Dschungel mit Strandrand: São Tomé und Príncipe: Zwei fast vergessene Paradiese Reise-Special | 21.10.2019 | Lars Bargmann

Scheinbar vergessen, irgendwo im Nirgendwo, könnte man sagen, liegen die beiden Inseln São Tomé und Príncipe (STP). Nur rund 6000 Touristen kommen jährlich, 16 am Tag. Dabei sind es malerische Naturparadiese, die da als grüne Pünktchen im Golf von Guinea vor der westafrikanischen Küste liegen.

Dichter Dschungel, einsame Sandstrände mit Kokospalmen, über 2000 Meter hohe Berge, meist im dichten Nebel, dreiviertel der Fläche tropischer Regenwald – das kleine Inselpaar, seit 1975 unabhängig von Portugal, ist um Reize nicht verlegen. Und blickt auf eine reiche Geschichte zurück: Wichtiger Handelsplatz im Atlantik, Umschlagplatz für den organisierten, internationalen Sklavenhandel, Exportweltmeister für Kakao, Kaffee und einst auch Zuckerrohr, Heimstätte für Regierungsputsche. So reich die Natur und Historie, so arm sind die allermeisten der nur rund 200.000 Einwohner. Verdienst pro Kopf und Jahr: rund 1600 Euro.

Zeigt her Eure Zungen: Einheimische Kids spielen am Hafen.

Bald sind es 45 Jahre, die der Zwergstaat, nach den Seychellen der zweitkleinste Afrikas, für sich allein verantwortlich ist. Die Freiheit macht sich bemerkbar, etwa in einer verlotterten Infrastruktur: Aufgeplatzte Gehwege säumen die Hauptstadt São Tomé, an der Küste erzählen ineinander gebrochene Balustraden von besseren Zeiten, ein Boot ist an der gefährlichen Küstenlinie in Seenot geraten und an einer Kaimauer zerschellt. Da liegt es nun offenbar seit Jahren in seinen Fragmenten. Kein Grund, daran etwas zu ändern.

Die Ministerin für dieses und jenes liegen derweil gut gepflegt am Wasser, der schmucke Präsidentenpalast ist bewacht, ein Foto mit den beiden uniformierten Wachtposten kostet zwei Zigaretten. Im Präsidentengarten blüht es farbenprächtig. Abseits der Verwaltungsgebäude mutet die Szenerie in der 60.000-Einwohner-Hauptstadt zuweilen ein bisschen sozialistisch an.

Typisch: Was nicht mehr gebraucht wird, vereint sich peu à peu mit der Natur.

DDR mit direktem Anschluss an den südlichen Ozean, könnte man formulieren, wollte man Leserbriefe provozieren. Doch sobald man aus den kleinen Städten und Dörfern raus ist, ist São Tomé eine herrliche Insel, die zu stundenlangen Wanderungen einlädt, auf denen es nie langweilig wird. Allein im Obô-Nationalpark gibt es 120 endemische Pflanzen, auch von rund 55 Vogelarten sind 15 endemisch und gehören damit zu den seltensten Vogelarten der Erde. Und da die Holzindustrie fast gar keine Rolle spielt, haben São Tomé und Príncipe noch die intaktesten Urwälder der Erde. Am Wasser locken pittoreske Buchten – Dschungel mit Wasserschildkröten-Sandstrand. Wasserfälle und Lagunen im Hochland inklusive.

Birdwatching ist ein Muss

Kulinarischer Höhepunkt und ein Muss für Besucher ist die Roça São João an der Südostküste, wo der gefeierte portugiesische TV-Koch João Carlos Silva mit viel Leidenschaft sein Restaurant betreibt, mit einer kleinen Glocke seine Kellner zusammenklingelt, um irgendeine Kleinigkeit behänd auf irgendeine Kleinigkeit zu tröpfeln. Silva schlendert auch kurz zu den Gästen und plaudert ein bisschen.

Direkt auf dem Äquator: Die Säule steht halb und halb auf der nördlichen und südlichen Erdkugel auf der Insel Rolas.

Besuchenswert sind außerdem der botanische Garten auf 1000 Metern bei Bom Sucesso und die Roca (einstige Plantagenanlagen und Herrenhäuser der Kolonialisten) Monte Café, wo es auf einer Dachterrasse besten Kaffee gibt und man den Kindern, Schweinen, Hühnern, Hunden und Katzen auf der Straße zuschauen kann und wo sich Natur und Architektur miteinander verschränken.

Südlich von São Tomé liegt Rólas, mit einem kleinen Boot sind wir in 20 Minuten drüben. Wir schlendern durch ein Dorf mit 300 Seelen, die in aufgeständerten Hütten leben. Auf einer kleinen Anhöhe stehe ich mit dem rechten Bein auf der nördlichen Halbkugel, mit dem linken auf der südlichen. Direkt auf dem Äquator ragt eine viereckige Säule aus einem vielleicht 150 Quadratmeter großen Mosaik heraus, auf dem die Welt mit kleinen Kacheln nachgebaut ist.

Pittoresk: Strand am Pestana Equador.

Der kleine Assis hatte uns beim Streunern auf der Insel abgepasst, erzählt, dass er für eine Touristenagentur arbeite, uns stolz seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Auf dem Weg nach oben zeigt er immer wieder auf Bäume und Pflanzen, Blätter, die gut gegen Bauchweh sind, andere sind gut für die Zähne, wieder andere gehören in den Salat. Sein Freund wartet schon am Äquatorplatz mit selbst gemachten Masken und anderem Schnitzwerk.

