Immer der Muschel nach: Auf dem Jakobsweg im Schwarzwald Freizeit | 14.06.2019 | Stella Schewe

St. Märgen

Einmal im Leben den Jakobsweg gehen … Davon träumen viele Menschen und denken dabei meist an den „Camino Francés“, der durch Nordspanien bis Santiago de Compostela führt. Doch eine Etappe zieht sich im Schwarzwald von St. Märgen nach St. Peter.

Still und verschlafen liegt St. Märgen im Schatten, die Sonne steht hinter den Bergen. Noch ist niemand unterwegs an diesem herrlich klaren, aber auch kalten Sonntagmorgen im Frühling. Gerade mal fünf Grad hat das Thermometer im Auto angezeigt, das bei der barocken Klosterkirche in der Dorfmitte stehen bleibt, dem Ausgangspunkt der Wanderung. Von hier aus geht es die Feldbergstraße entlang bis zum Hotel Hirschen. Hier ist sie zum ersten Mal zu sehen: die weiße Muschel auf blauem Grund – das Zeichen des Jakobswegs.

„Der Jakobsweg beginnt vor deiner Haustüre“, besagt ein altes Pilgersprichwort, und das war früher wörtlich gemeint. Niemand konnte per Flugzeug nach Spanien fliegen und von dort aus pilgern – stattdessen liefen die Menschen von zu Hause aus los und auch wieder den ganzen Weg zurück. So führen allein durch Deutschland mehr als 30 Jakobswege, die sich miteinander kombinieren lassen. Theoretisch könnte man auf diese Weise in Norddeutschland starten und durch ganz Deutschland, die Schweiz und Frankreich bis nach Spanien und Santiago de Compostela pilgern.

Den Weg weist, wie immer, die Muschel auf blauem Grund.

Verglichen damit ist die heutige Wanderung überschaubar. Gerade einmal 9,5 Kilometer sind es bis St. Peter – nur eine winzige Etappe dieses riesigen Wegnetzes, aber eine wunderschöne, die viele Aussichten beschert. Und die längst nicht so überlaufen ist wie der inzwischen stark frequentierte „Camino Francés“. Mitpilger trifft man hier kaum, den wenigsten ist wohl bewusst, dass sie gerade auf dem Hochschwarzwälder Jakobusweg wandern. Ohnehin ist zu dieser frühen Stunde niemand unterwegs, allein beim „Hirschen“ geht ein Mann mit seinem Hund Gassi, danach wird es einsam.

Erste Sonnenstrahlen und Glockenläuten

Der Weg führt links aus dem Ort raus hoch zum Landfeld, von wo aus sich ein erster Blick zurück lohnt: Über St. Märgen ist gerade die Sonne aufgegangen, die Klosterkirche erstrahlt in ihrem Licht, Glockengeläut weht herüber – fast überirdisch schön. Am Waldrand entlang geht es zum Birgwegeck, einer Wegbiegung, von der aus man zum ersten Mal beide Klosterdörfer gleichzeitig sehen kann: Startpunkt und Ziel dieser Wanderung, links St. Märgen, rechts St. Peter mit den zwei rotbraunen Zwiebeltürmen seiner Kirche. Noch sind die Schatten lang, über den Wiesen liegt Reif, außer Vogelzwitschern und dem tiefen, gemütlichen Brummen eines Flugzeugs ist nichts zu hören.

Die für die spanischen Jakobswege typischen Pilgerherbergen sucht man hier vergeblich, stattdessen führt der Weg von einer Kirche und Kapelle zur nächsten. Den Anfang macht die Kapfenkapelle auf der gleichnamigen Anhöhe. Erbaut wurde sie um 1850 vom Vater des Kapfenbauers Josef Hummel – aus Dankbarkeit. Nach einem Schlaganfall konnte er nur noch schlecht am Stock gehen und „versprach dem lieben Gott, wenn er noch einmal könne hier herauflaufen ohne Stock oder Krücke, so wolle er eine Kapelle hierher bauen. Und sogleich konnte er Stock und Krücke ablegen und hier herauflaufen. So geschah das Wunder“, ist auf einer Tafel zu lesen.

Wundervoll ist auch der Blick vom Kapfenberg: Gegenüber liegen der Feldberg sowie der Höhenzug zwischen Thurner und Schauinsland, allesamt noch schneebedeckt. Der Weg führt an einem Kneippbecken vorbei auf und ab durch den Wald; das Klopfen eines Spechts ist zu hören, rechts flitzt ein Eichhörnchen mit weißem Bauch an einem Baumstamm hoch. Am „Roten Kreuz“ auf 1018 Meter Höhe – einem Holzkreuz am Waldrand, das früher einmal rot gestrichen war – ist endlich ein bisschen Wärme zu spüren, ein sanfter Wind streicht über die Wiesen. Danach geht es zurück in den Wald und gleich ist die Luft wieder frisch, kühl und erdig.

