»Bundesweit werden rund 16.000 Geschäfte aufgeben«: Interview mit Handelsverbandschef Roland Fitterer Handel | 21.03.2022 | Stefan Pawelleck

Roland Fitterer

Es war mehr als eine Amtsübergabe, es war das Ende einer Ära, als im November 2021 Roland Fitterer die Nachfolge von Philipp Frese an der Spitze des Handelsverbands Südbaden antrat, hatten doch Vater Hermann Frese 27 Jahre und Sohn Philipp Frese 16 Jahre lang als Präsidenten diesen Verband geführt. Fitterer hat sein Amt in schweren Zeiten übernommen: Corona, Ukraine-Krieg, Verödung der Innenstädte, Zunahme des Online-Handels. Darüber sprach der neue Präsident des Handelsverbands Südbaden mit bib-Autor Stefan Pawellek.

bib: Erst Corona, nun der Ukraine-Krieg. Wie stark ist der Handel gebeutelt?
Fitterer: Moment, Corona ist noch immer nicht überstanden. Lockdown und Anti-Corona-Vorschriften haben den Handel stark getroffen, kaum jemand kam noch in die Innenstädte. Die Lockerungen, wir hoffen besonders auf jene Mitte März, sollten die Innenstädte wieder beleben, mehr Menschen in die Städte locken, das Ladensterben stoppen.

bib: Werden Betriebe aufgeben?
Fitterer: Nicht wenigen Händlern ist alles während der Pandemie über den Kopf gewachsen. Lockdown, rote Zahlen, die Altersversorgung gefährdet. Nun werden Nachfolger gesucht, nur gibt es kaum welche. Es fehlen Fachkräfte, und viele scheuen sich, ein Geschäft zu übernehmen, von dem sie nicht wissen, ob es und wann es schwarze Zahlen schreibt. Laut einer Studie des Handelsverbandes Deutschland (HDE) werden bundesweit um die 16.000 Geschäfte aus allen Branchen aufgeben.

bib: Welche sind am stärksten betroffen?
Fitterer: Die Modebranche ist stark betroffen, egal ob Boutique oder großes Modehaus: Die Menschen flanieren nicht. Gleiches gilt für die Schuhbranche, hier ist es geradezu dramatisch. Im Elektronikbereich ist es schwierig, da gab es Abwanderungen in den Online-Handel. Impfpass, Maske, Kontrollen in und durch die Läden, das schreckt Kunden ab. Es ist eine gewisse Trägheit entstanden, man hat sich mit anderen Einkaufsmöglichkeiten arrangiert. Diese Trägheit ist längst noch nicht beseitigt. Man muss Menschen, Touristen, Kunden mit Veranstaltungen in die Innenstädte locken – da brauchen wir nicht Störfeuer durch Demonstrationen, denn gerade der Samstag ist der Haupteinkaufstag.

bib: Besteht die Gefahr, dass es aufgrund der Ukraine-Krise zu Preiserhöhungen kommt?
Fitterer: Die Getreideversorgung, wo viele Angst haben, ist sicher, wir importieren weltweit, nicht nur aus Russland und der Ukraine. Verknappungen sind aber möglich, ebenso Verteuerungen. Ursache ist vor allem die Logistik: Die üblichen Wege sind unterbrochen, neue müssen gefunden werden, die meist länger sind. Damit erhöht sich die Transportdauer und der Energieverbrauch. Die erhöhten Kosten werden dann auf die Kunden abgewälzt. Hinzu kommt, dass Fahrer fehlen – und die beispielsweise nach der Ukraine fahren, kehren nicht zurück, weil sie ihr Land verteidigen wollen oder müssen. Problematisch ist auch Asien, von dort beziehen wird vieles, beispielsweise Stoffe für die Modeindustrie, Fertigprodukte, Halbleiter und vieles mehr. Wir müssen lernen, wieder mehr auf regionale Produkte und Produktionen zu setzen. Ein längerfristiges Problem ist die Energie, da haben wir viel ausgelagert, die eigene Produktion abgehängt: Das fällt uns nun auf die Füße. Energie wird teurer, was zu einer allgemeinen Verteuerung führt.

