Schritte aus der Depression: Neue Sporttherapie im Glottertal Gesund & Fit | 08.03.2022 | Tanja Senn

Joggen

Hilft Sport bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen? Und wenn ja, wie kann man Betroffene dazu motivieren? Dieser Frage geht eine baden-württembergische Studie nach. Auch im Glottertal trainieren Menschen im Namen der Wissenschaft.Als ihr Verlobter vor dreieinhalb Jahren tödlich verunglückt, fällt Christiane Benecke in ein tiefes Loch. Sie wird depressiv, ihr Immunsystem bricht zusammen. Mehrere heftige Erkrankungen folgen, bis sie schließlich mit einer Nierenentzündung im Krankenhaus liegt.

Depressionen, Panikanfälle, Schlafstörungen – so wie der 41-Jährigen geht es immer mehr Menschen in Deutschland: Laut der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ist die Zahl der Patienten mit wiederkehrenden Depressionen von 2010 bis 2020 bundesweit um 82 Prozent gestiegen. In Baden-Württemberg hatte jeder Sechste bereits mindestens einmal eine depressive Phase.

Die ersten Schritte zur Besserung macht Benecke in einer psychosomatischen Reha. Hier merkt sie, wie gut ihr Sport tut, um aus ihrem Tief herauszukommen. Doch nach der Reha ist Schluss damit. Sie findet kein ambulantes Angebot und ist nicht in der Lage, sich selbst zu motivieren. „Man kommt nach Hause und fällt sofort in ein Loch, weil man wieder auf sich allein gestellt ist“, beschreibt sie ihre Erfahrung. Als sie von der Impuls-Studie hört, die in zehn Städten im Ländle ein Sportprogramm für Menschen wie sie anbietet, meldet sich die Frau aus Esslingen am Neckar sofort zur Teilnahme in Göppingen an.

Für Benecke ist der Sport nur eine Ergänzung zu einer therapeutischen Behandlung. Genauso sollte es auch sein, erklärt Thomas Studnitz, Doktorand am Institut für Sportwissenschaft an der Uni Tübingen, der die Impuls-Studie im Glottertal koordiniert. Doch Therapieplätze sind rar, die meisten Patienten warten monatelang. Das ambulante Programm soll daher auch helfen, die Wartezeit zu überbrücken.

Bisher wurden die positiven Effekte des Impuls-Trainings nur in einer kleinen Vorstudie in Tübingen belegt. Allerdings zeigen Wissenschaftler schon seit vielen Jahren, dass Sport bei Depressionen, Panikstörungen, Posttraumatischen Belastungsstörungen und Schlafproblemen helfen kann. Regelmäßiges Training soll sogar ebenso effektiv sein wie eine Psychotherapie oder Psychopharmaka. „Meine psychischen Tiefphasen dauern nicht mehr so lange und sind nicht mehr so intensiv“, beschreibt Benecke, wie ihr der Sport in den vergangenen fünf Monaten geholfen hat.

Spazieren reicht nicht

Das Programm beginnt mit einem intensiven ersten Monat. Eine Studiengruppe von sechs Personen trifft sich zweimal wöchentlich mit einer Sporttherapeutin – in der REGIO am Therapiezentrum Glotterbad. Zunächst gibt es einen theoretischen Teil, danach wird in der Gruppe Sport getrieben. Ausdauersport wie Joggen oder Nordic Walking sei ideal, verweist Studnitz auf bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Intensität sollte mittel bis hoch sein – reines Spazieren reiche dafür nicht.

Was das genau in Körper und Seele auslöst, ist noch nicht ganz geklärt. Helfen die Glückshormone, die beim Sport ausgeschüttet werden? Ist es der körpereigene Angsthemmer, das Peptid ANP? Oder doch eher die Reduzierung von Stresshormonen? Studnitz sieht eine Erklärung auch im Erfolgsgefühl, das sich einstellt, wenn die eigenen Ziele erreicht wurden.

Dafür sei das angeleitete Training im ersten Monat entscheidend: Feste Termine und der Gruppendruck helfen durchzuhalten. Danach ist der Sport ein Stück weit zur Routine geworden, das Weitermachen fällt leichter. Regelmäßige Anrufe der Sporttherapeutin helfen ebenfalls, über die nächsten fünf Monate dranzubleiben. Auch wenn depressive Menschen oft lethargisch sind – die ersten Ergebnisse legen nahe, dass es so auch ihnen gelingt, sich dauerhaft zu motivieren. „Die Zahl der Abbrecher ist verschwindend gering“, freut sich Studnitz. 

Info
Teilnehmen können Menschen zwischen 18 und 65 Jahren, die bei der AOK Baden-Württemberg oder der Techniker Krankenkasse versichert sind. Sie müssen an einer psychischen Krankheit wie Depression, Agoraphobie, Panikstörung, Posttraumatische Belastungsstörung oder nicht organischen Insomnien leiden (auch ohne offizielle Diagnose). Außerdem sollten sie in den letzten Monaten nur wenig oder keinen Sport gemacht haben. Eine Anmeldung ist noch bis Mai möglich.

Webseite: www.impuls.uni-tuebingen.de

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