Exklusives und Enttabuisiertes: Ein Rückblick auf ein paar Highlight-Storys aus 15 Jahren STADTGEPLAUDER | 18.04.2019 | Lars Bargmann

chillis magazine

Am 17. April 2004 war es so weit: Die erste chilli-Ausgabe kommt – zur Premiere kostenlos – auf den Markt. Und buddelt unter anderem eine Geschichten zu Fakekandidaten bei der Freiburger Kommunalwahl 1989 aus. Eine kleine Reise durch 15 Jahre Stadtmagazin für Freiburg.

In unserer Titelgeschichte „Kunstobjekt Körper“ thematisieren wir im Februar 2005 erstmals mit durchaus nackten Tatsachen die Tattoo- und Body-Modification-Szene in Freiburg. Und kriegen haufenweise Leserpost.

Im April 2006 feiern wir unser Zweijähriges mit dem Aufmacher „Das Flurstück 3315/1“. Ein Winzer aus Ballrechten-Dottingen war wegen eines umstrittenen Grundstücksdeals gegen seinen Bürgermeister Christof Nitz bis vor den Bundesgerichtshof gezogen. Die spektakuläre Exklusiv-Geschichte wird von mehreren baden-württembergischen Tageszeitungen aufgegriffen.

Im Juni 2008 bringen wir die Exklusiv-Geschichte „Bestechlichkeit im Bau“. Oberstaatsanwalt Wolfgang Maier bestätigt dabei die chilli-Information, dass der Staatsanwalt im Gefängnis gegen einen Wärter wegen Bestechlichkeit und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Andere Medien ziehen nach.

Im Dezember 2009 muss Maier wieder bestätigen: „Ja, bei uns liegt eine Strafanzeige gegen den Leiter des Freiburger Ordnungsamts vor, wir haben die Kripo gebeten, zu ermitteln.“ Wir bündeln die exklusiven Hintergründe im Aufmacher „Amt für öffentliche Willkür?“ Amtsleiter Walter Rubsamen schweigt.

Als erstes Medium in Freiburg küren wir im Mai 2010 die „50 wichtigsten Freiburger“. Natürlich sind längst nicht alle über ihre Platzierung glücklich. Und uns unterläuft ein Fauxpas: Wir vergessen den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Die Geschichte wird bis zur Expo nach Shanghai gemailt.

Häufiger als uns lieb ist, versuchen in der Folge Anwälte, den Druck von exklusivem Material zu verhindern. In der Geschichte „Erpressung nach Erotik“ (Juni 2010) über eine Freiburgerin, die einem Geschäftsmann bis zu unserer Veröffentlichung schon sechsstellige Beträge wegen einer angeblichen Schwangerschaft abgepresst hatte, schaltet sich kurz vor der Drucklegung der Rechtsbeistand ein, fordert eine Unterlassungserklärung und droht mit Einstweiliger Verfügung. Wir drucken.

Wir können aber auch ironisch: Im Februar 2011 titeln wir: „Kiez-Größe kauft Arena-Bar“. Die frei erfundene Story zieht weite Kreise. Im Ältestenrat der Stadt Freiburg echauffiert sich – mit dem chilli in der Hand – ein Fraktionsvorsitzender. Er hatte nicht gemerkt, dass oben auf der Seite „Satire“ stand.

Im Mai 2011 berichten wir in „Chaostage beim USC“ über die dubiosen finanziellen Machenschaften rund um die Bundesliga-Basketballer. Das chilli trifft sich mit dem „freien Journalisten“ Werner Semmler. Der hatte in einem Blog erzählt, er habe exklusive Informationen, wonach gegen den USC eine Anzeige beim Staatsanwalt liegt. chilli deckt auf, dass Semmler die Anzeige selbst erstattet hat. Der Mann droht uns vor Erscheinen des Stückes mit Konsequenzen. Wir drucken. Ein Insider aus dem Vorstand erzählt später, dass das chilli das einzige Medium war, „das immerhin 98 Prozent der wahren Geschichte recherchiert“ hatte.

