Die Lieblinge der Buchhändler: Heitere, spannende, Preisgekrönte Lektüre für lange Abende Kultur | 30.12.2020 | ewei

Lieferdienst von Bücher mit Fahrrad Aufgestapelt: Fahrrad-Bücherkurierinnen mit hoch belasteten Gepäckträgern prägen in diesen Zeiten das Bild der Stadt.

Freiburgs Buchhändler haben die Krise trotz der Schließungen im Frühjahr gut gemeistert – mit guten Ideen und mobilem Service. Vor Weihnachten haben sie zwar alle Hände voll zu tun, verraten aber trotzdem noch kurz ihre ganz persönlichen Bücher des Jahres.

Berührend und humorvoll

„Hamster im hinteren Stromgebiet“ ist der 5. Band aus der autobiografischen Reihe „Alle Toten fliegen hoch“ von Joachim Meyerhoff.

Mit gerade 51 erleidet der voll im Leben stehende, sportlich trainierte Autor und Schauspieler einen Schlaganfall. Aus Angst, der nächste Schlaf könnte ihn in den Tod führen, erlaubt Meyerhoff sich des Nachts nur ein Dösen und beginnt mit dem Erzählen von Geschichten, die ihn aus der Krankheit ins Leben zurückführen. Ein Buch über die Macht des Erzählens und wie Komik in Grenzsituationen heilt und hilft. Ein Werk, das berührt und ebenso humorvoll ist und mit seinen meisterhaft skurrilen Beobachtungen lange in Erinnerung bleibt.

Hamster Buchcover

Hamster im hinteren Stromgebiet
Joachim Meyerhoff,
Verlag: Kiepenheuer & Witsch 2020
320 Seiten, geb., 24 Euro

Elke Siebenrock, Buchhandlung Rombach

 

 

 

Überraschend und heiter

Eins meiner Lieblingsbücher aus dem Jahr 2020 ist „Wilde Freude“ von Sorj Chalandon.

Jeanne, die Ich-Erzählerin, bekommt zu Beginn der Geschichte die Diagnose Brustkrebs. Ihr Mann ist ihr keine Stütze, sagt von sich selbst, er habe „kein Herz“ mehr dafür, zu viel Seelenkraft haben ihn verschiedene Verluste, unter anderem der des gemeinsamen Sohns, gekostet.

Echte Verbündete findet Jeanne in ihren drei Freundinnen. Gemeinsam nehmen die vom Leben Gebeutelten ihr Schicksal selbst in die Hand und schmieden den Plan, den größten Juwelier der Stadt auszurauben. Es ist eine wahre Freude, den Frauen dabei zuzusehen, wie sie sich durch die Kraft der Freundschaft zu Heldinnen ihrer eigenen Geschichte verwandeln.

Wilde Freude Buchcover

Wilde Freude,
Sorj  Chalandon,
Verlag: dtv  2020
288 Seiten, Hardcover, 22 Euro

Iris Hakelberg, Buchhandlung Vogel

 

 

 

Preisgekrönt und lustig

Bob ist Postbote mit Leib und Seele. Mit seinem Raumschiff bringt er den Leuten ihre Briefe in die entlegensten Winkel des Weltalls. Na ja, zumindest in die Winkel des Weltalls, die er kennt. Denn Bob mag es gemütlich und er schätzt seinen wohlgeordneten Tagesablauf. An diesem Tag allerdings ist im Postamt nicht alles so, wie es eigentlich sein sollte …

In dem farbenfroh erzählten Comic begegnen wir neben außergewöhnlichen Orten mit beeindruckend fremden Landschaften auch einer ganzen Reihe von Außerirdischen. Darunter einem riesigen blauen Bauern, einer kleinen kakteenartigen Kreatur, dem kleinen Prinzen und einem Rudel kosmischer Hunde, die es kaum erwarten können, einen leckeren Bissen von einem Briefträger zu erwischen. Bobs Abenteuer auf seinen fünf Postrouten sind so aufregend wie lustig und machen diesen preisgekrönten kanadischen Comic zu einem Lesevergnügen für Groß und Klein.

Der Weltraumpostbote Buchcover

Der Weltraumpostbote 
Guillaume Perreault
übersetzt von Ulrich Pröfrock,
Verlag: Rotopol 2020
144 Seiten, Hardcover, 18 Euro

Michael Schumann, Buchhandlung X für U

 

 

 

Hochspannend und plastisch

Ob sich im Leben ihrer Großmutter alles genau so zugetragen hat, wie es Zora del Buono in ihrem Familienroman schildert, mögen manche LeserInnen bezweifeln. Doch das literarische Porträt dieser herrischen, widersprüchlichen Frau ist schon vom politisch-historischen Hintergrund her hochspannend.