Zwei Mal täglich bringt Joacinto mit seinem Boot Gäste von São Tomé nach Rólas und zurück, wenn sie nicht im Pestana Equador übernachten, wo das Leben ein paar Takte langsamer läuft. Nach seiner letzten Tour bringt der Fährmann sein Boot in Sicherheit und fährt dann mit einem Stand-up-Paddel-Board, das nur so lang ist wie er hoch, ganz gemächlich ans Ufer. Der Atlantik erzählt den ganzen Tag und auch die komplette Nacht seine Geschichten, mal lauter, mal weniger laut, aber nie leise.

Tomate oder Firschkopf: Auf dem Markt in Santo António herrscht dichtes Treiben.

Wir fahren mit dem Boot zurück nach São Tomé, direkt zum Flughafen, wo uns die staatseigene Maschine der STP Airways – mit 37 Sitzen an Bord – in einer knappen Stunde in die Hauptstadt Santo António der Schwesterinsel Príncipe bringt. Wir werden abgeholt und hoppeln auf einer Schlaglochpiste ins nächste Paradies, das hier auf den Namen Sundy Praia hört. Auch diese Anlage gehört Mark Shuttleworth, dem Selfmade-Milliardär, der als erster Afrikaner im All war. Zeltvillen lose zwischen Primärwald und Küste verstreut, Postkartenidylle pur.

Weiter im Norden liegt der Praia Bananas, an dem der berühmte Bacardi-Rum-TV-Spot gedreht wurde. Abends im stylischen Restaurant sitzt Joanne Harris am Nebentisch, die durch ihren Roman „Chocolat“ berühmt geworden war, der im Jahr 2000 mit Juliette Binoche und Johnny Depp verfilmt wurde. Harris erzählt, wie Binoche bei ihr zu Hause alles auf den Kopf gestellt hat und Depp sich ständig um seine Haare sorgte. Auf einer Leinwand läuft zu feinem Essen der alte Streifen. Wir fühlen uns auch wie im Film.

Dear Mr. President: Präsidentenpalast auf São Tomé: Gegen zwei Zigaretten lassen sich die Wachen auch fotografieren.

Príncipe ist die Kakaoinsel, hier hat der berühmte „Schokoladenpapst“ Claudio Corallo seine Plantagen. Kakao ist für STP immer noch der Exportschlager, aber auch Kaffee, Palmöl und Kopra, aus dem Kokosöl gewonnen wird. Aus Angola kommt der Treibstoff, die einstigen Kolonialherren liefern Konsum- und Investitionsgüter.
Príncipe wurde 2012 von der Unesco zum Welt-Biosphärenreservat ernannt und Gründe dafür gibt es wie Kakaobohnen. Zu schön, um wahr zu sein, denkt man zuweilen, wenn man die Insel durchstreift oder durchfährt.

Als ich den Mietwagenhändler an meinem Hotel frage, ob er meine Driver Licence sehen will, lacht der nur und gibt mir den Schlüssel. Auf dem Weg zum Belo Monte sammeln wir ein holländisches Pärchen ein, das sich im dichten Regen mit Palmblättern schützt, und bringen es in die Roca Belo Monte, ihre Herberge, wo sie sich mit einem Cappuccino bedanken. Von hier oben sieht man auch die kleine Ilhéu Bom Bom am Nordzipfel der Insel, wo das gleichnamige Resort an einem der vielen malerischen Strände liegt und den Gästen stets plaudernde Graupapageien über die Köpfe fliegen.

Schattiges Plätzchen: Lässiges chillen an der Wasserkante.

Früh am Abend – die Sonne geht am Äquator schnell unter – landen wir in unserer Roca Sundy, auch eine alte Plantage mit kolonialem Hauptgebäude. Vor einer Fassade erinnern eine Schautafel und eine Stele an jenen 29. Mai vor exakt 100 Jahren, als auf Príncipe – und zeitgleich im brasilianischen Sobral – eine Expedition unter Leitung des Astronomen Arthur Stanley Eddington experimentell die Richtigkeit von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie bewies.

Unten im Garten sitzt ein Kingfisher, ein Eisvogel, auf einer Felsbrüstung. Der Kellner bringt einen portugiesischen Rotwein. Aus der Bar dringt kapverdische Musik. Der Kingfisher hebt ab – nach irgendwo im Nirgendwo.

Infobox:

Anreise: Flüge in kleineren Maschinen der TAP gibt es über Lissabon, gewitzte Reisende fliegen über Ghana, weil von der Hauptstadt Accra größere Maschinen in dichterem Takt mit deutschen Flughäfen verbinden.

Geld: Unbedingt Bargeld mitnehmen. 23.500 Dobra sind etwa einen Euro wert. Hotels akzeptieren Euro, Dollar oder Kreditkarten.

Reisezeit: Die besten Reisezeiten sind von Mai bis September und von Dezember bis Februar. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei hoher Luftfeuchtigkeit bei 26 Grad. Wer länger als zwei Wochen auf den Inseln bleiben will, braucht ein Visum und eine Gelbfieberimpfung, Tropenärzte empfehlen zudem eine Malaria-Prophylaxe.

Geschichte: Deutschland und England hatten am 13. August 1913 einen Vertrag unterzeichnet, wonach Sao Tome und Príncipe bei einer Insolvenz Portugals als Entschädigung dem deutschen Kolonialreich zugeordnet werden sollten. Dieser Vertrag wurde durch den Verlust der deutschen Kolonien im Versailler Vertrag von 1919 hinfällig.

Literatur: Miguel Sousa Tavares, Am Äquator, Roman, Gebunden, 480 Seiten, 2005, C. Bertelsmann Verlag und der englische Reiseführer von Kathleen Becker, São Tomé and Príncipe, 2.Auflage 2014, Bradt. Deutsche Führer gibt es nicht.

Veranstalter:  http://www.reisenmitsinnen.de

Fotos: © iStock.com/Travelpicture, mm