Alltägliche Horrorszenarien: "Nach der Flucht" als Buch-Tipp Kultur | 17.09.2017

„Erst wenn er sich von den Zuschreibungen der Herkunft und den Zumutungen der Ankunft gelöst hat, ist der Geflüchtete wirklich frei.“ Dieser letzte Satz in Ilija Trojanows neuem Buch könnte auch an dessen Anfang stehen. Er tut es gewissermaßen auch: Er ist mit der Ordnungszahl 1 versehen, obwohl er am Ende einer Folge von Kurzdramen, Zitaten, Aphorismen und Lebensweisheiten steht, die mit der Nummer 99 beginnen. Und bis dorthin reihen sich römisch bezifferte Kleinkapitel von I bis XCIX aneinander.

188 nachdenkenswerte, zuweilen auch schwer verdauliche Überlegungen, Feststellungen und Behauptungen tischt der Autor uns auf – und wenn wir sie nach der ersten Lektüre in umgekehrter Reihenfolge lesen, stellt sich ein Gedankengang dar, der zwar anders, aber doch ebenso schlüssig ist wie der erste: Trojanow plädiert für die Überwindung von Grenzen, findet zu einer positiven, kosmopolitischen Umdeutung der Flucht. Auch seiner eigenen: Er dankt seinen Eltern, die ihn „mit der Flucht beschenkten“, als er Kind war.

Ein kleines Kunstwerk, das von zwei Seiten zu einem weiteren Kunstwerk in der Mitte des schmalen Bändchens hinführt: Ein Bild aus dem Zyklus „The Migration Series“ von Jacob Lawrence, der ihn zu dem Buch inspirierte.

Nach der Flucht
Autorin: Ilija Trojanov
Verlag: S. Fischer, 2017
128 Seiten, gebunden
Preis: 15 Euro