Als die Slowenin Zora Ostan kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs den italienischen Radiologen Pietro del Buono kennenlernt, ist in Italien Mussolinis faschistische Bewegung bereits im Aufbruch. Nach der Heirat führen die del Buonos in Bari ein großbürgerlich-antifaschistisches Familienleben, das der Roman in all seinen Facetten plastisch ausbreitet.

Auch nach dem Ende des Faschismus engagieren sich Zora und Pietro in der Kommunistischen Partei, werden aber 1948 ausgeschlossen: Sie sind in einen politisch motivierten Raubmord verwickelt, den sie aktiv vertuschen. Von dieser Demütigung hat sich Zora offenbar nie erholt. Im Alter krank und vereinsamt, bleibt ihr als letzter politischer Halt der lebenslang verehrte Marschall Tito.

Viele Fäden und Verästelungen der Familiengeschichte werden in Zoras Schlussmonolog im Altersheim aufgegriffen – eine ziemlich bittere persönliche Bilanz, zu der auch mehrere früh Verstorbene gehören, an deren Tod sich Zora indirekt mitschuldig fühlt.

Die Marschallin Buchcover

Die Marschallin
Zora del Buono
Verlag: C.H. Beck 2020
282 Seiten, geb., 24 Euro

Heinz Auweder, Jos Fritz Buchhandlung

 

 

 

Brillant und mitreißend

Als Océane an ihrem fünfzehnten Geburtstag von der Schule nach Hause kommt, wird sie Augenzeugin einer brutalen Razzia. Es ist der 11. Juni 1981. Die Polizei beschlagnahmt die Fischernetze der Mi’gmaq, die seit Jahrhunderten vom Lachsfang leben. Viele werden verhaftet, es gibt Tote. Québec, ganz Kanada ist in Aufruhr. Kurz darauf findet der Ranger Leclerc ein indigenes Mädchen, das mehrfach vergewaltigt wurde. Zusammen mit dem Mi’gmaq William versucht er die Tat aufzuklären. Dabei kommen sie einem Netzwerk auf die Spur, in das auch die Polizei verstrickt ist.

Taqawan, so nennen die Mi’gmaq den Lachs, wenn er flussaufwärts zu seinem Geburtsort schwimmt. Auch Éric Plamondon begibt sich zu den Ursprüngen: Er verwebt die Geschichte der Kolonisation Ostkanadas mit den Legenden der Mi’gmaq und ihrem Ringen um Eigenständigkeit. Ein packender Roman noir und ein faszinierender Einblick in die Lebenswelt dieser First Nation. Historische Recherche, gesellschafts- und kulturpolitische Studie und Kriminalroman in einem – brillant und mitreißend.

Taqawan Buchcover

Taqawan
Éric Plamondon
Verlag: Lenos 2020
208 Seiten, Softcover, 22 Euro

Monika Hönig, Buchhandlung Vauban

 

 

Temporeich und klug

Peter Siebert weiß, was alle wollen. Mit absoluter Intuition entwirft er Produkte und Kampagnen, die immer ein Erfolg werden.  Doch seine perfekte Fassade täuscht: Er weiß nicht, wer er ist oder was er will. Bis er unversehens den Auftrag seines Lebens landet:  Der begehrte Produktdesigner wird von einer Tech-Firma im Silicon Valley abgeworben, die ein Gerät zur Steigerung der Gehirnleistung entwickelt. Und Peter soll es zur Marktreife bringen.

Er begibt sich auf eine ziemlich abenteuerliche Reise, die seine Existenz auf den Kopf stellt. Dafür ist auch die mysteriöse Anne verantwortlich, mit der er in eine verhängnisvolle Beziehung gerät – und in ein Gespinst aus Intrige, Macht und Begierden. Dabei versucht er, seinen geheimen Auftrag zu erfüllen und gleichzeitig authentisch zu bleiben.

Wie nebenbei werden ihm – und damit den Lesern – tiefe Einblicke gewährt in die Leben etlicher höchst sonderbarer Menschen, die seinen Weg kreuzen. Dabei gelangt er zu der für ihn nicht selbstverständlichen Erkenntnis, dass jeder zufällige Passant ein ähnlich komplexes Leben führt wie man selbst.

Eine rasante Mischung aus Abenteuerroman, Wissenschaftsthriller und Liebesgeschichte. Temporeich, spannend und klug.

Sonder Buchcover

Sonder
Alard von Kittlitz
Verlag: Piper 2020
320 Seiten, Hardcover, 22 Euro

Konstantin Klingberg, Buchhandlung Klingberg

 

 

 

Foto: © Jos Fritz Buchhandlung