„Bücher wird es immer geben“: Herder feiert 220-jähriges Bestehen Kultur | 15.10.2018 | Stella Schewe

Mit zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur hat der Freiburger Verlag Herder 2001 im „Roten Haus“, dem Verlagsgebäude an der Habsburgerstraße, sein 200-jähriges Bestehen gefeiert. Gerade mal 17 Jahre später ist nun vom 220. Geburtstag des Verlags mit seinen 190 festen und freien Mitarbeitern die Rede. „Nein, falsch gefeiert haben wir nicht“, sagt der Verleger Manuel Herder lachend.

Schließlich habe Bartholomä Herder den Verlag im Jahr 1801 in Meersburg am Bodensee gegründet: „Dieses Datum ist also gesetzt.“ Allerdings hatte jener Bartholomä Herder bereits drei Jahre zuvor, 1798, in Rottweil das erste „Herder-Buch“ verlegt: eine „Reichsstaatsrechtliche Untersuchung“. Und dieses Datum feiere man jetzt, im Jahr 2018: „Das ist wie mit standesamtlicher und kirchlicher Trauung, wir haben einfach zwei Gründungsdaten.“

Ziel des Verlagsgründers sei es gewesen, „gute Schriften zu verbreiten und so die Liebe zur Literatur zu wecken. Das ist quasi unser Verlagsprogramm bis heute“, erklärt der 52-Jährige, der den Verlag seit 1999 in sechster Generation leitet. Er erzählt, wie Bartholomä Herder 1808 nach Freiburg zog und sich der Universität anschloss: „Ein echter Gründungsprozess“, wie man ihn heutzutage bei Start-up-Unternehmen erlebe, die mit wenig Geld loslegten und sich dann nach und nach vergrößerten. „Wenn Sie sich die Anfänge des Hauses Herder anschauen, dann haben Sie par excellence eine Start-up-Geschichte von vor 220 Jahren.“

Die an Aktualität nichts verloren habe, der spannende Teil komme jetzt: „Die Verlegerei, so wie wir sie vom Urgroßvater und Großvater gelernt haben, die hat sich natürlich überholt“, sagt Herder. „Die Digitalisierung hat unser Geschäftsmodell ad absurdum geführt. Kein Mensch braucht heute mehr bedrucktes Papier.“ Was für den findigen Unternehmer jedoch kein Grund ist, den Kopf in den Sand zu stecken – ganz im Gegenteil: Mit neuen Ideen und Beteiligungen an Online-Firmen wie der Berliner App-Agentur Smart Mobile Factory führt er den Verlag beherzt in die digitale Zukunft.

Dazu gehört auch der Kauf der Buchhandelskette Thalia vor zwei Jahren: „Von den klassischen deutschen Buchhändlern ist Thalia erfreulicherweise der größte Online-Händler. Thalia ist ein volldigitalisiertes Unternehmen und von daher für uns natürlich hochgradig attraktiv.“ Mittlerweile hat der Verlag Herder mit E-Books und Apps mehr Online-Produkte als gedruckte Bücher im Angebot. „Früher haben wir einfach Texte gemacht und zwischen zwei Buchdeckel gepackt. Heute muss alles auf Datenbanken vorrätig und online verfügbar sein, das ist ein völlig anderes Arbeiten als noch vor 20 Jahren“, so der Verleger.

Womit der Verlag wieder bei seinen Start-up-Wurzeln angelangt ist: „Diese Mentalität leben wir heute noch“, sagt Herder und betont gleichzeitig, wie wichtig es ihm sei – als Vater von vier Kindern – ein familienfreundliches Unternehmen mit vielen Teilzeitstellen zu sein.

»Start-up-Geschichte par excellence«

Er führt ins Dachgeschoss des Roten Hauses und zeigt auf seinen „Start-up-Schreibtisch“, der in einem offenen Bereich hinter Glaswänden gegenüber dem seiner Sekretärin steht. Auch das Team eines jungen kleinen Verlags hat hier seinen Arbeitsplatz. Beim „Startup Camp Herder“ können junge Unternehmer Geschäftsideen entwickeln, und als einer von fünf Partnern ist Herder an der „Ideentanke“ auf der Frankfurter Buchmesse beteiligt – um das „Medium Buch neu zu denken“.

Doch wer eine der Neuerscheinungen dieses Jahres in Händen hält, spürt sofort: Auch das klassische Buch hat hier nach wie vor einen hohen Stellenwert. Der Einband in zartem Altrosa, der Buchrücken dunkelrot, auf dem Titel japanische Schriftzeichen. „Nur eine kleine Maulbeere. Aber sie wog schwer“ heißt der liebevoll gestaltete Band mit Gedichten der Kaiserin von Japan.

Sieben Jahre hat der studierte Japanologe gebraucht, um sie herausgeben zu können, allein zwei Jahre, bis er den richtigen Ansprechpartner fand: den Kammerherren der Kaiserin Michiko. Die Idee hatte er, als er 2011, nach dem Reaktorunfall von Fukushima und dem Tsunami, davon hörte, dass die Kaiserin ein Trauergedicht geschrieben habe und auch sonst Gedichte verfasse. „Da dachte ich mir: Wenn ich diese in einem Band zusammenbrächte, dann wäre das doch ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Japan.“

Als das Buch Anfang 2018 schließlich fertig war – „es ist wunderschön geworden“, freut er sich – konnte er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf seiner Japanreise begleiten und der Kaiserin das Buch persönlich überreichen. Warum er in all den Jahren nie aufgegeben habe, habe sie bei Tee und süßem Gebäck gefragt. Seine Antwort: „Das Buch bedeutet mir so viel, ich habe es ins Herz geschlossen.“

Dieses und alle anderen Bücher, an deren Zukunft der Verleger trotz des digitalen Wandels felsenfest glaubt. Zwar sei „die Notwendigkeit von Büchern in etwa so gegeben wie die von Kerzen“ – aber auch wenn kein Mensch sie heute noch brauche: „Sie stehen trotzdem überall, in Kirchen ebenso wie bei Candlelight-Dinners. Sie sind schön, und deshalb wird es sie immer geben.“

„Nur eine kleine ­Maulbeere.
Aber sie wog schwer“

Gedichte von ­Michiko
Kaiserin von Japan
Herder Verlag
144 Seiten, Halbleinen