Mit Arzt und Algorithmus – Wie künstliche Intelligenz Krebsdiagnosen verbessern und Ärzte entlasten kann Forschung | 10.04.2025 | Philip Thomas

Fast eine halbe Million Menschen in Deutschland bekommen jedes Jahr die Diagnose Krebs. Die Behandlungen werden immer komplexer, gleichzeitig steht Ärzten pro Patient nur wenig Zeit zur Verfügung. Künstliche Intelligenz könnte die Versorgung verbessern, betonte Titus Brinker vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) auf einer Veranstaltung der Freiburger Volksbank. Vieles könne der Computer-Doc schon heute besser als seine Kollegen aus Fleisch und Blut.
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. „Mathematisch gesehen ist KI eine Ansammlung von Gleichungen, wie wir sie aus der Schule kennen. Am Ende steht dann meist die Transformation eines Datensatzes“, erklärt Titus Brinker, Leiter der Abteilung Digitale Prävention, Diagnostik und Therapiesteuerung am DKFZ in Heidelberg. In der Medizin sei die Anwendung solcher Algorithmen noch vergleichsweise neu. „In dieser Form wird es etwa seit 2015 eingesetzt, in der klinischen Praxis etwa seit 2018“, sagt der Dermatologe.
Entscheidungen aufgrund von KI dürfen Ärzte hierzulande nicht treffen. Rechtliche Barrieren für die Einbindung solcher Software sind in Europa besonders hoch. „Es ist gut, dass neue Möglichkeiten in der Medizin geprüft werden“, sagt Brinker. Der Experte betont jedoch auch, wie zuverlässig diese Systeme etwa in der Differenzialdiagnostik bereits heute arbeiten: „Lade ich einen Datensatz in ein Sprachmodell hoch, erzielt die KI eine deutlich höhere Genauigkeit bei der Differentialdiagnose als einzelne Ärzte.“
Dermatologie als visuelles Teilgebiet der Medizin ist laut Brinker besonders geeignet für die Arbeit mit KI-Systemen. 2023 gewann er für die Entwicklung einer Software, die Ärzte beim Hautkrebs-Screening unterstützen soll, den „Vision Zero“-Innovationspreis und den „KI-Champions Baden-Württemberg 2023“. Eine von Brinker entwickelte KI ist in der Lage, schwarzen Hautkrebs von gutartigen Muttermalen zu unterscheiden. Die Software begründet ihre Diagnose anhand bestimmter Strukturmerkmale. Aktuell arbeitet der Arzt daran, die in Dermatoskopen verbaubare Technologie marktreif zu machen.

Auf Visite in Freiburg: KI-Experte und Arzt Titus Brinker
Die Trefferquote von Brinkers KI-Arzt ist hoch: „Die Hälfte aller von Menschen übersehenen Melanome wird mit KI nicht mehr übersehen. Das ist enorm.“ Ohne Arzt aus Fleisch und Blut werde es auch in Zukunft nicht gehen, „aber Medizin ist anders, als man sie sich von außen vorstellt“, sagt Brinker. Er vergleicht Ärzte mit Poker-Spielern: „Es ist das Treffen von Entscheidungen anhand nicht vollständiger Informationen.“ KI könnte bei dieser Entscheidungsfindung helfen, Voraussetzung ist ein umfassender und sauberer Datensatz.
Die Verantwortung für eine Diagnose könne ein Computer nicht übernehmen. „Aber Hunderte Seiten von Leitlinien und Mutationen in der Präzisionsmedizin abzurufen – das kann das menschliche Gehirn einfach schlechter, vor allem, wenn Zeitdruck besteht.“ Und dieser nimmt zu: Keine acht Minuten Zeit nimmt sich ein durchschnittlicher Arzt hierzulande für ein Patientengespräch, so eine Untersuchung der Cambridge University aus dem Jahr 2017. Brinker ist überzeugt: „KI wird Ärzte entlasten und sicherstellen, dass Menschen Zugang zu hochkomplexer medizinischer Versorgung haben. Aktuell ist das bedroht.“
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