Die Taubenflüsterin: Alexandra Oßwald kümmert sich um die Vögel – auch mit Fake-Eiern STADTGEPLAUDER | 16.11.2024 | Till Neumann
Alexandra Oßwald hat die Tauben liebgewonnen.Tauben gelten vielerorts als Problem. Die Stadt Limburg wollte das im Sommer mit Genickbrüchen lösen. Doch der Aufschrei war groß. Freiburg setzt dafür auf Taubenschläge. Taubenwartin Alexandra Oßwald kümmert sich täglich um die Tiere – und stibitzt ihnen Eier. Chilli-Redakteur Till Neumann war mit ihr unterwegs.
Es gurrt, es flattert, es wuselt. Umgeben von rund 100 Tauben steht Alexandra Oßwald im Taubenschlag und hat die Ruhe weg. Für die Taubenwartin ist das kleine Häuschen voll emsigem Federvieh der tägliche Arbeitsplatz. „Dobby und Eve“ hat sie zwei der Tiere genannt. „Einer meiner Lieblinge ist Snowy, der Schneetiger“, erzählt die 48-Jährige und zeigt auf einen Vogel mit auffallend weißen Federn. Er sitzt entspannt im Holzregal.
Seit Juli macht Oßwald den Job für die Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg GmbH (ASF). In nur wenigen Monaten hat sie sich mit den Tieren angefreundet. Sie erkennen Oßwald an der orangenen Weste und ihrem Gesicht. Mühelos nimmt sie ein Tier in die Hand und streichelt es: „Der Job macht Spaß, es ist schön.“ Auch wenn ein großer Teil der Arbeit im Saubermachen besteht. Täglich ist sie für drei bis vier Stunden hier im Taubenschlag Freiburg-Weingarten an der Bugginger Straße und entfernt unter anderem den Kot. Der Zugang zum Dach geht über eine kleine steile Leiter. Wer hier oben arbeitet, muss schwindelfrei sein.
Oßwald stibitzt den brütenden Tieren ihre Eier
Der vielleicht wichtigste Teil des Jobs ist ein fieser: Oßwald stibitzt den brütenden Tieren ihre Eier und ersetzt sie durch Attrappen. „Dreimal die Woche tausche ich und lege ihnen Fake-Eier ins Nest“, berichtet Oßwald. Die Tiere brüten dann weiter – aber ohne Ergebnis. Die Gipsattrappen zeigt Oßwald, sie sehen verblüffend echt aus. Die cleveren Vögel erkennen den Unterschied nicht.
Mit den Fake-Eiern wird die Population limitiert. Rund 2000 Eier sind in Freiburg vergangenes Jahr getauscht worden. Doch Vorsicht ist geboten, erklärt Zinaida Nabulsi von der Freiburger Initiative „RespekTiere Tauben“. Wenn man nicht aufpasse, würden die Tiere misstrauisch. „Damit ein Taubenhaus nicht bei den Tieren in Verruf gerät, muss man immer wieder ein Ei schlüpfen lassen“, erklärt die 56-Jährige. Hin und wieder suche man sich daher ein fleißiges Pärchen und lasse es ein Ei ausbrüten. Das überzeuge die übrigen: „Wenn die anderen Tauben sehen, da ist ein Küken, dann denken sie sich: Funktioniert, ist doch supi.“
Für Nabulsi sind Taubenschläge der ideale Weg: „Eine Win-Win-Situation für Tier und Mensch.“ Die Tiere bekämen so eine artgerechte Haltung. Und Menschen ihre Ruhe. „Tauben verbringen 80 bis 90 Prozent ihrer Tageszeit im Taubenschlag“, so Nabulsi. Nur zwei, drei Mal am Tag würden sie eine kleine Runde fliegen. Die Umgebung werde damit weitestgehend taubenfrei.
Der Taubenschlag an der Bugginger Straße ist 2021 als Pilotprojekt gestartet. Rund 150 Tauben leben dort. Mittlerweile hat Freiburg vier Taubenschläge. Drei werden von der ASF betrieben (Bugginger Straße, beim Kaufland auf der Haid, im Parkhaus am Schwabentor). Ein weiterer in Weingarten ist privat. Ein fünfter soll am Historischen Kaufhaus beim Münster entstehen. Und zwar durch eine Erweiterung eines dort bestehenden inaktiven Schlags. Rund 6000 Euro könnte das laut Rathausberechnungen von 2022 kosten. Wann genau das passiert, ist offen.
1500 Tauben gibt es in Freiburg
Rund 1500 Tauben gibt es in Freiburg. 80.000 Euro lässt sich die Stadt die Taubenschläge pro Jahr kosten. Für die Erweiterung am Münsterplatz läuft die Vorarbeit: Täglich ist Alexandra Oßwald dort in einer Gasse zur KaJo und füttert Tauben. Das Ziel: Sie möchte die Vögel an sich und den Standort gewöhnen, um sie am Tag x in den Taubenschlag zu führen. Außerdem zählt sie die Tiere, um zu wissen wie viel Bedarf es gibt.
„Das Füttern mache ich am liebsten“, sagt Oßwald und verteilt die bunte Körnermischung an diesem Mittwochvormittag vor sich auf dem Boden. Zahlreiche Tiere nehmen den Service in Anspruch und picken, was das Zeug hält. Weniger gut gefallen ihr dafür Bürger*innen, die schimpfen, weil sie sich um Tauben kümmert. Der Ruf der Vögel ist kein guter.
Oßwald ist eine von fünf ASF-Taubenwartinnen. „Durch den Betrieb der Taubenhäuser reduzieren sich die gewohnten Reinigungszyklen in der Umgebung nicht. Allerdings sind die Beschäftigten mit weniger Taubenkot konfrontiert“, berichtet ASF-Sprecher Peter Krauße. Der Vorteil der Taubenhäuser sei insbesondere für die Anwohner*innen spürbar, da auf Balkonen oder Autos weniger Verunreinigungen entstehen.
Alexandra Oßwald ist die Taubenflüsterin der Stadt
Sie per Genickbruch wie in Limburg zu töten, ist hier keine Option. Dort hat im Juni bei einem Bürgerentscheid eine Mehrheit für das Töten gestimmt. Der Aufschrei war groß. „Das Töten ist Unsinn“, betont Nabulsi. Die verbliebenen Tauben könne man nie im Leben einfangen. Dann kämen wiederum neue Tiere. Allein die Vergrämungsindustrie verdiene sich daran eine goldene Nase. Nabulsi ist überzeugt: „Nur mit Taubenschlägen lässt sich das Problem wirklich in den Griff kriegen.“
Auch Alexandra Oßwald ist davon angetan. Sie hat die Tiere liebgewonnen und ist mittlerweile sowas wie die Taubenflüsterin der Stadt. Auch wenn sie die Tiere ihrer Eier berauben muss, um ihnen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen.
Fotos: © Till Neumann