Einst Berufsverbot, jetzt berufen: Werner Siebler ist neuer DGB-Chef in Freiburg STADTGEPLAUDER | 12.04.2016

Der Stadtverband Freiburg des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hat einstimmig einen neuen Vorsitzenden gewählt: Werner Siebler, den langjährigen Betriebsrat bei der Deutschen Post AG und Vorsitzenden der ver.di-Betriebsgruppe Brief. Siebler ist kein Unbekannter: Der Tuniberger war 1984 als Briefträger entlassen worden, weil er Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei war. Er klagte sich erfolgreich zurück, erreichte aber keinen Beamtenstatus mehr.
 
Sein ganzes Arbeitsleben lang hat sich Werner Siebler in der Gewerkschaft engagiert.
 
Siebler übernimmt das Amt von Bernd Wagner, der den rund 30.000 Freiburger DGB-Mitgliedern 13 Jahre lang vorstand. Die beiden Gewerkschafter haben schon oft zusammengearbeitet, unter anderem während des Poststreiks im vergangenen Jahr, an dem Siebler als Betriebsrat und Ver.di-Gruppenvorsitzender maßgeblich beteiligt war.
 
Der 60-Jährige stand schon einmal an der Spitze einer DGB-Organisation: Von 1976 an war er fünf Jahre lang Vorsitzender des DGB-Jugendverbands. Er betritt „also kein Neuland“. Sein ganzes Berufsleben lang war er gewerkschaftlich engagiert, scheute in den oftmals harten Arbeitskämpfen keine Auseinandersetzungen. Er hat dabei eine Hartnäckigkeit entwickelt, die nicht nur den Kollegen zugute kam, sondern ihn selbst dorthin brachte, wo er heute wieder ist: bei der Post.
 
Dort hatte der gebürtige Waltershofener mit 15 Jahren als Postjungbote angefangen – mit der Ab- und Aussicht auf eine lebenslange Beamtenlaufbahn. Doch 1984 wurde der Briefträger im Rahmen des sogenannten Radikalenerlasses von 1972 entlassen: Als DKP-Mitglied war er „ins Visier des Verfassungsschutzes geraten“; die Behörden hegten Zweifel daran, dass seine Gesinnung mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sei.
 
Erst 1991 kam Siebler wieder zur Post: Er hatte sich auf eine öffentlich ausgeschriebene Stelle als Zusteller beworben. Obwohl der umstrittene Erlass bereits abgeschafft und die Post kein Staatsunternehmen mehr war, wurde er abgelehnt. Er klagte sich aber erfolgreich ein.
 

 
Jetzt, da er mit seinem Einstieg in die Altersteilzeit die letzte Phase seines Arbeitslebens einläutet, freut Siebler sich auf neue Herausforderungen. Darauf, „den Blick über die Post und ver.di hinaus auf andere Felder zu richten“. Und davon gebe es in Freiburg viele. Einerseits sei die Stadt „sehr reich gesegnet mit prekären Beschäftigungsverhältnissen“, in denen Menschen zu Niedriglohn und/oder in befristeten Verträgen arbeiten. Auf der anderen Seite gebe es aber auch viele gut bezahlte Arbeitsplätze im hochtechnologischen Sektor. Und entsprechend unterschiedlich seien die Interessen, die es zu vertreten gilt: In den Tarifrunden, die in diesem Jahr anstehen und in denen es – notfalls auch mit Streik – immer um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehe.
 
Verschlechterungen seien nicht hinnehmbar, so ist Siebler etwa strikt gegen alle Versuche, Sonderregelungen und Ausnahmen beim Mindestlohn durchzusetzen, für den die Gewerkschaften „mehr als zehn Jahre lang gekämpft“ hätten. Er solle im Gegenteil lückenlos eingeführt werden, auch für Flüchtlinge. Die 8,50 Euro seien viel zu wenig, die reichten „vorne und hinten nicht“ zum Leben.
 
Es müsse ganz schnell eine Erhöhung auf über zehn Euro erfolgen, sonst sei auch die Altersarmut vorprogrammiert: Wer 40 Jahre lang für seine Arbeit nur den jetzigen Mindestlohn erhalte, der habe später „praktisch gar keine Rente“ und müsse Grundsicherung beantragen. Siebler selbst wird voraussichtlich von seiner Rente leben können. Auch wenn sie geringer ausfällt als die, die er ohne Berufsverbot hätte erwarten können.
 
Text: Erika Weisser / Fotos: privat