»Würde es so gerne ändern« – Sinti und Roma ringen in Freiburg um Normalität Gesellschaft | 17.02.2023 | Till Neumann

Frauen Siluette mit zwei Kindern Will sich integrieren: Die junge Roma-Mutter Mila mit ihren Kindern (Symbolfoto, Name geändert)

Rund 5000 Sinti und Roma leben in Freiburg. Glaubt man dem Diskriminierungsbericht 2022 des ansässigen Roma-Büros, haben sie einen schweren Stand. Ausgegrenzt, verachtet, beschimpft. Autor Tomas Wald findet die Lage in Freiburg schwieriger als in anderen Städten. Doch ein Roma-Berater aus Freiburg-Weingarten ist positiver gestimmt. Genau wie Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach und eine junge Mutter, die gerade ihren Job verloren hat.

Am Arbeitsplatz diskriminiert?

Mila (Name geändert) lebt in Deutschland, seit sie fünf ist. Mit ihren Eltern floh sie in den 90er-Jahren aus dem Kosovo. Sie wuchs in Freiburg auf, zog für eine Hochzeit nach Bayern, kam nach einigen Jahren wieder zurück. Heute zieht die 29-Jährige zwei Kinder groß – und kann sich gerade so über Wasser halten.

Erst kürzlich hat sie ihren Job bei einer Modekette in Freiburg verloren. „Mein Einjahresvertrag wurde nicht verlängert“, berichtet Mila. Der Grund ist für sie klar: Weil sie Roma ist. Während der Pandemie hörte sie ihre Chefin fluchen: „Corona gibt’s nur wegen den Zigeunern.“ Als sie fragte, wie sie so etwas sagen kann, geriet sie – so ihr Eindruck – zunehmend aufs Abstellgleis. „Ich war immer pünktlich, hatte ein super Arbeitszeugnis, habe wahnsinnig viel gemacht“, erzählt Mila. Dass die Verträge anderer verlängert wurden, ihrer aber nicht, trifft sie hart. Die Freiburgerin sieht sich als Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz.

„Keiner entschuldigte sich“

Fälle wie diesen findet man im Diskriminierungsbericht des Freiburger Roma-Büros in Kooperation mit dem Sinti-Verein Freiburg. Darin sind rund 150 Erlebnisberichte aus Südbaden zusammengetragen. Es geht um Ausgrenzung beim Wohnen, auf der Arbeit oder in der Schule. Zum Beispiel diese Erfahrung einer 14-Jährigen: „In meiner Klasse, werden immer wieder Sachen geklaut. Einmal verschwanden teure Kopfhörer eines Schülers und alle schau­ten auf mich, und sagten, das war bestimmt die Zigeunerin. Doch ein paar Minuten später fand er seine Kopfhörer in seiner Tasche, doch keiner entschuldigte sich bei mir.“

Tomas Wald

Kreidet an: Tomas Wald vom Roma-Büro

Hinter dem Diskriminierungsbericht steht Tomas Wald vom Roma-Büro. Der 75-Jährige hat die mittlerweile 4. Ausgabe vorgelegt – und ist nicht bekannt dafür, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Im Vorwort schreibt er: „Keine andere Gruppe in Deutschland und Europa wird so stark abgelehnt wie die Sinti und Roma, zugleich ist aber keine Diskriminierung so wenig greif- sowie sichtbar und wird so bis heute von großen Teilen der Gesellschaft als das gesellschaftlich Normale angesehen.“

„Mit ein paar farbigen Exoten“

Für Freiburg hat Wald herbe Kritik: „Es gibt kaum eine deutsche Stadt, in der die Segregation zwischen Arm und Reich, Weiß und Farbig so ausgeprägt ist wie in Freiburg.“ Die Sinti und Roma seien bis heute kein Teil der Freiburger Stadtgesellschaft. Sie seien wohl geduldet, aber nicht willkommen.

Ist die Lage wirklich so dramatisch? „Gehen Sie in Stuttgart oder Mannheim vom Hauptbahnhof ins Zentrum“, sagt Wald. Dort sehe man Vielfalt, wie beispielsweise in Mannheim am Marktplatz das Viertel Klein-Istanbul. Freiburg sei dagegen „eine weiße, sich selbst romantisierende Innenstadt mit ein paar farbigen Exoten“.

Sinti und Roma, wie auch schwarze oder irakische, afghanische Jugendliche kämen bis heute nicht in Freiburger Clubs – höchstens allein in Begleitung einer weißen Frau.

