Gut Hören braucht Übung: Wie sich das Gehör trainieren lässt Gesund & Fit | 21.09.2024 | Reinhold Wagner

„Hast du das gehört?“, fragt sie. Er antwortet: „Das war eine Amsel.“ Sie: „Nicht die, der kleine Vogel, der so hoch gezwitschert hat.“ Beide lauschen konzentriert. Da ist es wieder zu hören – ganz leise, sehr hoch, nahe der Hörgrenze.
Solche und ähnliche Szenarien spielen sich mit zunehmendem Alter immer öfter ab. Das Gehör ist ein sensibles Organ, das empfindlich reagiert auf Belastung, insbesondere bei Dauerbeschallung über lange Zeit und ohne ausreichende Pause. Das Gemeine daran ist: Während der schleichende oder plötzliche Verlust der übrigen Sinne wie des Sehens, des Riechens oder Schmeckens und auch des Fühlens und Tastens in aller Regel sofort bemerkt wird, schleicht sich Hörverlust ganz allmählich und langsam ein und wird oft lange Zeit überhaupt nicht wahrgenommen. Es kann mitunter Jahrzehnte dauern, bevor ein Mensch merkt, dass seine Hörleistung nachgelassen hat. Häufig fällt dies den Mitmenschen eher auf als einem selbst.
Dabei wäre es gerade in jungen Jahren und mit zunehmendem Alter wichtig, sein Gehör zu schonen, zu trainieren und dadurch zu erhalten oder gar zu verbessern. Zum einen gibt es Übungen, zum anderen Hilfsmittel und Therapien, den Hörsinn zu testen und bei Bedarf zu verbessern. Dafür aber gilt es zunächst, den aktuellen Zustand und eventuelle Mängel von einem Fachmann beziehungsweise einer Fachfrau feststellen zu lassen. Ein Hörakustiker ist hierfür die erste und beste Anlaufstelle. Und das idealerweise, bevor die Probleme massiv auftreten. Sind erst einmal Operationen oder Hörgeräte vonnöten, kann es rasch teuer werden. Das lässt sich – zumindest teilweise – verhindern oder lange hinauszögern, wenn die Sache früh genug angegangen wird.
Wann ist Zeit für einen Hörtest?
Die ersten Tests auf die korrekte Ansprache der Sinne führt der Arzt bereits beim Neugeborenen durch. Schon dabei zeigt sich, ob und in welchem Maße das Kind auf Klänge, Stimme und Geräusche reagiert. Ist so weit erst einmal alles in Ordnung, vergeht oft ein halbes Leben, ehe man erneut einen HNO-Arzt oder Hörakustiker aufsucht, um sich der Diagnose zu stellen. Dabei ist bekannt: Nicht nur DJs und regelmäßige Disko-Besucher, Orchester- oder Band-Musiker, Straßenbauarbeiter und Schusswaffenbesitzer verlangen ihrem Gehör immer wieder Höchstleistungen ab, die weit über dem Erträglichen liegen. Das Tragen von – idealerweise individuell angepassten und gut sitzenden – Ohrstöpseln oder Kopfhörern tut da unbedingt not. Nein, auch Schwimmer, Taucher, Schnorchler und andere Wassersportler, Konzertbesucher, Flugreisende, Bediener von Maschinen jeglicher Art und spontanem Lärm ausgesetzte Dritte können ihr Gehör dauerhaft schädigen, wenn sie nicht im Vorfeld schützende Maßnahmen ergreifen – oder sich und ihren Ohren dann wenigstens im Nachhinein eine Ruhepause gönnen. „Diese sollte die fünf- bis sechsfache Dauer der vorangegangenen Lärmbelastung betragen, um für ausreichend Regenerierung zu sorgen“, sagen Ärzte. Und: „Auch ohne konkreten Anlass tut gut, wer einmal im Jahr einen Hörtest wahrnimmt.“ Oft werden diese kostenlos beim Hörakustiker vor Ort oder in der Region angeboten. Bei entsprechender Indikation kann dies auch mehrmals pro Jahr angezeigt sein.
