Deutungsstreit um Mietspiegel geht weiter: Zahlen die Freiburger zu viel? STADTGEPLAUDER | 12.09.2016

Unlängst sorgte ein Münchener Professor für viel Unruhe im Breisgau: Der Statistiker Göran Kauermann von der Ludwig-Maximilians-Universität schockte die Verantwortlichen mit der Aussage, der Mietspiegel in Freiburg sei schlichtweg falsch und alle Mieten um fünf Prozent zu hoch. Mittlerweile wird im Auftrag des Rathauses der neue Mietspiegel erarbeitet – und der Streit geht weiter.

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Wie bei jedem Streit ist auch hier die Frage: Wer hat recht? Die Antwort ist nicht so einfach. Denn zur Ermittlung eines Mietspiegels kann man grundsätzlich verschiedene Rechenwege heranziehen. Das Gesetz legt hier keinen Rahmen fest. Und hatte Kauermann anfangs noch behauptet, beim Mietspiegel sei ein simpler Rechenfehler passiert, so kritisiert er jetzt nur noch die Methodik.

Für die Stadt Freiburg rechnet das Hamburger Gewos-Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung nach einer Regressionsmethode, dem sogenannten Regensburger Modell. Dabei werden in einer Umfrage die Durchschnittsmieten erhoben und dann in einer nach Wohnungsgröße gestaffelten Tabelle erfasst. Andere Faktoren wie Lage, Ausstattung oder Baujahr werden dann über Zu- oder Abschläge eingerechnet. Gewos hat diesen Weg nicht allein gewählt. Die Stadt hat dazu eine Arbeitsgruppe gebildet. In der sitzen auch Vertreter der Wohnungswirtschaft, Mieter und Mieterverbände sowie der Karlsruher Anwalt Thomas Hannemann. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltsverein.

„Um die Zu- und Abschläge für einzelne Wohnungen zu ermitteln, benötigt man eine Referenzwohnung“, erklärt Gewos in einer Pressemitteilung. Diesen Schritt nennt man erste Regression. Anschließend werden dann in der zweiten Regression die Zu- und Abschläge errechnet. Eine Wohnung mit großem Garten bekommt etwa einen Zuschlag, eine ohne Balkon ist dafür weniger wert.

Der Streit findet bereits auf der ersten Stufe statt. Der Münchener Professor sagt: Bevor man Zu- und Abschläge einpreist, muss man die Basismiete mit einer sogenannten Konstante multiplizieren, die in Freiburg bei 0,953 liegt. Gewos sagt: Nein, das muss man nicht. Das sei falsch, sagt Kauermann weiter und bleibt bei seiner Behauptung, dass alle Freiburger Mieter jeden Monat fünf Prozent zu viel zahlen würden. Wer 1000 Euro Kaltmiete zahlt, würde nach Kauermann jährlich also 600 Euro sparen. Die SPD-Fraktion forderte direkt nach Bekanntwerden des Streits eine „transparente und nachvollziehbare Aufklärung“.

Im Rathaus schaut man sich den Streit in aller Ruhe an. „Es handelt sich um einen fachlichen Dissens unter Experten, der auch anhand anderer Beispiele geführt wird“, sagt der städtische Pressesprecher Toni Klein. Gewos habe nach Kauermanns Kritik die Methodik überprüft und der Stadt mitgeteilt, dass alles seine Ordnung habe. „Das ist für uns maßgeblich“, sagt Klein.

Kauermann mag das nicht recht wahrhaben. Er hat der Stadt geraten, den Mietspiegel durch unabhängige Experten oder Gutachter prüfen zu lassen. Doch die Stadt sieht dafür keinen Anlass und lässt aktuell auch den nächsten Mietspiegel, der ab 1. Januar 2017 gelten soll, von Gewos errechnen. Dafür befragen die Hamburger 18.000 Haushalte. „Voraussichtlich im Dezember wird der Gemeinderat über diesen Mietspiegel entscheiden“, sagt Klein. Johannes Promann von Gewos bestätigt auf Anfrage: „An der Methode ändert sich nichts.“

Weil Kauermann sich aber sicher ist, dass Gewos falsch rechnet, sieht er die Stadt als leichtgläubig. Es ist so, als hätte man abends im Restaurant Pilze gegessen und sich darauf den Magen verdorben. Geht man dann am nächsten Tag zum Koch und fragt: „Waren deine Pilze schuld?“, so wird er wohl sagen: „Nein, meine Pilze waren es nicht.“ Und aus Kauermanns Blickwinkel bestellt die Stadt nun erneut beim selben Koch die ungenießbaren Pilze.

Zur Verteidigung der Stadt lässt sich sagen: Gewos ist nicht irgendwer: Die Hamburger sind eines der zwei führenden Büros, wenn es um Mietspiegel geht, haben diese im Südwesten auch für Mannheim und Villingen-Schwenningen erstellt. Auch Hamburg und die Region Hannover kaufen ihre Mietspiegel bei Gewos ein.

Dass es selbst unter renommierten Experten Streit über die Methode gibt, räumt auch Kauermann ein. Er schiebt aber hinterher: „Gewos ist das Problem beim Regensburger Modell gar nicht bekannt.“ Schon bei der Erstellung des Mietspiegels in Berlin durch eine andere Firma habe dieser Fehler in der Methodik zu falschen Ergebnissen geführt. „Aber in Freiburg ist es noch eklatanter“, sagt Kauermann beharrlich.

Und man muss wissen, dass der Professor nicht nur ein wissenschaftliches Interesse hat, sondern auch ein wirtschaftliches. „Wir wollten uns vor zwei Jahren auch um die Erstellung des Freiburger Mietspiegels bewerben“, gibt er frei zu, „doch die Zeit war zu knapp.“ Nur so war er aber überhaupt über den Freiburger Mietspiegel gestolpert.

Gewos bleibt standhaft. „Die Vertreter von Mietern und Vermietern wollen gar nicht, dass wir anders rechnen“, so Projektleiter Promann. In einer Pressemitteilung vom 10. Mai, der ersten Antwort auf Kauermanns Kritik, schreibt Gewos: „Anstatt sich mit Herrn Professor Kauermann juristisch auseinanderzusetzen, hat Gewos einen anderen Weg gewählt: Im Rahmen der Erstellung des Freiburger Mietspiegels 2017 werden sich die Beteiligten miteinander abstimmen, um so ein für Freiburg optimales Ergebnis zu erzielen.“ Das wirft natürlich die Frage auf, was man optimieren muss, wenn doch alles richtig sein soll?

Kauermann bestätigt: Gespräche hat es gegeben. Einzig mit dem Ergebnis, dass man sich weiter uneinig sei. Für Freiburg sicher nicht die optimale Lösung. Man kann das Zitat von Gewos aber auch als erhobenen Zeigefinger für die Zukunft verstehen. Kauermann, der mit seiner andauernden Kritik auch seine Reputation aufs Spiel setzt, lässt das kalt: „Ich bin Wissenschaftler und kann sagen, was ich will. Ich habe keine Angst vor juristischen Konsequenzen.“

Text: Philipp Peters / Visualisierung: © Frey Architekten