„Das ist Zukunftsmusik“: Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe über HIV STADTGEPLAUDER | 18.07.2018

Der Freiburger Forscher Toni Cathomen will HIV mit Genscheren heilen (chilli berichtet). Um Beratung, Prävention und Aufklärung der Betroffenen kümmert sich die Deutsche Aidshilfe. Ihr Sprecher Holger Wicht (47) kennt die Lage der Patienten. Im Interview mit Till Neumann erzählt er von Ausgrenzung und appelliert daran, sich im Zweifelsfall testen zu lassen.

chilli: Herr Wicht, wie gehen Betroffene mit Forschungserfolgen rund um HIV um?
Wicht: Man hört immer wieder von Durchbrüchen in der Forschung, das macht natürlich Hoffnung. Viele Betroffene sind aber eher skeptisch, denn oft geht es nach den ersten Erfolgsmeldungen nicht weiter.

chilli: Glauben Sie, dass HIV geheilt werden kann?
Wicht: Früher wurde man in Fachkreisen belächelt, wenn man von Heilung gesprochen hat. Vor einigen Jahren gab es aber einen Schub in der Forschung. Plötzlich schien der große Wurf in absehbarer Zeit denkbar. Die Methode der Genscheren ist vielversprechend. Damit HIV zu heilen, ist aber noch Zukunftsmusik. Die HIV-Infektion ist sehr komplex.

Berichtet von Ausgrenzung: Holger Wicht

chilli: Worauf hoffen Betroffene?
Wicht: Die Eradikation, HIV aus dem Körper vollständig zu entfernen, ist das höchste Ziel. Mittlerweile versucht man aber auch, das Immunsystem fit zu machen, damit man dauerhaft ohne Medikamente mit HIV leben kann. Schon heute können HIV-positive Menschen leben wie andere Menschen auch: Sexualität und Familienplanung inklusive, denn die HIV-Therapie verhindert auch die Übertragung. Die Lebenserwartung ist nahezu normal.

chilli: Ist das bei allen so?
Wicht: Wenn die Infektion rechtzeitig erkannt wird, ist sie gut behandelbar. Leider trauen sich viele nicht, einen Test zu machen. Sie verdrängen eine mögliche Ansteckung und gehen somit ein großes Risiko ein.

chilli:Worunter leiden die Betroffenen am meisten?
Wicht: Der soziale Druck ist weiterhin groß. HIV-Positive leben oft mit der Angst vor Diskriminierung und Schuldzuweisungen. Das kann auf der Arbeit passieren, potenzielle Partner können Abstand nehmen, Zahnarztpraxen können einen aus falscher Vorsicht abweisen. Um nur einige Beispiele zu nennen.

chilli: Steht Deutschland in der HIV-­Bekämpfung gut da?
Wicht: Bei der Heilungsforschung passiert noch zu wenig. In der Prävention aber sind wir sehr erfolgreich, obwohl es noch Lücken gibt. Etwa bei der Finanzierung der HIV-Prophylaxe PrEP. HIV bleibt global ein großes Problem. In Osteuropa steigt die Zahl der Infektionen steil an.

AIDS in Zahlen

> Etwa 90.000 Menschen leben in Deutschland mit HIV
>Weltweit sind es rund 36,7 Millionen Betroffene
> Etwa 39 Millionen Menschen sind an der Krankheit bisher gestorben
> Rund eine Million Menschen erliegen dem Virus jedes Jahr
> In Deutschland sterben im Jahr 460 Menschen daran
> 90 Prozent der Infizierten wissen von ihrer Krankheit
> 90 Prozent haben Zugang zu Medikamenten
> Ein kostenloser und anonymer Schnelltest dauert 30 Minuten

Fotos: © Till Neumann & Deutsche Aids-Hilfe

Schere gegen Aids: Freiburger Forscher will HIV heilen