieben. Sie muss jetzt gegensteuern, ihr Job ist Geldwertstabilität, gezwungenermaßen kommt sie dem nun nach.

Uwe Barth

Uwe Barth: „Dann werden wir die Spirale erleben.“

bib: Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat unlängst in einem Vortrag in Freiburg gesagt, 80 Prozent der deutschen Inflation ist importiert. Durch Rohstoffe, Nahrungsmittel, Energieträger.
Zeiler: Es gibt sicher importierte Inflation, ob das 80 Prozent sind, weiß ich nicht. Die EZB hat ihre Niedrigzinspolitik übertrieben. Geld ist ein Gut, ein Gut braucht einen Preis und den hat die EZB jahrelang ausgehebelt. Geld hatte keinen Wert. Jetzt bekommt es wieder einen.

bib: Ist es umgekehrt so, dass die EZB nur einen geringen Einfluss auf die Inflation hat?
Barth: Die steigenden Zinsen nützen schon was. Das ist empirisch belegt. Aber es dauert. Das sehen wir in ein, zwei Jahren. Machtlos ist die EZB da nicht.

bib: Ist Inflation asozial, weil einkommensschwächere Haushalte einen höheren Anteil an Konsumausgaben haben?
Zeiler: In der momentanen Gemengelage hat das sicher unsoziale Komponenten. Allein die Inflation ist es aber nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich geht schon länger auseinander. Bemerkenswert ist sicher, dass wir in einer solchen Situation wie jetzt noch nie einen so stabilen Arbeitsmarkt hatten. Die Leute müssen sich keine großen Sorgen um ihre Jobs machen. Das hilft.

bib: Die Wirtschaftsleistung hat allen Unkenrufen zum Trotz im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent zugelegt. Die Inflation schon rausgerechnet. Sind Sie überrascht?
Barth: Die Prognosen zur Jahresmitte waren schlechter. Wir sind froh, dass es noch Wachstum gab. Im Herbst sind wir alle von einer großen Rezession für dieses Jahr ausgegangen. Das hat sich jetzt auch etwas nivelliert. Das war durchaus eine positive Überraschung. Geplant haben wir ein ganz schwieriges Jahr. Das wird wohl so nicht kommen.
Zeiler: Die Prognosen sind unter dem Schock des 24. Februar entstanden. Geholfen haben sicher die massiven Staatshilfen und auch, dass die Gasmangellage ausgefallen ist. Der Ausblick 2023 ist aber extrem volatil.

Weiter große geopolitische Risiken

bib: Ein extrem volatiles Jahr prognostizieren Analysten auch an den Aktienmärkten. Im März 2020, mit Beginn der Pandemie, sackte der DAX unter 9000. Am 1. März, nach dem besten Börsenstart in ein neues Jahr seiner Geschichte, liegt er trotz Krieg bei 15.300. Überrascht von der Performance?
Barth: Der DAX hat sich nach einigen Schocks wieder an der Realwirtschaft orientiert, an den Gewinnen und Gewinnerwartungen der großen Unternehmen. Es ist eher überraschend, dass die Zinsentwicklung jetzt nicht zum Rückgang der Märkte geführt hat. Wir haben aber weiter große geopolitische Risiken, mit der Ukraine, mit dem Thema China und Taiwan. Es gilt aber der alte Spruch: Man braucht Zeit an den Märkten.
Zeiler: Wenn derzeit Nachrichten kommen, dass die Wirtschaft gut läuft, dann gehen die Märkte runter, weil dann erwartet wird, dass die Zinsen weiter steigen. Der Aktienmarkt wird in diesem Jahr sicher noch volatiler werden. Deshalb gehört regelmäßiges Aktiensparen zur Vermögensansparung unbedingt dazu.

Daniel Zeiler

Daniel Zeiler: „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust.“

bib: Die Reallöhne sind im vergangenen Jahr um 4,1 Prozent (höchster Wert seit 2008) runtergegangen, trotz einer Rekord-Lohnsteigerung um 3,4 Prozent. Gab es bisher maßvolle Tarifabschlüsse etwa bei IG Metall oder IG BCE, fordern jetzt Post (15) und Verdi (10,5) zweistellige Erhöhungen. Droht eine Lohn-Preis-Spirale?
Barth: Wenn alle Tarifabschlüsse zweistellig werden, dann werden wir diese Spirale erleben und auch einen neuen Inflationsdruck. Dass die Tarifparteien höhere Abschlüsse anstreben, ist richtig, aber gesamtwirtschaftlich gesehen ist es auch wichtig, dass diese Abschlüsse maßvoll sind. Wenn irgendwo zweistellige Zuwächse sehr richtig wären, dann im Pflegebereich oder der Erziehung.
Zeiler: Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, wir als Sparkasse hängen ja am Tarif für die öffentliche Hand. Wir brauchen sicher einen maßvollen, badisch gesagt gescheiten Abschluss. Ob der bei zehn Prozent liegen muss, da mache ich ein Fragezeichen dran. Ich vertraue darauf, dass die Partner zu ausgewogenen Abschlüssen kommen. Leider ist aber die Rhetorik derzeit sehr auf Konfrontationen ausgerichtet.