bib: Zurück nach Baden: Auf Freiburgs Kajo wird mit Kaiser-Mode eine sehr attraktive Fläche frei. Für welche Nutzung plädiert der HV?
Fitterer: Nun, es sind verschiedene Möglichkeiten denkbar. Aber das Erdgeschoss, eventuell zusammen mit dem Untergeschoss, muss an ein Handelsunternehmen gehen. Da flaniert man, da lockt ein gut gestaltetes Angebot. Es muss ein Frequenzbringer sein. Typische Frequenzbringer sind Lebensmittel- und Drogeriegeschäfte – die werden da nicht hingehen. Mode, das wäre etwas. In den Obergeschossen könnte man sich ein Ärztehaus vorstellen oder auch Büroflächen. Oder auch eine Mischnutzung aus Büros und Wohnen.

bib: Sind angesichts des zunehmenden Online-Handels große Geschäftsflächen denn noch sinnvoll?
Fitterer: Zweifellos wird der Online-Handel stärker. Hier müssen die örtlichen Händler das Serviceangebot verstärken, das Haus attraktiver machen. Online-Anbieter im Modebereich digitalisieren den Körper, damit der Anzug, das Kostüm auch passt. Warum so etwas, plus fachliche Beratung, nicht auch vor Ort anbieten? Wer Ski, wer Wanderschuhe kauft, möchte die mal ausprobieren. Also sollte das Sportgeschäft entsprechende Parcours anbieten. Das Gleiche gilt auch für Fahrradgeschäfte: Ein überdachter Parcours, das ist doch etwas, was Kunden anzieht. Und: Gerade im Sportgeschäft wäre eine angeschlossene Physio-Abteilung der Renner. Es gilt also, attraktive Zusatzangebote zu schaffen. Und dafür braucht man eben auch Platz.

bib: Der Online-Handel wurde durch die Pandemie gepusht. Kann man das zurückdrehen?
Fitterer: Wir müssen dran arbeiten, diesen Marktanteil wieder zurückzufahren. Die Händler müssen sich neu aufstellen, sich einen neuen Stil einfallen lassen, die Kunden neugierig machen. Man darf aber auch den sozialen Aspekt nicht vergessen: nach dem Einkauf bummeln, Essen gehen, einen Kaffee trinken, kurz „sehen und gesehen werden“. Eine attraktive Innenstadt lockt die Kunden mit vielen Kleinigkeiten an.

bib: Wie bewertet der HV die derzeit geltenden Corona-Verordnungen für den Handel?
Fitterer: Wir sind derzeit in der Warnstufe, das heißt, Maske und Hygiene gelten noch, aber das beeinträchtigt das Einkaufen nicht mehr so sehr. Wir hoffen, dass es auch im Herbst ruhig bleibt, keine Schließungen mehr kommen und keine Regelungen wie Ende 2021.

bib: Stehen Tarifverhandlungen an?
Fitterer: Nein. Es gab 2021 einen Zweijahresabschluss, der uns sehr weh getan hat. Die Inflation knabbert natürlich an den Einkommen. Aber es herrscht Fachkräftemangel, wenn Sie gute Kräfte halten wollen, brauchen Sie keinen Tarifvertrag.

bib: Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen?
Fitterer: (lacht) Vieles wurde durch Corona obsolet – beispielsweise wollte ich durch die Städte und Rathäuser touren, das ging nicht. Ich wollte Firmen aufsuchen, denn im Gegensatz zur IHK gibt es bei uns keine Pflichtmitgliedschaft, wir müssen unsere Mitglieder werben, überzeugen, bei der Stange halten – zum Beispiel durch Vorträge, Schulungen, Präsentationen. Ging nicht. Zwei Dinge sind mir wichtig: Das ist einmal die Innenstadtbelebung, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Und, natürlich, neue Mitglieder werben. Das erhöht unsere Schlagkraft und betont die Stärke des Verbandes.

bib: Herr Fitterer, vielen Dank für dieses Gespräch.

Zur Person
Roland Fitterer ist seit 1979 geschäftsführender Gesellschafter der Frischemarkt Fitterer GmbH, die in Baden-Baden beheimatet ist. Seine beiden Söhne Andreas und Sven arbeiten beide als Gesellschafter im Familienunternehmen mit, das 1959 von Hans und Klara Fitterer gegründet wurde. Heute betreibt die Firma drei Supermärkte, drei weitere sind in Planung. Daneben werden in diesem Jahr noch drei freistehende Bäckereifilialen übernommen. Insgesamt beschäftigt Fitterer derzeit 180 Mitarbeiter·innen. Der 64-Jährige ist Aufsichtsrat bei der EDEKA Südwest, Präsident HV Südbaden e.V., Vizepräsident HV Baden-Württemberg, Vizepräsident IHK Karlsruhe und Einzelhandelsausschussvorsitzender IHK Karlsruhe.

Foto: © Stephan Pawellek