Gendern – braucht man das? – Für und Wider Gesellschaft | 09.06.2021 | Johanna Reich

Laura Neuhaus Kennt die Probleme: Laura Neuhaus vom Duden

Sprache ist im ständigen Wandel. Vor allem gendergerechte Sprache wird derzeit hitzig diskutiert. Eine aktuelle Studie zeigt: Zwei Drittel der Deutschen sind dagegen. Die Dudenredaktion hat dennoch erste Schritte zum Gendern gemacht – und dafür Hassnachrichten bekommen. Eine Sprachwissenschaftlerin der Uni Freiburg findet die Entwicklung in Deutschland kritisch.

Erst vor kurzem hat der Bildungsminister in Frankreich ein Verbot des Genderns an Schulen ausgesprochen. Das könnte auch in Deutschland passieren: Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß spricht sich für ein Verbot der geschlechtsneutralen Sprache an staatlichen Stellen aus: „Von Beamten, Lehrkräften und Dozenten erwarte ich, dass sie im Dienst gültige Regeln und Normen nicht einfach willkürlich verändern.“ Die Gendersprache sei „grammatikalisch falsch, künstlich und ideologisch“.

Helga Kotthoff

Helga Kotthoff von der Uni Freiburg

Dennoch veröffentlichen immer mehr Städte und Kommunen Leitfäden für den Gebrauch einer genderneutralen Sprache. So auch die Stadt Freiburg: „Seit dem 1.1.2018 gilt innerhalb der Stadtverwaltung Freiburg die Organisationsverfügung zur verbindlichen Anwendung der geschlechtergerechten Sprache und der Nutzung des Gender-Gaps (Unterstrich).“

Die einen verpflichten zur geschlechtsneutralen Sprache – die anderen plädieren für ein Verbot. Helga Kotthoff, Professorin für germanistische Linguistik an der Universität Freiburg, sieht diese Entwicklung als kritisch an. Sie selbst gendere seit 35 Jahren – jedoch situativ und nicht „nach dem Salzstreuer-Prinzip“. Sie erklärt: „Auch wenn ich mich um eine Sichtbarkeit nicht männlicher Menschen bemühe, muss klar bleiben, dass das nicht an jeder Stelle passieren muss.“ So mache es als Negativ-Beispiel auch der Deutschlandfunk. Dieser „gendert mehr oder weniger durchgängig – aber die gendern dann mit einer irren Penetranz“, so Kotthoff. Dies geschehe häufig auf Kosten der Textästhetik.

Auch Laura Neuhaus, Mitarbeiterin der Duden-Redaktion, hat tagtäglich mit dem Diskurs zu tun. Dem f79 erzählt sie, wie auch die Redaktion heftiger Kritik ausgesetzt ist. Seit vergangenem Jahr befinden sich im Rechtschreibduden zusätzlich drei Seiten zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Daraufhin bekam die Redaktion Hassnachrichten und Fotos zugesendet, die den Rechtschreibduden im Mülleimer zeigen. Jedoch lasse sich die Redaktion hierdurch nicht beeinflussen: „Das alles hält uns aber nicht von unserm Auftrag ab, dass wir ohne eine politische-, sondern mit einer sprachwissenschaftlichen Agenda beschreiben, wie Sprache sich entwickelt“, betont Laura Neuhaus. Es gehe vor allem darum, Orientierung zu geben.

Bislang gibt es viele Arten zu gendern: das Gendersternchen, der Unterstrich oder das Binnen-I. Auch neue Wörter sollen das generische Maskulinum  umgehen. So sprechen viele schon länger nicht mehr von „den Studenten“, sondern „den Studierenden“ – nicht mehr von „dem Lehrer“, sondern „der Lehrkraft“. Nach Laura Neuhaus sollte eine gendergerechte Sprache nicht als komplexer angesehen werden – sondern als Möglichkeit, sich klarer auszudrücken. Sie ist überzeugt: Eine differenziertere Sprache kann Orientierung, Klarheit und Eindeutigkeit bringen.

Nicht wahllos Durchgendern

Doch was ist nun die Lösung? Laut Kotthoff sind wir in einer historischen Ausprobierphase. Ihr Ratschlag: „Wir sollten nicht mit einem laufenden generischen Maskulin schreiben, aber auch nicht wahllos alles durchgendern.“

Auch Neuhaus ist sicher, dass sich vieles erst ergeben wird. So sei das Gendersternchen nicht in Stein gemeißelt. Gerade die nächsten Generationen könnten hier weitere Möglichkeiten aufbringen. „Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass von jungen Leuten, die an eine gerechte, gleichberechtigte Zukunft denken, da auch noch neue kreative Ideen kommen, wie man eigentlich gerecht sprechen könnte”, sagt Neuhaus.

Fotos: © Duden; privat