»Auch mal ein Risiko eingehen« – Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag im Interview Stadtentwicklung | 06.02.2025 | Lars Bargmann

Martin Haag

In Freiburgs geplantem Stadtteil Dietenbach im Westen der Stadt sind die taxierten Kosten auf mittlerweile 1,322 Milliarden Euro angewachsen, im Neubau-Quartier Kleineschholz bis auf zwei alle Grundstücke reserviert. Hüben wie drüben laufen die Erschließungsmaßnahmen. Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag im Gespräch mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann über Haken und Ösen zweier bedeutender Stadtentwicklungen.

chilli: Herr Haag, der Gemeinderat hat Mitte Dezember 11 der 13 Baugrundstücke im sogenannten gemeinwohlorientierten Neubaugebiet Kleineschholz vergeben. Gab es Reaktionen, etwa juristische, von nicht zum Zuge gekommenen Bewerbern?

Haag: Niemand hat Rechtsmittel eingelegt. Es gibt natürlich auch Enttäuschungen, das verstehe ich auch, weil die Bewerber ja viel in ihre Bewerbung investiert haben. Manche, auch aus dem Kreis der gemeinwohlorientierten Akteure, haben angekündigt, sich auf die beiden letzten Grundstücke nochmal zu bewerben. Die können auf die Arbeit in der ersten Runde aufbauen.

chilli: Beworben hatte sich auch die Unmüßig Bauträgergruppe mit gemeinwohlorientierten Projekten, die aber aufgrund der fehlenden Gemeinwohlorientierung des Bauherrn nicht zum Zuge kamen. Zählt auch dieser Akteur zu den Bewerbern der zweiten Ausschreibung?

Haag: Meines Wissens wollte sich Herr Unmüßig da noch mal dransetzen. Er muss die Spielregeln einhalten, da fehlte ja nicht viel.

chilli: Wie ist der Zeitplan?

Haag: Die Bewerbungsfrist endet am 17. Februar. Danach finden Gespräche statt, die finalen Unterlagen müssen bis zum 24. März vorliegen. Im April tagt das Bewertungsgremium, im Juni wird der Gemeinderat entscheiden.

chilli: Die beiden letzten Grundstücke sind die Quartiersmitte und der Hochpunkt mit acht Geschossen an der Sundgauallee. Ausgerechnet dafür gab es keine Bewerbungen?

Haag: Das hat mich ehrlich gesagt auch gewundert. Der Hochpunkt ist eigentlich ein sehr wirtschaftliches Gebäude. Vielleicht ist das für die Gemeinwohl­orientierten aber auch zu groß. Das ist schon ein echter Brocken.

chilli: Nicht alle, die jetzt bei der Vergabe zum Zug gekommen sind, sind Profis. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass da bis zum Kaufvertrag auch noch was nicht klappt?

Haag: Die Hälfte der Gewinner sind Profis. Ein Viertel sind Akteure, bei denen ich ein gutes Gefühl habe. Bei einem Viertel muss man gucken. Wenn’s nicht klappt, bekommen wir die Grundstücke Ende des Jahres zurück und schreiben neu aus. Klein­eschholz ist ein sehr innovatives Neubaugebiet, ein Stück weit auch ein Experiment, und da lohnt es sich, auch mal ein gewisses Risiko einzugehen. Im Übrigen gibt es ja auch Profis, bei denen ein Projekt mal nicht klappt.

chilli: Das politische Ziel ist ein Quartier, das nur gemeinwohlorientierte Unternehmen bauen. Müssten nicht möglichst günstige Mieten das wichtigere Ziel sein?

Haag: Wir denken bei Kleineschholz über die Bindefristen des geförderten Wohnungsbaus, ob nun 20 oder 30 Jahre, hinaus. Wie sieht eine Konstruktion aus, bei der wir davon ausgehen können, dass sie in 40 oder 50 Jahren noch das sicherstellt, was wir erreichen wollen? Wir lernen ja gerade aus den Stadtteilen Rieselfeld und Vauban, wie schnell 10, 20 Jahre vorbei sind, bis eine Bindung ausläuft. Und dann wird teuer verkauft und noch teurer weiterverkauft und irgendwann haben die Mieter nicht mal mehr einen Ansprechpartner. So ist der Markt. Wir glauben, dass das mit gemeinwohlorientierten Eigentümern und den richtigen vertraglichen Konstruktionen bei Kleineschholz nicht so kommt.

chilli: Bei Kleineschholz sollten die Grundstücke ursprünglich nur im Erbbaurecht vergeben werden. Im November 2023 kam dann die Kehrtwende, die Grundstücke können seither auch gekauft werden. Der 2018 beschlossene Plan, Wohnbaugrundstücke grundsätzlich nicht mehr zu verkaufen, hatte eine überschaubare Halbwertszeit.

