Älter werden: Pflege auf dem Prüfstand Gesund & Fit | 20.07.2024 | Marianne Ambs
Selbstbestimmt das eigene Leben gestalten, jenseits der 70 „mitten im Leben“ bleiben, auch wenn man auf Hilfe und Unterstützung angewiesen ist: Das wünschen sich Frauen und Männer, die überlegen, wie sie ihr Alter gestalten wollen. Wichtig ist ihnen vor allem ein Höchstmaß an Häuslichkeit, Normalität und Privatheit.
Wer unterstützt uns, wenn wir uns nicht mehr alleine versorgen können? Wenn die Gesundheit im Alter so sehr beeinträchtigt ist, dass Pflege notwendig wird? Was passiert, wenn eine Demenzerkrankung die Gestaltung des Alltags erschwert? Die aktuellen Modelle – Pflegeheime, häusliche Pflege, Betreutes Wohnen – passen nicht unbedingt für Menschen, die auch im Alter weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollen. Zudem können die Pflegemöglichkeiten mit den vorhandenen Fachkräften nicht auf Dauer aufrechterhalten werden. Pflegeheime und Tageseinrichtungen werden heute schon wegen fehlenden Personals geschlossen.
Die Politik hat ihre Aufgaben erkannt. Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) wurde im vergangenen Jahr eine Pflegereform gestartet, mit der die häusliche Pflege finanziell entlastet und gestärkt werden soll: Pflegebedürftige erhalten seit Januar 2024 mehr Pflegegeld und mehr Pflegesachleistungen. Außerdem steigen die Leistungszuschläge für die vollstationäre Pflege. Zudem sollen durch eine „Konzertierte Aktion Pflege“ mehr Mitarbeitende in Pflegeberufen gewonnen werden. Bessere Entlohnung und verbesserte Arbeitsbedingungen sollen junge Menschen motivieren, eine Ausbildung in diesem Berufsfeld zu beginnen, und es für Quereinsteiger, Berufsrückkehrer und Pflegepersonal aus dem Ausland attraktiver machen.
Dramatische Situation im Pflegesektor
Seit Jahren wächst die Zahl der Pflegebedürftigen, also der Menschen, die wegen einer Erkrankung oder einer Behinderung dauerhafter Hilfe bedürfen. Etwa ein Drittel der Pflegebedürftigen ist hochbetagt, der Frauenanteil überwiegt. Rund vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland werden immer noch zu Hause versorgt – zumeist durch pflegende Angehörige, häufig unterstützt von einem ambulanten Pflegedienst. Die steigende Bedeutung der ambulanten Pflege schlägt sich in der Zahl der ambulanten Pflegedienste nieder: Sie ist binnen 20 Jahren um 45,1 Prozent gestiegen. Gut zwei Drittel der Pflegedienste (67,8 Prozent) werden von privaten Trägern betrieben. Ende 2021 gab es 442.900 Beschäftigte bei ambulanten Pflegediensten, das waren 134 Prozent mehr als Ende 2001, so das Statistische Bundesamt (Destatis), das die derzeit aktuellsten Daten ausgewertet hat. Doch das reicht bei weitem nicht aus.
Während die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt zunimmt, sinkt der Anteil derer, die vollstationär in Pflegeheimen versorgt werden: Von den bundesweit knapp 4,96 Millionen Menschen, die Ende 2021 pflegebedürftig waren, wurde nur rund ein Sechstel vollstationär gepflegt. Auch die Zahl der Beschäftigten in Pflegeheimen nahm binnen 20 Jahren zu. Sie stieg um 71 Prozent von 475.400 Personen im Jahr 2001 auf 814.000 Personen 2021. Doch nach wie vor werden derzeit fünf von sechs Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Zwar wächst mit steigendem Pflegegrad der Anteil der Pflegebedürftigen, die stationär versorgt werden. Doch selbst bei Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen und besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung wurden noch 51,4 Prozent zu Hause versorgt. Weiteres Pflegepersonal und Pflegefachkräfte werden dringend benötigt. Schließlich ist der Anteil an Teilzeitkräften im Pflegebereich – auch weil die Pflege immer noch weiblich ist – besonders hoch: Im Jahr 2021 arbeiteten 68,1 Prozent im Pflegebereich in Teilzeit. Bei den weiblichen Beschäftigten betrug die Quote 71,5 Prozent, bei den männlichen 49,1 Prozent.
Neue Pflegekonzepte sind nötig
Mobile Dienste werden nicht nur für die im eigenen Zuhause gepflegten Menschen immer wichtiger. Modelle wie selbstverantwortete Wohngemeinschaften mit häuslicher Atmosphäre, neue Formen von betreutem Wohnen und Servicewohnen, die oft flexibel an einem Ort zusammengefasst sind, zeigen, wie Pflege – möglichst in der Heimatgemeinde und im gewohnten Umfeld – in Zukunft funktionieren kann. Angehörige und Ehrenamtliche gehen in diesen Wohngemeinschaften ein und aus: Sie unterstützen die Fachkräfte im Alltag. Pflegerische Leistungen werden oft von mobilen Pflegediensten übernommen – eine Kooperation, die für alle Seiten viele Vorteile bietet.
Wer Pflege benötigt oder Angehörige hat, die pflegebedürftig werden, der sieht sich einem Dschungel von Gesetzen und Vorschriften gegenüber. Aber nicht verzweifeln: Landkreise und Kommunen unterstützen mit Beratungsstellen. Der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald hat zum Beispiel drei zentrale Pflegestützpunkte eingerichtet. Die Mitarbeitenden der Stützpunkte beraten Menschen aus dem Landkreis unabhängig bei allen Fragen rund um das Thema Pflege. Zudem sind auch die mobilen Pflegedienste und die stationären Einrichtungen bestens informiert und können umfassend beraten.
Wie geht es weiter? Die Prognosen gehen aktuell von einer demografischen Entwicklung mit konstanten Pflegequoten aus. Hier könnte die Zahl der Pflegebedürftigen allein durch die Alterung von 5 Millionen Ende 2021 über 5,6 Millionen Ende 2035 auf 6,8 Millionen Ende 2055 ansteigen und schließlich im Jahr 2070 bei 6,9 Millionen Pflegebedürftigen liegen. „Schluss mit Stückwerk und Verdrängung“ fordert angesichts dieser Zahlen die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen und setzt sich für eine umfassende Reform des Pflegesystems ein.
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