Dazwischengefunkt: Freiburg streitet über den Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G STADTGEPLAUDER | 06.01.2020 | Philip Thomas

5G

Bis zu zehnmal mehr Bandbreite, viermal weniger Verzögerung, mehr Anschlüsse und geringerer Energieverbrauch: Die Mobilfunktechnik 5G soll schon 2020 in Deutschland verfügbar sein und hängt aktuelle Netze in allen Bereichen ab. Doch über selbstfahrende Autos, Sprachassistenten und eine „Smart-City“ freut sich in Freiburg nicht jeder. Gegner haben wegen der neuen Strahlen Angst um ihre Gesundheit. Sie sprechen von „Lügen“ und einer davon, auszuwandern.

Vor dem Geschäft von Michael Berstecher hängt ein rotes Schild: „Der Verkäufer reagiert elektrosensibel. Handys und Smartwatches müssen zwingend und vollständig ausgeschaltet sein.“ Vor drei Jahren stellten sich beim Gitarrenbauer laut eigener Aussage kribbelnde Kopfhaut, verschwommene Sicht und Wortfindungsschwierigkeiten ein. Und zwar immer dann, sobald er sein Handy in die Hand nahm. „Ich hatte ein Brummen im Kopf. Mir wurde speiübel“, berichtet er. Ärzte, Psychologen und Hypnose brachten keine Linderung. Das Einzige, was helfe, sei das Vermeiden von menschengemachter Strahlung.

Mit seinem Leiden ist Berstecher nicht alleine. Nach einer Studie des Bundes­amtes für Strahlenschutz (BfS) bezeichnen sich zwei Prozent der Bevölkerung als elektrosensibel. Der 46-jährige fürchtet sich vor 5G: „Wir leben in einem elektromagnetischen Ozean, natürliche Frequenzen werden überlagert, und das soll jetzt noch obendrauf.“

Viele Freiburger teilen diese Angst: Berstechers Online-Petition gegen die 5G-Einführung hatte zum Redaktionsschluss rund 7700 Unterschriften, bei einer Einwohnerversammlung zum Thema reichten rund 900 Plätze im Paulussaal nicht aus, und das Aktionsbündnis „Freiburg 5G-frei“ sammelte bis September mehr als 3500 Signaturen gegen den Ausbau.

Dem BfS sind die Ängste und Argumente bekannt. „Bei Einhaltung der Grenzwerte kennen wir aus experimentellen Studien keine Symptome, die von nieder- oder hochfrequenten Feldern ausgelöst werden“, so BfS-Pressereferentin Nicole Meßmer. Unterhalb der Grenzwerte erwartet die Behörde keine gesundheitlichen Auswirkungen.

„Das sind glatte Lügen“, behauptet Wolf Bergmann, Initiator von „Freiburg 5G-frei“. Auch er sieht das neue Netz kritisch. „5G ist eine ganz andere Nummer. Die Strahlenbelastung ist viel höher“, sagt der Arzt für Allgemeinmedizin und Homöopathie. Die neue Technik sende nahezu auf der gleichen Frequenz, wie sie menschliche Zellen hätten. Die entstandene Resonanz bringe eine ganze Bandbreite gesundheitlicher Folgen mit sich. Beim Thema Grenzwerte bleiben für ihn zahlreiche Fragen offen: „Diese Werte haben keinerlei Bezug zu den seit Jahrzehnten bewiesenen biologischen Wirkungen des Mobilfunks bei Menschen, Tieren und Pflanzen.“

Karsten Buse, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik in Freiburg, sieht keinen Grund zur Beunruhigung: „Die Emissionen von 5G per übertragenen Bit werden geringer sein. Die Grenzwerte, welche für 4G festgelegt wurden, gelten auch für 5G. Ich gehe davon aus, dass diese mit Sicherheit eingehalten und in der Regel deutlich unterschritten werden.“ Auch Bernd Mutter, Leiter des zum Jahreswechsel neu geschaffenen Freiburger Amts für Digitales und IT (DIGIT), weiß um die Kontroverse: „Die Bilder liegen weit auseinander.“ Studien gebe es auf beiden Seiten. Er vermutet: „5G ist eine Chiffre für Unbehagen gegenüber der Digitalisierung. Da geht es auch um gesellschaftliche Entwicklung.“

In einer Studie des Bundesverbands für Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien liegt Freiburg bei der Digitalisierung auf Platz 25. Den Ausbau vorantreiben soll eine vom Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossene 26,5 Millionen Euro teure Digitalstrategie. Das im Dezember verabschiedete Paket betrifft vom Straßenverkehr bis zur Bauplanung sowie Schulen nahezu jeden Lebensbereich in Freiburg. Für den Aktionsgründer Bergmann erst mal nichts Schlechtes. „Es geht nicht darum, die Digitalisierung zu verteufeln“, sagt er. Aber Vorsicht: Tablets in der Schule könnten zwar sinnvoll sein, aber nur, wenn sie an die Leine genommen werden.

„Die Breitbandversorgung muss in Zukunft verbessert werden, aber wegen steigendem Bedarf gewinnt auch der mobile Datenverkehr an Bedeutung“, prognostiziert Christof Balles, Projektleiter beim DIGIT. Weil der 5G-Ausbau über private Anbieter läuft, sei der Einfluss des Rathauses, auch rechtlich, begrenzt. Bergmann fordert die Stadt Freiburg auf, es Brüssel gleich zu tun und für ein Moratorium „Stopp 5G“ einzutreten. „Ein möglicher juristischer Schritt dazu wäre eine sogenannten Veränderungssperre. Das käme einem zeitweiligen Moratorium gleich“, sagt er. „Die Brüsseler sind keine Versuchskaninchen“, hatte Gesundheitsministerin Céline Fremault im April betont und 5G den Stecker gezogen.

In Freiburg steht Amtsleiter Bernd Mutter derzeit mit 5G-Anbietern in Kontakt. Wann es in Freiburg verfügbar ist? „Sicherlich nicht in den nächsten Monaten.“ Physiker Buse rechnet auch danach nicht mit einem flächendeckenden Ausbau: „Das wird nur dort kommen, wo viel Bedarf an mobiler Kommunikation ist.“ Berstecher überlegt, auszuwandern: „Die Frage ist nur, wohin?“

Richtigstellung: In einer ursprünglichen Fassung hieß es im vorletzten Absatz fälschlicherweise: Bergmann ist aber gegen ein Veränderungsverbot wie in der belgischen Stadt Brüssel.“

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