Haag: Das Umfeld hat sich stark verändert, der Gemeinderat und die Verwaltung haben Pragmatismus bewiesen.

Oval nach oben: Hier wächst das Familien-Rathaus heran.

Oval nach oben: Hier wächst das Familien-Rathaus heran.

chilli: Ist Kleineschholz eine Blaupause für den Dietenbach?

Haag: Nein. Das ist eine ganz andere Größenordnung. Aber wie freuen uns, wenn auch dort gemeinwohlorientierte Akteure bauen. Für die könnte es eine Blaupause sein.

chilli: Mitte Dezember meldete das Rathaus, dass die Kosten für Dietenbach um stolze 70 Millionen auf 1,322 Milliarden Euro steigen. Als Grund wurde die „zeitliche Anpassung der Maßnahme“ genannt. Trotzdem soll das Vermarktungskonzept erst Ende 2025 verabschiedet werden?

Haag: Wir werden in diesem Jahr eine Drucksache zum Thema Vermarktung in den Gemeinderat bringen und dann auch starten.

chilli: Liegt es am aufgrund der vielen politischen Anforderungen durchaus schwierigen Vermarktungskonzept, dass es so spät kommt?

Haag: Nein. An der Erschließung. Die erste Frage der Bauherren lautet, wann er aufs Grundstück kann. Wir brauchen aber noch ein halbes Jahr, um das belastbar zu beantworten. Wir sind durch die ganzen rechtlichen Geschichten, durch die Wald-Besetzung, auch dadurch bedingte Verzögerungen und Umplanungen im Tiefbau und auch durch artenschutzrechtliche Dinge etwas hintendran. Man darf aber nicht vergessen, dass wir allein im ersten Bauabschnitt von 1650 Wohnungen sprechen, das allein wäre für Freiburg schon das größte Baugebiet der letzten 25 Jahre. Das braucht Zeit.

chilli: … und sie brauchen auch noch die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung …

Haag: … die kam heute Morgen vom Regierungspräsidium.

chilli: Der Schul-Campus Dietenbach soll nach dem Willen im Rathaus in Holzhybrid-Bauweise erstellt werden.
Uns ist erzählt worden, dass das wegen der höheren Kosten auf der Kippe steht.

Haag: Richtig ist, dass die aktuellen Kostenschätzungen etwas übers Ziel hinausschießen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Wir sind derzeit dabei, eine Einsparrunde zu drehen. Aber das Thema Verzicht auf Holzbau steht da nicht auf der Agenda.

chilli: Wir hören auch, dass die bisher vorliegenden Eckpunkte der Vermarktung von der privaten Bauherrenschaft nicht goutiert werden …

Haag: Wir führen sehr gute Gespräche mit der VFW (Vereinigung ­Freiburger Wohnungs- und Ge­wer­be­unter-nehmen, d. Red.) und die sind alle sehr interessiert. Wir führen aber auch Gespräche mit anderen Akteuren, und auch die sind sehr interessiert.

chilli: Welche Punkte sind bei der Grundstücksvergabe „in Stein gemeißelt“, welche müssen vielleicht noch nachgeschärft werden?

Haag: Wir werden sicher 50 Prozent geförderte Mietwohnungen und eine Konzeptvergabe machen. Aber dem Gemeinderat auch unterschiedliche Vergabemodelle vorschlagen. Gerade bei den Verkäufen für komplette Blöcke.

chilli: Marktgängigere Modelle, als die bisher bekannten …

Haag: Letztendlich geht es um die Frage, wie wir unsere Entwicklungsziele erreichen, und die kann ich auf unterschiedlichen Wegen erreichen. Es gibt im Dietenbach relativ unkomplizierte Grundstücke, die in der Vergabe gar kein Problem machen. Wir wollen aber keinen Stadtteil, der nur von gewerblichen Akteuren gebaut wird, die dann Eigentumswohnungen verkaufen.

chilli: Wieso wird im politischen Freiburg immer nur von zu fördernden Mietern gesprochen und nie von zu fördernden Eigentümern? Auch in Stuttgart stehen Mieter im Fokus der Fördertöpfe. Dabei ist Deutschland bei den Eigentumsquoten in ganz Europa jetzt schon auf dem vorletzten Platz.

