Im Westen was Neues – Im Dietenbach läuft die Erschließung mit viel Tempo Stadtentwicklung | 24.08.2024 | Lars Bargmann
So soll er mal aus der Luft aussehen: Am rechten Rand ist die bestehende Rieselfeld-Bebauung zu sehen, der erste Bauabschnitt liegt in der Mitte mit dem dreieckigen Käsebachpark.Vermummte am Wegesrand: Bei einer Fahrradfahrt durch den geplanten Stadtteil mit Journalisten und Vertretern des Baudezernats veranstaltete eine Handvoll Gegner erst mal Heckmeck. Deutlich konstruktiver gehen im Quartier, in dem mal rund 16.000 Menschen leben sollen, die Erschließungsarbeiten voran. Der Hochwasserdamm ist bereits fertiggestellt.
Wer oben auf dem Damm steht, braucht noch etwas Fantasie, um sich die Bebauung für Freiburgs jüngsten Stadtteil vorzustellen. „Da wird das Zentrum sein“, zeigt Baubürgermeister Martin Haag nach Westen. Haag hatte den radelnden Journalisten zusammen mit dem Planungsteam um Rüdiger Engel, Mario Pfau, Ingo Breuker und Arno Gierschner den aktuellen Stand erläutert. Da der Hochwasserdamm und der Gewässerausbau schon weitgehend fertig sind, sei das Baugebiet jetzt schon hochwasserfrei, so Haag. Auf der östlichen Seite des Dammes fließt der Namenspatron, der Dietenbach. Um den herum gibt es eine Bannmeile für Bauten.
In der begleitenden Bachaue, bei Starkregen eine Überflutungsfläche, soll vielmehr „ein Stadtteilpark mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten“ entwickelt werden, erzählt Preuker, der Vize-Projektleiter. Der Park trennt die ersten vier von den beiden finalen Bauabschnitten. Über den Bach führt bereits eine erste Brücke.
Am nördlichen Ende des Parks ist die Endhaltestelle „Zum Tiergehege“ der neuen Tramlinie geplant. Dort sollen auch ZMF-Besucher einsteigen können, dort soll es auch eine der Hochgaragen geben, denn Tiefgaragen, so hat die Politik sich das ausgedacht, dürfen nicht gebaut werden.
Luft nach oben gibt es unter den rund 6900 geplanten Wohnungen derweil beim Erdaushublager. Hier kann die Entwicklung mit dem Einsammeln von anderthalb Millionen Kubikmetern Erde längst nicht mit dem Tempo der Erschließung mithalten. Da der Dietenbach in einer Hochwasserzone liegt, muss der Stadtteil um bis zu drei Meter aufgeschüttet werden. Derzeit ist aber nur ein großer Haufen zu sehen, der vielleicht ein paar Tausend Kubikmeter hat.
Ein Grund, so war zu vernehmen, sei die schwächelnde Bauwirtschaft, ein anderer die strengen Vorschriften, die aus den Streitereien mit der Gemeinde Umkirch stammen. Die Umkircher mit Bürgermeister Walter Laub hatten befürchtet, dass der angekarrte Erdaushub so belastet sein könnte, dass er die Trinkwasserqualität aus dem Grundwassergebiet des nur drei Kilometer entfernten Tiefbrunnens „Schorren“ verschlechtern kann. Das Erdaushublager wurde im Juni 2021 genehmigt. Dagegen hatte das Umkircher Rathaus Widerspruch eingelegt.
Wenn ihr den aufrecht erhaltet, könnte man salopp formulieren, werden wir gegen die Ausweisung des von euch beantragten Wasserschutzgebietes gerichtlich vorgehen, hatte das Freiburger Rathaus gekontert. Zwischenzeitlich war die Atmosphäre auf der politischen Bühne vermutlich schwerer belastet als die Erde. So einigte sich man am Ende auf maximal mäßig belastete Bodenklassen, Einsicht in die Daten von zusätzlichen Messstellen und auch in die Bodenproben. Im vergangenen Jahr hatte die Erdaushubzwischenlager Dietenbach GmbH rund 110.000 Euro Gewinn gemacht.