Kemal Ahmed

Will weg vom Negativen: Kemal Ahmed

„Müssen uns selbst verändern“

Weniger düster schildert Kemal Ahmed die Lage. Der 38-Jährige macht seit 2021 eine Roma-Beratung im Freiburger Quartier Lindenwäldle – in Kooperation mit dem Nachbarschaftswerk. Der Andrang ist groß, berichtet er. Interessenten stünden Schlange. Ahmed berät für das Netzwerk „Pro Sinti & Roma“ in der Romasprache Romanes zu Job, Ausbildung, Wohngeld oder Bleiberecht. Dabei möchte er wegkommen von der Negativspirale: „Ich behaupte nicht, dass es keine Diskriminierung gibt, aber wir dürfen das nicht als Blockade auf unseren Weg stellen.“

Entscheidend ist für den Mann, der selbst Roma ist: „Wir müssen uns selbst verändern und einbringen.“ So hat er beispielsweise im November ein Treffen von rund 40 Sinti und Roma mit der Stadtbaugesellschaft organisiert. Dort ging es um die Wohnperspektive im Quartier. Für die Gespräche auf Augenhöhe mit Politik und Behörden ist er voll des Lobes. Und der Clubzugang für Sinti und Roma? „Man hat einen Glückstag oder Pechtag, muss dem Typ an der Tür sympathisch sein.“ Das habe nichts mit dem Aussehen zu tun. Die Situation in Freiburg ist für ihn nicht anders als in anderen Städten.

Bürgermeister sieht Willkommensbereitschaft

Auch Freiburgs Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach sieht Freiburg nicht als Problemfall. „Sinti sind seit 600 Jahren in Freiburg ansässig, geflüchtete Roma aus den Westbalkanstaaten leben seit 30 Jahren in unserer Stadt.“ Beide seien Teil der Stadtgesellschaft. Der Diskriminierungsbericht werfe zu Recht Fragen auf, mit denen man sich auseinandersetzen müsse. Dass diese Gruppen in Freiburg nicht willkommen seien, findet er nicht: „Solche weitgreifenden Aussagen helfen nicht weiter.“

Nicht wenige Freiburger*innen engagierten sich seit vielen Jahren für Roma-Familien. Aus Patenschaften seien Freundschaften geworden. Jeder Fall der Diskriminierung und Ausgrenzung sei einer zu viel, doch die Willkommens- und Aufnahmebereitschaft der Stadtgesellschaft sei ungebrochen. Das habe die Ukraine-Krise eindrucksvoll gezeigt.

„Müssen integrierte Familien zeigen“

Als Beispiel für ein konkretes Engagement des Rathauses nennt er die Beteiligung der Sinti und Roma beim Neubauvorhaben „Am Lindenwäldle“. Die Stadtverwaltung und die Freiburger Stadtbau verhandelten dort mit den betroffenen Sinti und Roma in unterschiedlichen Gesprächsformaten und versuchten, gemeinsame Lösungen für deren Bedürfnisse in dem Neubauvorhaben umzusetzen. Dass das funktioniere, bestätigt Kemal Ahmed.

Auf einem guten Weg sieht auch Mila die Community. Als sie mit ihren Eltern nach Freiburg gekommen war, sei es hart gewesen. Ihre Eltern sprachen kein Deutsch, bei Elternabenden in der Schule habe sie übersetzen müssen. Die Sprachbarriere habe die Integration erschwert. Heute sei das anders. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt die 29-Jährige. Wichtig sei aber auch, dass die Medien nicht nur über negative Fälle berichten: „Wir müssen mehr die integrierten Familien zeigen.“

Es bleibt ihr Geheimnis

Mit ihrer Romazugehörigkeit versucht sie, offen umzugehen. Doch in gewissen Situationen sei das schwierig. Bei aktuellen Bewerbungsgesprächen traut sie sich nicht, das zu sagen. „Ich möchte erst zeigen, was ich kann.“ Die Leute hätten sonst überholte Bilder im Kopf: „Klauen, Schlägerei, asoziales Verhalten“. Dabei sei die Realität eine andere. „Alle in eine Schublade zu stecken, ist falsch“, sagt Mila. „Ich würde es so gerne ändern.“

Auch bei der Wohnungssuche wagt sie nicht, sich als Roma vorzustellen. „Dann kriegst du die Wohnung auf keinen Fall“, betont Mila. In Großstädten in NRW sei so etwas vielleicht möglich. Nicht aber in Freiburg. Selbst ihre Vermieterin weiß bis heute nicht, dass sie Roma ist.

Fotos: © iStock.com/ChristinLola; privat