Auf der Suche nach der Spaß-Formel: Stephan Alt entwirft Achterbahnen STADTGEPLAUDER | 10.02.2020 | Philip Thomas

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Drei Jahre vergehen von der Idee bis zur Fahrt einer Achterbahn beim Fahrgeschäfthersteller. Mack Rides. Die Anlagen können immer waghalsiger gebaut werden – auch Dank eines Programms, das der 30-Jährige Entwicklungsingenieur Stephan Alt geschrieben hat.

Stephan Alt kam zu seinem Traumjob wie die Jungfrau zum Kind. Statt wie die meisten seiner Kollegen bei dem Fahrgeschäft-Spezialisten Mack Rides in Waldkirch nach dem Studium eine Bewerbung zu schreiben, schrieb der 30-Jährige ein Computerprogramm zur Simulation von Achterbahnen. Und zwar während des Studiums. Drei Jahre tüftelte der Robotik-Student täglich mit Laptop auf dem Schoß im Bus zur Uni. Seine Software machte im Netz schnell die Runde und landete nach einigen Loopings auf dem Rechner von Dennis Gordt, Entwicklungsleiter von Mack Rides. „Über den Quellcode hat er mich schließlich erreicht und mir einen Vertrag angeboten“, erinnert sich Alt, der schon dieZusage einer Virtual-Reality-Firma in Kalifornien in der Tasche hatte.

Alt entschied sich gegen das Silicon Valley und fürs Elztal, für seine Leidenschaft: Achterbahnen. „Mein Programm wurde schließlich übernommen“, berichtet er. Mit seinen Zeilen gelang es, Berechnungen schneller und präziser zu machen.

Auch Alts Freizeit dreht sich um rotierende Körper. Und zwar den eigenen: Der Achterbahn-Entwickler ist Europa- und Vizeweltmeister im Turmspringen. „Das ist mein Ausgleich“, sagt er. Zehn Meter über der Wasseroberfläche habe er gelernt, die Arbeit loszulassen und abzuschalten. Komplett schmerzfrei war der Sprung in die Weltspitze nicht: In seiner Heimatstadt Aachen fiel der heutige Medaillengewinner beim SV Neptun durchs Netz und wurde in eine jüngere Trainingsgruppe gesteckt. „Talentfrei“ und „zu spät angefangen“, habe es damals über den Zwölfjährigen geheißen. Bei der Wahl zu Freiburgs Sportler des Jahres 2017 wählten Alts Laudatoren andere Worte.

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Theorie und Praxis: Ingenieur Stephan Alt dreht gerne mal eine Runde im Europa-Park.

In Waldkirch trägt er lieber Hoodie statt Anzug. Nach langen Trockenübungen am Rechner macht er gerne einen Abstecher in den Europa-Park und tauscht Theorie gegen Praxis. Zum Beispiel in der von ihm entworfenen und 2018 neu eröffneten Eurosat. „Während der Fahrt achte ich aber weniger auf die Strecke, sondern darauf, an welcher Stelle die Leute am lautesten schreien“, sagt er. Was eine gute Achterbahn ausmacht? Auf jeden Fall genug Airtime, also die Zeit in der Schwerelosigkeit, sowie ein ausgeglichenes Kurvenverhältnis. „Die Spaß-Formel habe ich noch nicht gefunden. Aber ich arbeite daran“, scherzt Alt.

Alles wird durchgespielt

Vieles von dieser Arbeit ist für den Parkbesucher unsichtbar. „Die Leute sollen sich keine Gedanken machen, das ist Aufgabe der Ingenieure“, erklärt er. Er hingegen „sehe“ die Berechnungen, die in einer Achterbahn stecken. „Das ist komplizierte, vierdimensionale Mathematik“, betont der Ingenieur. Auf Knackpunkte wie Bandscheiben, Wirbelsäule und Nackenmuskulatur achtet er bei seinen Berechnungen besonders. Zu wüst darf es nicht werden: „Besucher sollen Spaß haben, ohne an die Grenze getrieben zu werden.“

Das gesamte Thema Sicherheit braucht viel Hirnschmalz: „Alles wird durchgespielt, egal wie unwahrscheinlich der Fall ist.“ Entsprechend hoch seien die Standards im Europa-Park: Doppelte Hydraulikzylinder halten ein Vielfaches des notwendigen Gewichts aus, Bügel sind zweifach vorhanden, und Wagenräder umschließen Schienen von jeder Seite. „Jedes Teil darauf kann ausfallen, und es darf trotzdem nichts passieren“, betont Alt. Er ist sich sicher: „Wenn Achterbahnen ein Fortbewegungsmittel wären – sie wären statistisch das sicherste der Welt.“ Entsprechend mutige Designs flimmern heute über die Monitore bei Mack Rides.

Das war nicht immer so. Die 2002 im Europa-Park eröffnete Silver-Star-Achterbahn kaufte das Familienunternehmen noch bei einer Firma aus der Schweiz. An einen bis zu 73 Meter hohen und bis zu 130 Stundenkilometer schnellen Hyper-Coaster traute man sich bei Mack Rides damals nicht heran. Bei der Attraktion spricht man in Rust noch heute von einem „technischen Quantensprung“. Alt hat mit seinen Kollegen in wenigen Jahren große Sätze gemacht und damit nun das Know-how für noch abgefahrenere Anlagen: 2016 drehte „Flash“ aus der Feder seiner Firma die erste Runde durch einen Park in China. Der eingebaute ­Looping ist mit 52 Metern der höchste der Welt. Für den Ingenieur gibt es allerdings nur eine Grenze: den Himmel.

Fotos: ©  Europa-Park, pt