Haag: Was wir bei Kleineschholz machen, ist doch eigentlich Eigentumsersatz. Und ein Stück weit ist das vielleicht auch die Zukunft. Es gibt nicht viele Menschen in Freiburg, die eine Eigentumswohnung für 800.000 Euro finanzieren können. Genossenschaften und das Mietshäuser Syndikat können da helfen. Solche Ansätze gibt es bereits in München. Die Mieter erwerben kein Eigentum, aber wie bei den Baugenossenschaften ein lebenslanges Wohnrecht. Deswegen hoffe ich, dass unsere Baugenossenschaften, die sich bei Klein­eschholz rausgehalten haben, sich stärker im Dietenbach engagieren.

chilli: Warum sollen die Grundstücke im ersten Bauabschnitt Dietenbach komplett verkauft werden? Freiburg steht doch so auf Erbbaurechte …

Haag: Der Verkauf mit Rückkaufrecht  ist unser Vorschlag an den Gemeinderat. Weil das auf der einen Seite die Finanzierungszinsen nicht noch weiter steigen lässt, aber auch, weil wir momentan noch nicht die Lösung haben, wie das Erbbaurecht beim bezahlbaren Wohnen konkurrenzfähig mit dem Kauf sein kann. Erbbaurechtsgrundstücke gehen derzeit mit einem extremen Handicap ins Rennen. Das wollen wir nicht. Wenn ich als Erbbaunehmer eine schlechtere Förderung kriege, eine schlechtere Beleihung des Grundstücks und schlechtere Zinskonditionen und sich das dann auf den Mietpreis auswirkt, dann muss man sich als Stadt natürlich fragen, was mache ich da?

chilli: Im Rathaus hat sich die Tonlage zum Erbbaurecht offenbar geändert.

Haag: : Der Gemeinderat und auch die Verwaltung haben bei Kleineschholz schon Pragmatismus bewiesen. Und wir werden wir uns sicherlich noch mal intensiv mit dem Gemeinderat unterhalten, weil natürlich die Erwartungshaltung weiterhin da ist, dass wir im Dietenbach viel Erbbaurecht machen. Aber wir müssen vom Ergebnis her denken.

chilli: Nach neun zuweilen hektischen Leitzinssteigerungen mit 4,5 Prozent Höchststand hat die EZB jetzt wieder auf zuletzt 3,15 Prozent runtergefahren. Hilft das Dietenbach?

Haag: Umgekehrt gedacht wäre es, wenn wir vor zwei Jahren auf dem Markt gewesen wären, sehr schlecht gewesen. Momentan ist das Umfeld für Immobilien-Investitionen wieder deutlich besser.

Ist mit dem Radl da: Martin Haag auf dem Dietenbach-Gelände

Ist mit dem Radl da: Martin Haag auf dem Dietenbach-Gelände

chilli: Was verspricht sich Freiburgs Baubürgermeister von einer neuen Regierung in Berlin?

Haag: Ich wünsche mir, dass man das Thema Wohnen nicht vergisst – über all die anderen Probleme, die ich durchaus sehe. Und die neue Regierung muss sich intensiv mit der De-Regulierung befassen, weil uns das viel Geld, viel Zeit und viel Personal kostet. Beides würde Dietenbach helfen.

chilli: Das träfe auch auf ausreichend große Fördertöpfe im Landeswohnraumförderprogramm zu.

Haag: In Stuttgart haben wir nicht zuletzt das Thema Verlässlichkeit. Wenn man eine Förderzusage erhalten hat, muss die auch verbindlich sein. Das Land tut jetzt auch im laufenden Jahr mehr für den Wohnungsbau, aber im Ländervergleich ist trotzdem Luft nach oben.

chilli: Das Land erhöht wohl den Fördertopf um das Dreifache auf 1,5 Milliarden Euro.

Haag: Die Bugwelle ist trotzdem riesig. Und alle, die noch mehr von der Sache verstehen, sagen, das ist zwar ein wichtiger Schritt, aber es wird immer noch nicht reichen, um diese Bugwelle abzubauen.

chilli: Herr Haag, vielen Dank für dieses Gespräch.

Zum Weiterlesen

Wie sich der Bau von Dietenbach auf den Mundenhof auswirkt, dazu ein Interview hier:

bit.ly/chilli-mundenhof

Fotos: © Stadt Freiburg, Lars Bargmann