Wer hört am besten?
Für die TV-Sendung „Planet Wissen“ vom 21. Februar 2024 führte der WDR ein eigenes Hör-Experiment mit 80 Freiwilligen aus unterschiedlichen Altersgruppen und Betätigungsfeldern durch und fand heraus: Junge Menschen und Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren einerseits sowie Blinde und Sehbehinderte andererseits hören am besten. Letztere führen das vor allem darauf zurück, dass sie aufgrund ihrer Sehschwäche ihr Gehör – und auch die anderen Sinne – anders und damit besser aufs Hören konditioniert haben. Schon junge Erwachsene jenseits der 20 können Schallwellen mit Schwingungen von mehr als 17 Kilohertz nicht mehr wahrnehmen – im Gegensatz zu Kindern und Teenagern. Dazu kommen prägende Erfahrungen im Laufe des Lebens wie langjähriges Chor-, Band- oder Orchester-Engagement, Berufstätigkeit im lauten Umfeld oder Entzündungen und durchgemachte Krankheiten. Ältere Menschen haben das Nachsehen, weil zum einen die Haarsinneszellen im Innenohr, die für die hohen Töne empfänglich waren, irreparabel zerstört sind, zum anderen aber auch noch Ablenkung und Störgeräusche dafür sorgen, dass das Gehörte nicht mehr korrekt verstanden und interpretiert wird. Jetzt können nur noch Hörgeräte oder Cochlea-Implantate für Besserung sorgen. Für die Zukunft machen zudem erste Erfolge mit Gentherapie Hoffnung.
Hör-Spezialisten aber raten grundsätzlich jedem dazu, so häufig wie möglich Lärm aus dem Weg zu gehen, Dauerbeschallung zu vermeiden sowie regelmäßig bewusst Orte der Ruhe aufzusuchen, an denen das Ohr wieder entspannen kann und die empfindlichen Härchen in der Gehörschnecke wieder Zeit haben, zu regenerieren.
Übungen zum Schärfen des Gehörs
Unabhängig von der Umgebung draußen lassen sich auch zu Hause kleine Experimente und Übungen durchführen, die dem Gehör die Zuwendung und Aufmerksamkeit verschaffen, die ihm im Alltag oft fehlen. So kann es spannend sein, einmal ganz bewusst auf den Sehsinn zu verzichten und – zum Beispiel mit verbundenen Augen oder in einem völlig abgedunkelten Zimmer – nur mit den noch verbleibenden Sinnen auf „Entdeckungsreise“ zu gehen. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit wird spürbar, wie der fehlende Sinn kompensiert wird durch die übrigen Sinne, die sonst zu kurz kommen. Jedes Geräusch, jeder noch so leise Atemzug wird analysiert und bewertet. Die eigene Bewegung im Raum wird langsamer. Jeder Schritt wird genau abgewogen und bewusst gesetzt. Die Hände übernehmen die Abstandskontrolle. Der Tastsinn wird überlebenswichtig. Das Richtungshören und Orten von Klangquellen wird geschärft. Störende Nebengeräusche verschwinden zunehmend, die Konzentration auf das Wesentliche wird erhöht.
Um einmal gründlich vom Alltag abzuschalten, genügt es oft, alles auszuschalten, was Licht erzeugt: Rollläden runter, rein ins Bett oder rauf aufs Sofa und einfach nur in die Stille der Dunkelheit hineinlauschen – oder schöne Musik hören, ein Hörspiel, einen Podcast, Vogelgezwitscher vom Band oder aus dem Garten … Um sich hierauf einzulassen, benötigt es kein Augenlicht. Im Gegenteil: Mit geschlossenen Augen nimmt der Mensch über seine übrigen Sinne wesentlich mehr auf – und das umso intensiver.
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