Im Dezember 2013 veröffentlichen wir die Geschichte „Wetterkrieg? Verschwörungstheoretiker glauben an Chemtrails“. Es hagelt empörte Leserbriefe. Wir machen eine Ausnahme und drucken eine Doppelseite.

chilli magazine

Zum Zehnjährigen im April 2014 bringen wir erneut eine exklusive Geschichte über den geplanten Bau eines neuen Bordells in Freiburg. Der Betreiber und ein Kumpel versuchen mit Nachdruck in Telefonaten die Geschichte zu verhindern. Wir drucken.

Im September 2017, nach monatelanger Vorarbeit, bringen wir eine Geschichte über drei Freiburger Hacker. Der Erpressungstrojaner Wan-naCry hatte Schlagzeilen gemacht. Die IT-Profis machen fürs chilli den Härtetest: Sie zeigen am Hauptbahnhof, wie leicht Smartphones zu knacken sind und attackieren eine Freiburger Firma. Die Ergebnisse sind erschreckend.

Im Januar 2018 hatte das Freiburger Polizeipräsidium die Presse über den Missbrauchsfall in Staufen informiert. „Pädophilenring zerschlagen“ war die Schlagzeile, die dann in regionalen, aber auch überregionalen Medien gleichlautend übernommen wurde. „Das ist eine Schwachsinnsmeldung“, antwortete Jens Wagner, Pressesprecher beim Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ auf chilli-Nachfrage. Denn längst nicht alle, die pädophil sind, vergreifen sich an Kindern. Im Präsidium verwies man uns hernach ans Landeskriminalamt, wo der Krug an die Staatsanwaltschaft Freiburg weitergereicht wurde. Dort hieß es dann kleinlaut, die Formulierung sollte „in der gebotenen Kürze“ den Sachverhalt erklären. Eine Verwendung „entsprechend streng medizinischer Kriterien war nicht beabsichtigt“. Nach unserer Recherche und einer Geschichte über zwei Pädophile änderte sich der Ton der Pressemitteilungen.

Im Juni 2018 bringen wir eine Geschichte über Polyamorie und zeigen, wie eine Frau mit zwei Männern zusammenlebt und auch ins Bett geht. Für viele unvorstellbar, unnatürlich oder gar pervers, für die drei ganz normal. Die Story zählt zu den meistgeklickten auf unserer Homepage.

Wieder war es ein Tabu-Thema, über das wir aufgeklärt haben. Wie schon die Geschichte über den Freiburger Andreas Kuck (März 2012), der auf seiner Seite privatsamen.de seine Spermien kostenlos Paaren anbietet, die keine Kinder bekommen können.

Oder unsere Story „Game over“ über Anna M. (Juli 2015), die spielsüchtig war und in wenigen Wochen in einer Automatenhalle in Freiburg 30.000 Euro verzockt hatte. Oder die über Jonas im Mai 2017, der früher mal ein Mädchen war. Ein Dokument über Ausgrenzung, Psychostress und fehlende Anerkennung.

Auch wenn es nun schon fast 15 Jahre her ist: Unvergessen ist unsere Geschichte über einen verurteilten Mann aus der Drogenszene, der zehn Jahre lang mit wechselnden Papieren als Informant fürs Landeskriminalamt (LKA) gearbeitet hatte, dann „fallen gelassen“ wurde und Patronenhülsen in seinem Briefkasten vor seiner Wohnung im Freiburger Stadtteil Lehen findet. Ein Typ wie ein Bär, ein Typ, der Angst hat. Während der Recherche fuhren damals zwei schwarze S-Klasse-Limousinen mit Stuttgarter Kennzeichen am Redaktionssitz vor. Mit Männern, die Knöpfe im Ohr hatten. Und einem hochrangigen Vertreter des zuvor angeschriebenen LKA. Ob wir das wirklich drucken wollen? Wir drucken.

Fotos: © Jana Schillinger