Die Wanderung führt von einer Kapelle zur nächsten: hier die kleine Vogesenkapelle.

Berührende Geschichten

Dann steht am Rande einer Lichtung plötzlich die Vogesenkapelle mit ihren farbenfrohen Fenstern. Auch sie hat eine berührende Geschichte. Erbaut wurde sie von „Alt-Reiner-Bauer“ Lepold Hättich, der im Ersten Weltkrieg als deutscher Soldat im Oberelsass war. Im Januar 1915 sah er dort, von einer Anhöhe aus und im Schein der untergehenden Sonne, die Schwarzwaldberge. Kandel, Kapfenberg und sogar einzelne „Berghäusle“, darunter auch sein eigenes, habe er erkennen können – so steht es auf der Tafel beim Eingang. Der Blick hinunter ins elsässische Tal dagegen sei voller „Greuel und Verwüstung“ gewesen: „… die Menschen waren geflohen, Häuser brannten, überall Trümmer und Ruinen.“ Bei diesem Anblick bekam er Heimweh nach seinen Lieben und gelobte: „… wenn der Schwarzwald und seine Menschen von Krieg und Verwüstung verschont bleiben, baue ich nach meiner Rückkehr zum Dank eine Kapelle, zu Ehren des göttlichen Herzens Jesu.“

Der weißen Muschel – und dem Eichelhäher, der über den Weg fliegt – nach geht es von hier aus noch ein Stückchen durch den Wald. Ungefähr einen Kilometer weiter führt der Weg dann endgültig ins Freie, über die Wiesen der Hochrütti. Das Ziel der Wanderung ist plötzlich zum Greifen nah: Mit Blick auf St. Peter und seine Barockbasilika, eingebettet in sanfte Hügel, beginnt der Abstieg. Von den Hängen tönen laute „Mähs“: Schafe und Ziege grasen auf den Wiesen, die ersten Bauernhöfe rücken näher und schließlich auch die Straße, die vom Glottertal über St. Peter nach St. Märgen führt. Durch eine Unterquerung geht es in den Ort hinein zur „Soldatenkapelle“. Erbaut 1910 an Stelle eines Holzkreuzes erinnert sie an 848 österreichische Soldaten, die während der Befreiungskriege gegen Napoleons Vorherrschaft zwischen 1813 und 1814 im Spital von St. Peter starben, die Klostergebäude des Ortes dienten damals als Lazarett.

Jetzt ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Pfarrkirche mit ihrer Rotsandsteinfassade und den zwei Zwiebeltürmen. Errichtet wurde sie, als Klosterkirche für die Benediktinerabtei St. Peter, 1724 bis 1727 durch Baumeister Peter Thumb; geweiht ist sie den Aposteln Petrus und Paulus. Sie gilt als einzigartiges Zeugnis barocker Architektur im süddeutschen Raum – ein Blick ins Innere verrät, warum: Mit weißen Wänden, viel Gold und dem seitlich einfallenden Sonnenlicht soll das Kirchenschiff mit seinem beeindruckenden Hochaltar den „himmlischen Thronsaal“ symbolisieren.

Die Pfarrkirche in St. Peter mit ihrer Rotsandsteinfassade.

Hier endet diese Etappe des Hochschwarzwälder Jakobuswegs. Wer genug gelaufen ist, kann – nach einer Pause samt Stärkung in St. Peter – den Bus zurück nach St. Märgen nehmen und sich dort noch die Klosterkirche anschauen. Wer weiterpilgern möchte, wandert bis zur Wallfahrtskirche Maria Lindenberg hoch über dem Dreisamtal, wo die Route auf die Höhenvariante des Himmelreich-Jakobuswegs trifft. Dieser führt über das Eschbach- und Dreisamtal und die Wallfahrtskapelle St. Ottilien bis zum Freiburger Münster. Auch dort ist der Jakobsweg natürlich nicht zu Ende … alle Wege führen nach Santiago de Compostela! In diesem Fall über das Dreiländereck, die Schweiz und Frankreich bis nach Spanien. Den Weg weist, wie immer, die Muschel auf blauem Grund.

Info

Dauer: rund 2,5 Stunden
Länge: 9,5 Kilometer
Aufstieg: 147 Meter
Abstieg: 319 Meter