Heimspiel: „In der Dunkelheit ein Hoffnungsschimmer“ STADTGEPLAUDER | 18.12.2021 | Erika Weisser

Seit mehr als sechs Jahren ist Michael Philippi evangelischer Pfarrer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg. Zuvor war der 61-Jährige, der aus Heidelberg stammt und auch schon in Frankfurt als Gefängnispfarrer wirkte, Hochschulpfarrer für die Freiburger Studierenden. Sein Schwerpunkt liegt auf der Seelsorge – und die ist gerade besonders gefragt.

„Dass ich Theologe geworden bin, hat viel mit Lateinamerika zu tun. Ich war bereits als Schüler in der kirchlichen und politischen Solidaritätsarbeit für die von Militärdiktaturen verfolgten Menschen in Chile und Argentinien aktiv und habe, als ich 1981 erstmals für ein Jahr dort war, Kirche ganz anders erlebt als Kirche hier. Die Befreiungstheologie und ihre nah an den Menschen orientierte Arbeit haben mich stark geprägt, noch vor meiner Rückkehr beschloss ich, Theologie zu studieren. Während des Studiums war ich dann auch mehrmals in Nicaragua, war 1987/88 in einem befreiungstheologischen Zentrum in Managua tätig.

Es war für mich immer klar, dass ich mit Menschen arbeiten wollte. Allerdings nicht für den Staat. Und in der Kirche habe ich eine andere Instanz über mir, die für die menschenfreundliche Weiterentwicklung menschengemachter Strukturen steht. Jetzt lebe und arbeite ich zwar in einem staatlichen System, doch als Pfarrer der Landeskirche bin ich an den Knast nur „ausgeliehen“, was für meine geistige Unabhängigkeit sehr wichtig ist. Denn im Strafvollzugssystem, das über einen Gefangenen praktisch alles dokumentiert, biete ich als Pfarrer Verschwiegenheit.

Die Einzelgespräche, in denen es um private Dinge, oft um Trennung, um die Bearbeitung der eigenen Geschichte und der Taten, um persönliche Verantwortung und manchmal auch um Gott und religiöse Fragen geht, unterliegen einer Art Beichtgeheimnis. Anders als Psycholog·innen und Sozialarbeiter·innen muss ich keine Beurteilung abgeben. Dadurch bin ich auch eher der Ansprechpartner für die Unzufriedenheit und den Frust in der totalen Institution JVA, für Ängste und Resignation.

Das ist auch jetzt in der Weihnachtszeit spürbar, die für die Gefangenen wegen der rigorosen Besuchs- und Kontaktbeschränkungen durch Corona nun schon das zweite Mal noch einsamer und schwieriger ist als ohnehin. Manche versuchen zwar, sich emotional abzuschotten, doch bei vielen ist spürbar, dass die Nerven blank liegen. Früher waren die Weihnachtsgottesdienste, die wir an Heiligabend feiern, immer voll. Es konnten ja noch Menschen von draußen und Musiker·innen dabei sein. Jetzt ist die Teilnehmerzahl auf 40 beschränkt, und es darf niemand von außen hereinkommen.

Dabei wollen wir gerade in diesen Zeiten zumindest punktuell eine andere, angenehme Atmosphäre schaffen, einen festlichen Anders-Ort, der mit Kerzen, Musik und Worten ausdrückt, dass auch die Gefangenen Mensch sind. Das Weihnachtslicht hat das Potenzial, zumindest einen bescheidenen Hoffnungsschimmer in die Dunkelheit eines geschlossenen Systems zu bringen. Denn Frieden ist uns allen zugesagt.“

Foto: © Erika Weisser