Aktuell und noch bis zum Jahreswechsel schließt die BadenovaNetze GmbH den Stadtteil ans Fernwärme- und Trinkwassernetz an – und quert dabei auch die Dreisam. Der vom Autobahnzubringer Mitte gut zu sehende Sendemast des SWR muss – Mitte des nächsten Jahrzehnts – in den sogenannten Schildkrötenkopf verlegt werden, der auch als Überflutungsfläche dient. Zudem muss eine Gasleitung umverlegt werden. Und die Stadtverwaltung verbreitert demnächst die Straße zum Mundenhof und schafft zusätzlich einen eigenen Radweg, weil dort während des Baus einiges an Schwerlastverkehr hin und her rollen wird.
Auf einer Station der Rundfahrt machen wir Halt beim Sportplatz des Vereins Rieselfeld vor Ort. Die Ausweitung der Sportflächen, vor allem auch die für den Schul-Campus, steht stellvertretend für die vielen Kompromisse, die bei der Planung eingegangen werden müssen. Der Verein hat vehement mehr Sportflächen vor allem für Kinder und Jugendliche gefordert, die Schule mit irgendwann 1700 Schülern braucht Bewegungsflächen. Doch dafür müssen Bäume gefällt werden.
Insgesamt sind es vier Hektar Wald, die dem neuen Stadtteil zum Opfer fallen. Die Älteren werden sich erinnern: Noch etwas mehr mussten seinerzeit für den Stadtteil Rieselfeld weichen. „Es gibt eine Gruppe von Menschen, die immer noch nicht einsieht, dass für Dietenbach ein Baum gefällt werden muss“, sagt Haag. Auf Freiburger Gemarkung stehen übrigens neun Millionen Bäume und etwa 70.000 werden jedes Jahr für die normale Forstbewirtschaftung gefällt.
Es wird noch einige Jahre dauern, bis das höchste Gebäude steht, der tiefste Punkt aber, der Schacht, in dem das Schmutzwasser aus dem Stadtteil ankommt, ist schon in der Erde versenkt. Ungefähr da, wo Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar beim Spatenstich sprach. Und sagte: „Wir brauchen noch viel mehr Dietenbachs in Deutschland.“
Bei der Rundfahrt war auch die Mundenhof-Leiterin Birte Boxler dabei. Sie steht der neuen Nachbarschaft positiv gegenüber: „Wir profitieren, weil auch unsere Besucher eine bessere Zufahrt bekommen und sicher auch viele Anwohner den Mundenhof besuchen wollen.“ Heute schon zählt der Mundenhof jährlich eine halbe Million Besucher, wenn Dietenbach fertig bebaut ist, Anfang der 40er-Jahre, werden es wohl 150.000 mehr sein.
Wie groß aber das Interesse der Bauherren und Bauträger am Dietenbach überhaupt sein wird, muss sich erst noch weisen. Aktuell ist der erste Bebauungsplan auf den Weg gebracht, der Gemeinderat soll ihn, er hört auf den Namen Am Frohnholz, Ende des Jahres beschließen. Der Plan soll die Weichen für die ersten 1600 von insgesamt 6900 Wohnungen stellen, für die ersten von 22 Kitas, Büro- und Gewerbeflächen, Einzelhandel, für den ersten Bauabschnitt der Gemeinschaftsschule, für den Käsebachpark, den Stadtteilplatz, die Fußgänger- und Radlerbrücke über den Zubringer mit Anschluss an den Radler-Highway FR1, das Parkhaus an der Endhaltestelle, die Energiezentrale nebst Hoch-
garage beim ZMF-Gelände sowie Retentions- und Ausgleichflächen – auf insgesamt 62 Hektar.
Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn hatte beim Spatenstich die Anwesenheit des Kanzlers und der baden-württembergischen Bauministerin Nicole Razavi genutzt, um kräftige Unterstützung aus Berlin und Stuttgart einzufordern: „Wir brauchen 200 Millionen Euro Förderung.“ Ohne Förderung, da gibt es keine zwei Meinungen, wird der Stadtteil sicherlich nicht bezahlbar. Ob er es mit Förderung werden kann, ist unklar.
Das Rathaus steht vor einem massiven Liquiditätsproblem. In der Kosten- und Finanzierungsübersicht ist zu lesen, dass in der Spitze 427 Millionen Euro durch Kredite vorfinanziert werden müssen. Was unterm Strich 123 Millionen Euro Zinslast auslöst. Um den hohen Anfangskosten etwas entgegenzusetzen, sollen im ersten von sechs Bauabschnitten alle Grundstücke verkauft werden. Wer sein Grundstück partout pachten will, was im Rathaus und im Gemeinderat der gewünschte Deal wäre, muss die Pacht über die gesamte Laufzeit ganz am Anfang als Einmalablöse überweisen. Da niemand ein geliehenes Grundstück bei der Finanzierung beleihen kann, wird der Andrang an dem Kassenschalter stark überschaubar bleiben.
Dietenbach in Zahlen: Flächen und Kosten
Das Gebiet ist 130 Hektar oder rund 180 Fußballfelder groß. Knapp 60 Hektar umfasst das Nettobauland. 78,5 Hektar gehören Privaten; Stadt (27,2), Land (22) und Bund (2,4) haben 51,6 Hektar. Die Kosten des Stadtteils belaufen sich auf 1,25 Milliarden Euro, 123 Millionen Euro allein für Zinsen. Das Rathaus will 1,1 Milliarden Euro durch Grundstücksverkäufe einnehmen und 49 Millionen Euro aus Ausgleichsbeiträgen und Fördermitteln. Wenn das tatsächlich so kommt, blieben 109 Millionen Defizit. Die sollen über 20 Jahre aus dem Haushalt kommen.
Was für eine Scheiß-Aktion
Mitte Juli hatte das Rathaus Journalisten zu einer Radtour durchs Areal des geplanten Stadtteils Dietenbach eingeladen. Baubürgermeister Martin Haag war dabei, die Dietenbach-Projektleiter Rüdiger Engel und Mario Pfau, etwa 20 Journalisten. „Seid ihr von der Presse“, fragte in einem Waldstück plötzlich eine aufgeregte junge Frau. Ja. Dann rannte sie ums Eck und plötzlich war da eine Handvoll Vermummte, die den Journalisten mit eilig auf einen Waldweg geworfenen Gegenständen, Ästen, Müll, Einkaufswagen, die Erkundungstour stoppte.
„Verpisst euch“ und weitere verbale Fäkalien zeterten die sogenannten Aktivisten aus dem Umfeld der Gruppe „Dieti bleibt“. So weit, so befremdlich wie erträglich. Muss ja jeder selber wissen, wie er sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält. Dann aber warfen die mittlerweile offenbar restlos hirnentleerten Typen und Typinnen den Vertretern von Stadt und Medien auch noch echte Fäkalien vor die Füße und in einen Fahrradanhänger. Und zeterten und quengelten – natürlich vermummt – weiter ihre trotzigen Sprüchlein aus dem Wald.
Wer Journalisten auf Recherche mit Scheiße bewirft, überschreitet längst nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks. Der ist charakterlich deformiert. Und asozial. Und die Scheiß-Aktion zeigt auch, dass diesen Leute vernunftgeleitetes Handeln und ein Grundverständnis der liberalen Demokratie fremd sind. Zum Dietenbach gab es einen Bürgerentscheid, ungezählte Veranstaltungen für Bürgerbeteiligung, Zufallsbürger, Beschlüsse des Gemeinderats (zur Erklärung an die „Aktivisten“: Da sitzen Männer und Frauen, die vom Volk gewählt wurden).
Wer Unterstützung für seine Sache sucht, wirft nicht mit Scheiße. Das machen nicht mal Affen – auch wenn die ebenfalls auf Bäumen wohnen.
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