Der wvib wurde schon 75 Jahre alt, mischt sich aber sehr agil ins Geschehen ein STADTGEPLAUDER | 17.05.2021 | Lars Bargmann

Christoph Münzer (m.), Thomas Burger (r.) und Jörn Rickert (Geschäftsführer CorTec GmbH) Die große wvib-Party zum Jubiläum steht noch auf der Corona-Kippe: Christoph Münzer (m.), Thomas Burger (r.) und Jörn Rickert (Geschäftsführer CorTec GmbH) bei der Vorstellung der jüngsten Konjunkturumfrage.

Der neue Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung, das Pandemiemanagement der Bundesregierung, das umstrittene Rahmenabkommen der EU mit der Schweiz – es gibt viele aktuelle Themen, die Christoph Münzer, den Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden (wvib), aktuell beschäftigen. Das eigene Jubiläum indes nur am Rande.

Es war der 9. Mai 1946, ein Donnerstag, als sich in Freiburg erstmals der Gründungsbeirat der Fachvereinigungen Maschinenbau und Gießereien, Drahtziehereien und Kaltwalzwerke, Metallverarbeitung und Metallgießereien traf. Der erste Meilenstein in der Geschichte des wvib, der am 9. Mai sein 75-jähriges Bestehen „feierte“. 

Galt es 1946, unter französischer Regie, überhaupt an Material zu kommen – bis zur Einführung der D-Mark war übrigens Schwarzwälder Kirschwasser eine beliebte Ersatzwährung –, ist die Schwarzwald AG, wie sich der wvib gerne nennt, heute vor allem ein Instrument für Wissenstransformation und ein politischer Stellvertreter für mehr als 1000 Mitgliedsbetriebe mit mehr als 380.000 Beschäftigten und 74 Milliarden Euro Umsatz.

Münzer ist gerade beim Einparken, als er das Telefon abnimmt. „Wir können loslegen“, sagt er, während sein Auto lautstark beweist, dass es mit Assistenzsystemen ausgestattet ist. In Stuttgart hat der alte und neue Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerade den neuen Koalitionsvertrag vorgelegt. Ambitionierte Klimaziele seien sicher richtig, „aber wir haben ein bisschen Angst, dass die Marktwirtschaft vor lauter Klimarettungswillen über Bord geht“, sagt Münzer. Nicht zig Einzelverordnungen, sondern eine „kraftvolle Ausweitung des Zertifikathandels“ mit deutlich höheren CO2-Abgaben sei besser. Denn darauf könnten sich die Marktteilnehmer einstellen.

„Zu viel Plan, zu wenig Wirtschaft“

Verbandspräsident Thomas Burger kritisierte „viel visionäre Rhetorik“, „zu  viel Plan, zu wenig Wirtschaft“. Die Koalitionspartner hätten einen „grünen Formulierungs-Luftballon steigen“ lassen, der womöglich bald „am Kleingedruckten des Finanzierungsvorbehalts“ platzen werde. Als die Grünen 2011 an die Macht kamen, waren viele Unternehmer sehr skeptisch. Wie Münzer die vergangenen zehn Jahre grün-schwarz bewertet? Viele Zweifel hätten sich nicht bewahrheitet, das habe aber auch an der „brummenden Konjunktur“ gelegen: „Wenn man 10 Prozent mehr Rendite hat, lösen sich 100 Prozent der Probleme.“ Zudem sei Kretschmann ein Ministerpräsident, der „schwarze Politik grün lackiert“ macht.

Über die Performance der Bundesregierung hat er zwei Meinungen: „Der Bund hat auf eine neuartige Krise ganz schnell reagiert, der Teil Sozialstaat hat gut funktioniert. Vom Management-Teil haben wir aber mehr erwartet, da sind wir schon enttäuscht.“ Während sich die Politik von Gipfel zu Gipfel hangelte, sei die Industrie „schneller und weiter“ gewesen. Wenn in Berlin vorgeschrieben wurde, dass Schichten getrennt werden müssen, hätten die Unternehmer das schon lange umgesetzt. Oder jetzt die Betriebsärzte: „Die hätte man ja wirklich auch im November schon einbinden können.“

Zudem sei es, wie bei den kostenlosen Tests, „sehr irritierend, dass der Staat die Unternehmen zunehmend wie eine Behörde behandelt. Diese seien aber kein Teil des Staatsapparates. Gerade die Industrie habe in der Krise die Wertschöpfung geleistet, auch für die anderen Branchen. Sie brauche nicht noch mehr Staat. Sie, die Unternehmer, bräuchten vielmehr „so viel Freiheit, dass sie für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können“.

Der Bund müsse bei all den Corona-Hilfen nun mal „weg von der Gießkanne“. Es sei „Quatsch“, wenn Daimler Beschäftigte in Kurzarbeit schicken kann und gleichzeitig monströse Gewinne mache. Es brauche vielmehr kräftige Investitionen in die Infrastruktur. Zum Glück sei die Automobilbranche nach dem ersten Lockdown schneller als erwartet wieder stark gewesen, vor allem wegen der Nachfrage aus China, dann aber auch aus USA mit seinem „Monsterkonjunkturprogramm“. 

Zum aktuellen Streit um das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz, da geht es wie mit Großbritannien auch um Handelsbarrieren und Zölle, hat Münzer eine grundsätzliche Haltung: Wie intelligent es sei, dass ein so kleines Land sich den Luxus leistet, jede Dienstleistungsrichtlinie anders als die es umgebende EU zu regeln, wisse er nicht. Auf der anderen Seite gebe es dann wieder „Trittbrettfahrerelemente“. Der wvib wünsche sich auf lange Sicht jedenfalls „weniger Grenzen und stärkere Angleichungen“. Insgesamt seien die Mitgliedsbetriebe der Schwarzwald AG stark durch die Pandemie gekommen, hätten Resilienz bewiesen. „Die Krise in der Breite“, sagt Münzer, „ist vorbei.“

Info

Der wvib vertritt aktuell 1028 Unternehmen mit 237.000 Beschäftigten im In- und 125.000 Beschäftigten im Ausland. 1950 waren es 260 Betriebe, 1980 rund 630, 2000 etwa 900, vor zehn Jahren 990. Während die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2021 bundesweit um 1,7 Prozent zurückging, wuchs der Umsatz der wvib-Betriebe um 4,3 Prozent, die Auftragseingänge um 17,4 Prozent.

Foto: © wvib