Volksdroge: Warum Zucker so schädlich ist Gesundheit | 12.04.2019 | Tanja Senn

Fettsucht, Diabetes, Depressionen und Alzheimer: Zucker steht im Verdacht, zahlreiche Volkskrankheiten zu begünstigen. Trotzdem konsumieren die meisten Deutschen viel zu viel von dem süßen Stoff.
Auf dem Tisch vor Birgit Waidele stehen ein Glas Gewürzgurken, ein Krautsalat und eine Dose Limonade. Alles drei: Zuckerfallen. Bei der Limonade überrascht das nicht – hier gibt es in Deutschland sogar einen vorgeschriebenen Zuckeranteil von mindestens sieben Prozent. Tatsächlich bringen es die meisten auf deutlich mehr.
Doch auch der abgepackte Krautsalat hat pro 100 Gramm satte vier Stück Würfelzucker und selbst die vermeintlich gesunden Gewürzgurken enthalten den weißen Süßmacher. „Es gibt einige Produkte, bei denen man den hohen Zuckergehalt überhaupt nicht erwartet“, weiß die Ernährungsberaterin von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Ihr Beispiel: Cappuccinopulver. Auch wenn der Wachmacher kaum süß schmeckt, besteht das Pulver teils zur Hälfte aus Zucker.
Dabei ist die Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eindeutig. Sie empfiehlt für einen durchschnittlichen Erwachsenen höchstens 50 Gramm Zucker pro Tag – rund 16 Stück Würfelzucker. Die Realität sieht anders aus: In Deutschland nehmen Frauen durchschnittlich 61 Gramm, Männer 78 Gramm pro Tag zu sich.
Evolutionärer Wahnsinn
Kurt Mosetter weiß, warum das kritisch ist. Der Humanmediziner gilt als Koryphäe in der Sportmedizin. Bei einem Vortrag an der Uni Freiburg macht er deutlich, dass nicht nur Spitzensportler auf ihren Zuckerkonsum achten sollten. „Hundertjährige in Naturvölkern haben Adleraugen, die kennen keine Niereninsuffizienz, keinen Blut-hochdruck, haben keine Herzinfarkte und keine Demenz“, sagt der Arzt. Erst als die ersten Schiffe mit Weißmehl, Zucker und Konserven anlegten, änderte sich das.
Von der Natur seien die Mengen an Zucker und kurzkettigen Kohlenhydraten, die heutzutage konsumiert werden, nicht vorgesehen: „Das ist evolutionärer Wahnsinn.“ Ein hoher Blutzuckerspiegel mache Menschen nicht nur fettleibig und ausgebrannt, er schade auf lange Sicht auch dem Gehirn. So sei etwa Alzheimer eine Zuckerkrankheit, ist sich Mosetter sicher.
Doch herauszufinden, in welchen Lebensmitteln Zucker versteckt ist, ist gar nicht so einfach. Saccharose, Dextrose, Druktosesirup, Laktose, Dextrin, Süßmolkenpulver, Gerstenmalz – die Namen, hinter denen sich Zucker versteckt, sind vielfältig. Deutlicher sind da die Nährwertkennzeichnungen. Hier muss der süße Stoff in einer Tabelle klar als „Zucker“ bezeichnet werden.
Waidele geht das aber nicht weit genug. „Nährwerte einordnen zu können, ist manchmal schwierig“, sagt die Beraterin. Schließlich muss man den Zuckergehalt immer in Relation zur Menge setzen: 200 Milliliter Limonade sind schnell getrunken, 200 Gramm Schokolade teilt man sich da eher ein. Die Verbraucherzentralen fordern daher eine Ampelkennzeichnung: Eine rote Signalfarbe soll vor zu fetten, zuckerhaltigen oder salzigen Produkten warnen. Mit ihr könnte man Produkte einer Kategorie wie Müslis oder Tiefkühlpizzen auf einen Blick miteinander vergleichen.
Stevia & Co. sind kein Ersatz
Dabei gibt es eigentlich längst Ersatz. Stevia, Agavendicksaft, Kokosblütenzucker oder synthetische Süßstoffe – die Supermarktregale sind voll davon. Ob sie dabei helfen, Übergewicht zu vermeiden, haben nun Wissenschaftler der Uni Freiburg untersucht. Das Team rund um Jörg Meerpohl und Ingrid Toews von der Medizinischen Fakultät hat dafür 56 Einzelstudien ausgewertet. Das ernüchternde Ergebnis: „Für den Einsatz von Süßstoffen konnten wir keinen gesundheitlichen Nutzen feststellen und schädliche Auswirkungen nicht ausschließen.“
Doch auch Zucker aus der Natur ist nicht unbegrenzt empfehlenswert. So ist Honig genauso eine Kalorienbombe wie Zucker. Gleiches gilt für den oft teuer verkauften Kokosblüten- oder Palmzucker, der keinen nennenswerten gesundheitlichen Vorteil hat, aber mit seinem langen Transportweg aus Südostasien die Umwelt belastet.
Auch Fruchtzucker ist nicht per se gesund oder gut verträglich. „Fruchtzucker hört sich für viele erst mal positiv an“, so Waidele, „aber auch unser normaler Haushaltszucker besteht zur Hälfte aus Fruchtzucker.“ Bei übermäßigem Konsum kann er den Fettaufbau im Körper fördern oder durch Unverträg-lichkeiten zu Magen- und Darmproblemen führen. Auf Obst und Gemüse sollte deswegen natürlich trotzdem niemand verzichten: Die Ernährungsexpertin empfiehlt fünfmal am Tag eine oder zwei Handvoll. Smoothies oder Säfte können diese Mengen -jedoch schnell überschreiten.
„Das Problem ist nicht die Art des Zuckers“, fasst Waidele zusammen, „sondern die Überdosierung.“ Ihr Tipp: eine möglichst vollwertige Ernährung, fünfmal täglich Obst und Gemüse, beim Getreide auf viel Vollkorn setzen und wenn möglich auf Fertiggerichte verzichten. Dann klappt’s auch mit dem Zucker.
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