Geschenktes Leben: Organspenden sinken auf historischen Tiefstand – Freiburg hält dagegen STADTGEPLAUDER | 08.01.2018 | Till Neumann

Es geht um Leben und Tod: 10.000 Patienten warten in Deutschland aktuell auf eine Organspende. Die Chancen auf Rettung sind so gering wie seit 20 Jahren nicht. Der Transplantationsbeauftragte der Uniklinik Freiburg fordert, dem Thema mehr Raum zu geben. Ein preisgekrönter Seelsorger hofft auf eine politische Kehrtwende. Und ein Transplantierter berichtet von seinem Leidensweg.  

 In Burkhard Tapps Körper ist ein fremdes Organ. Seit 2002 atmet der 61-Jährige mit einer fremden Lunge. Zwei Jahre gaben ihm die Ärzte. Seine Wartezeit kennt der pensionierte Sozialpädagoge genau: „14 Monate und 14 Tage“. Ohne die Lunge eines Unbekannten könnte Tapp heute nicht im Wohnzimmer seines Hauses in Sasbach am Kaiserstuhl seine Geschichte erzählen.  

Engagiert: Burkhard und Ulrike Tapp helfen Betroffenen.

„Ich bin hartnäckig, entscheidend ist die Einstellung“, sagt Tapp. Seine Haltung und Erfahrungen wollen er und seine Frau Ulrike Tapp weitergeben. Als Regionalgruppenleiter Südbaden des Bundesverbands der Organtransplantierten hält er Vorträge und bietet Sprechstunden in der Uniklinik Freiburg an. Zuletzt bekam er traurige Fälle zu Ohren. Sogar Patienten mit hervorragenden Chancen auf ein Spenderorgan würden leer ausgehen. „Die Lage ist katastrophal“, beklagt Tapp.  

Das hat einen Grund: Immer weniger Menschen spenden in Deutschland Organe. Dieses Jahr waren es bis Ende Oktober nur 2200 Organe, 2010 noch insgesamt 4200. In Europa rangiert Deutschland damit auf den hinteren Plätzen. 36 Prozent der Deutschen haben einen Organspendeausweis.  

Tapp sieht Handlungsbedarf: „Das Dringendste ist, die Transplantationsbeauftragten dafür freizustellen und sie ausreichend zu qualifizieren.“ Das sieht Klaus Michael Lücking genauso. Der 54-Jährige ist Transplantationsbeauftragter der Uniklinik Freiburg und kennt das Problem: „Für viele Kollegen ist das eine von 25 Aufgaben.“ Beauftragte hätten oft zu viel anderes „an den Hacken“.  

30 Prozent seiner Vollzeitstelle kann Lücking dem Thema widmen. Ein eher seltenes Privileg, das wirkt: Seit die Stelle 2014 geschaffen wurde, steigt die Zahl der Transplantationen an der Uniklinik an: 2015 wurden hier 9 Organe gespendet. In diesem Jahr sind es mindestens 14.  

Lücking sensibilisiert Klinikmitarbeiter und spricht mit Angehörigen potentieller Spender. „Das braucht Zeit“, betont er. Schließlich müssten Angehörige unter maximalem Stress eine ganz schwierige Entscheidung treffen. Von Kollegen kleinerer Kliniken weiß er, dass die Zeit dort fehlt. Mit mehr Austausch will er sie unterstützen. In Bayern ist das nicht nötig. Dort sind Transplantationsbeauftragte zu 100 Prozent für die Aufgabe freigestellt. Die Zahl der gespendeten Organe ist dort von 2016 auf 2017 um rund 100 gestiegen.  

Ein weiterer Ansatz ist die vieldiskutierte Widerspruchslösung. Demnach ist jeder automatisch Spender, wenn er nicht eigens widerspricht. Spanien, Frankreich oder Österreich praktizieren das. Lücking bezieht dazu keine Position, fordert aber eine Debatte ohne Denkverbote.  

Das Modell begrüßen würde Jens Terjung: Der evangelische Seelsorger steht in der Freiburger Kinderklinik jungen Patienten und ihren Familien bei. Für sein Engagement wurde er zuletzt mit dem Helmut-Werner-Preis der Kinderhilfe Organtransplantation ausgezeichnet. „Die Widerspruchslösung führt zu einer ernsthafteren Auseinandersetzung und zu viel mehr Klarheit“, sagt der 48-Jährige. Ohne sie müssten viele im emotionalen Ausnahmezustand entscheiden. „In anderen Ländern funktioniert das Modell ja auch“, sagt Terjung.  

Nicht überzeugt ist Burkhard Tapp: „Die Widerspruchslösung würde überhaupt nichts ändern.“ Die Bereitschaft in der Bevölkerung sei eh da: „80 bis 90 Prozent sind für das Thema offen.“ Entscheidend sei, was in den Kliniken geschehe. Ihm hat die neue Lunge das Leben gerettet. Mit ihr zu leben, sei zwar kein Pappenstiel. Doch was sind Medikamente, Untersuchungen und die Gefahr einer Abstoßung gegen das höchste Gut: Leben.  

Kontakt

Burkhard Tapp ist Regionalgruppenleiter Südbaden des Bundesverbands der Organtransplantierten. Betroffene können sich an ihn wenden: per Mail an burkhard.tapp@bdo-ev.de oder telefonisch unter (07642) 9 27 93 18.  

Fotos: © tln, tas