bib: Ihre eigenen Abschlüsse bieten wenig Konfrontatives. Die Sparkasse hat ihren Ertrag um 15 auf 174 Millionen Euro verbessert (siehe Infoboxen), die Volksbank um 6,1 auf 88,5 Millionen Euro. Wie kam’s?
Zeiler: Wir haben 16 Millionen Euro mehr Zinsertrag und ein leicht rückläufiges Provisionsergebnis.
Barth: Wir haben 6,2 Millionen mehr aus den Zinsen. Bei den Provisionen konnten wir nicht zulegen.

Rekord bei neuen Krediten

bib: Erstaunlich ist erneut das Neukreditvolumen.
Zeiler: Ja. Wir haben mit 1,47 Milliarden an neuen Krediten einen Rekord aufgestellt. Maßgeblich daran beteiligt war der Baubereich, aber auch große Volumina bei unseren institutionellen und kommunalen Kunden.
Barth: Wir haben das Gesamtkreditvolumen um 6,5 Prozent gesteigert. Das liegt über unserer Planung. Damit sind wir sehr zufrieden. Bei den neuen Krediten waren es 720 Millionen, etwa je zur Hälfte im privaten Wohnungsbau und bei unseren gewerblichen Kunden.

bib: Solche Zahlen werden Sie 2023 nicht erreichen.
Barth: Das Neugeschäft wird sicher zurückgehen. In diesem, wahrscheinlich auch noch im nächsten Jahr. Wir werden keine Wachstumsraten mehr von sechs oder mehr Prozent haben.
Zeiler: Das wird auch bei uns sicherlich weniger sein. Wir rechnen aber nicht damit, dass die Kreditbestände zurückgehen, weil beanspruchte Kontokorrentlinien sicher zulegen werden.
Barth: 2023 zu planen, ist wirklich spannend. Wir rechnen zwar auch nicht mit Rückgängen bei den Beständen, aber die weitere Zinsentwicklung, die Auswirkungen auf den Wohnungsbau, die Inflation, wir haben viel mehr Unsicherheiten als in früheren Jahren.
Zeiler: Das sehe ich genauso. 2023 ist für die Planung ein besonderes Jahr.

Bilanz-Sparkasse

bib: Das Provisionsgeschäft könnte wachsen, weil schon totgesagte Produkte durch die Zinsen wieder aufleben.
Barth: Es gibt wieder bessere Chancen auf den Wertpapiermärkten, Staatsanleihen notieren je nach Laufzeit wieder bei zwei Prozent, Unternehmensanleihen höher. Bausparverträge kommen wieder. Das Klavier für die Kunden ist wieder größer geworden.
Zeiler: Auch Lebensversicherungen sind wieder attraktiver. Alte Produktfelder rücken wieder neu in den Fokus. Es gibt wieder ein breiteres Feld der Vermögensanlage.

bib: Welche Besonderheiten liegen in Ihren Bilanzen?
Barth: Eine erste Besonderheit ist für uns das sehr gute operative Ergebnis. Die zweite ist die Bewertungsseite. Wenn der Zins steigt, sinkt der Kurs unserer Wertpapiere und das müssen wir bilanzieren, mit 20 Millionen an Abschreibungen. Das ist der Preis für die schnelle Zinssteigerung. Das ist aber nur ein temporärer Effekt. Am Ende der Laufzeit der Wertpapiere sind wir wieder bei 100 Prozent. In diesem Thema ist viel Spielraum für Bilanzpolitik.
Zeiler: Wir haben dasselbe Thema, bei uns sind das 60 Millionen Euro. Das ist aber ja allein ein bilanzrechtliches Thema, es gibt hier keinen Wertverlust.

bib: Sehen Sie durch Spätfolgen der Pandemie, den Krieg, mit durchaus vorhandenem Eskalationspotenzial, die Inflation und vieles mehr besondere Risiken in Ihren Kreditbeständen?
Zeiler: Nein, wir sehen keine besonderen Risiken. Das zeigt die wirtschaftliche Stabilität der Unternehmen in unserer Region.
Barth: Unsere Bilanzen sind nicht zuletzt ein Spiegelbild der südbadischen Wirtschaft. Wir bilden einen großen Teil des Marktes ab. Die Region ist robust aufgestellt.

bib: Herr Barth, Herr Zeiler, vielen Dank für dieses Gespräch. 

Foto: © tln