Zwei Durchstarter des Philharmonischen Orchesters über den Weg zum Berufsmusiker Kultur | 18.11.2018 | Till Neumann

Rund 70 Vollblutmusiker spielen im Philharmonischen Orchester Freiburg. Dort festangestellt zu sein, ist für viele ein Traum. Zwei junge Virtuosen haben den Schritt vor nicht allzu langer Zeit geschafft. Sie berichten von Nervosität, Sahnetagen und abgefahrenen Stücken.

Vollgepackt mit Trommeln in allen Größen ist der Arbeitsplatz von Thomas Varga (oben links). Im „Schlagzeuglager“ am Theater Freiburg ist der 27-Jährige in seinem Element. Als Erster Schlagzeuger des Orchesters kennt er die rund 200 Instrumente dort in- und auswendig. Auch das Größte: ein dunkelbraunes Marimbaphon. „Das ist das Soloinstrument schlechthin, da kann man zeigen, was man kann“, schwärmt Varga.

Seit sechs Jahren ist der gebürtige Tettnanger im Orchester. Mit einem unbefristeten Teilzeitvertrag ausgestattet, kümmert er sich bei Konzerten um den Rhythmus – ganz hinten, ganz oben ist sein Arbeitsplatz. „Mein Lehrer hat immer gesagt: Das Becken muss auch die Dame in der letzten Reihe sehen“, erzählt Varga. Man spiele schließlich auch fürs Auge. Ausufernde Bewegungen sind daher Teil des Berufs.

Ein Durchstarter ist Varga zweifelsohne: Schon im zweiten Semester seines Bachelor-Studiums in München bekam er die begehrte Stelle in Freiburg. Ein Jackpot: „In dem Jahr gab es in ganz Deutschland nur eine ausgeschriebene Stelle für Schlagzeuger“, erinnert er sich. Gegen 13 andere Musiker ging er ins Rennen, die erste Runde wurde hinter einem Vorhang gespielt. „An so einem Tag brauchst du die Form deines Lebens“, sagt Varga. Die hatte er, setzte sich durch und „gewann“ die Stelle, wie Musiker sagen.

„Ich habe maximales Risiko gespielt, mit der Warmduscherstrategie kommst du nicht weit“, betont Varga. Der Plan ging auf: An der kleinen Trommel klappte einfach alles, er bekam den Zuschlag. Und bedankte sich mit Freudenschreien. Trotz der halben Stelle machte er sein Studium fertig, pendelte zwischen Freiburg und München. „Kaffee und Red Bull waren meine besten Freunde“, erinnert er sich.

Ein Jahr auf Probe war Varga angestellt. Dabei stehe man unter besonderer Beobachtung. „Wenn man mit Druck nicht klarkommt, ist man raus.“ Stressig sei das gewesen, aber auch schön. Schließlich ist Schlagzeugspielen seine Leidenschaft. „Vor schwierigen Stücken ist man schon nervös“, sagt Varga. Fehler könnten da auch mal passieren. „Wenn bei Tschaikowksi das Becken zu spät kommt, ist man auf dem Präsentierteller.“

70 Musiker, ein Klangkörper: das Philharmonische Orchester mit Dirigent Fabrice Bollon

Für Orchester-Musiker ist Deutschland „das beste Land der Welt“

Doch er zeigte sich zuverlässig und überstand das erste Jahr mit Bravour. Auch weil er akribisch zu Werke ging. „Ich bin sehr ehrgeizig bei der Vorbereitung.“ Probenmarathons sind da keine Seltenheit, beispielsweise als vergangenes Jahr „Angels in America“ von Peter Eötvös anstand. „Wir haben geprobt wie Sau“, sagt Varga und lacht. Ein 360-Grad-Set habe er um sich herum aufgebaut, um alle Instrumente spielen zu können. Taktwechsel bis zum Gehtnichtmehr habe es gegeben, „total abgefahren“.

Entscheidend ist für ihn, dass sich im Leben nicht alles um Musik dreht. Als Ausgleich fährt er BMX und Mountainbike – auch auf Downhillstrecken. „Gerade vor schwierigen Konzerten ist es wichtig, den Kopf freizukriegen.“

Die gleiche Strategie verfolgt Adrienne Hochman (oben rechts). Die 28-Jährige ist seit September 2017 Solobratschistin im Philharmonischen Orchester. Zum Ausgleich läuft sie Marathon. Im Orchester zu spielen, ist für sie auch ein wenig wie Hochleistungssport. Stundenlanges Musizieren erfordere viel Konzentration und Übung. Schulter und Rücken würden stark beansprucht.

Die Probezeit hat Hochman seit einigen Wochen hinter sich – und ist damit ebenfalls unbefristet eingestellt. „Ich bin sehr glücklich hier, das ist ein nettes Orchester, alle sind freundlich und offen“, erzählt die gebürtige Texanerin in fließendem Deutsch. Im Rahmen ihres Musikstudiums kam sie für ein Jahresstipendium nach Lübeck. Von da aus landete sie 2017 nach einem Probespiel in Freiburg.

„Man braucht dafür auch Glück“, sagt Hochman. Manchmal spiele man super, werde aber trotzdem nicht genommen. Entscheidend sei, wer noch alles antritt und wer in der Jury sitzt. Mit ihrer Bratsche überzeugte sie und rief vor Freude ihre Familie und alle ihre Freunde an. Deutschland ist für Hochman ein wahres Mekka: „Wenn man Orchester spielen will, ist es das beste Land der Welt.“ In den USA gebe es 16 oder 17 Vollzeitorchester, in Deutschland etwa 130.

Live

Das Philharmonische Orchester spielt am Dienstag, 20. November, das 2. Sinfoniekonzert im Konzerthaus Freiburg. Start ist um 20 Uhr. Mehr dazu gibt’s im Spielplan des Theaters.

Gegründet wurde das Orchester 1887.  Es etablierte sich rasch als offizielles Theater der Stadt am Theater der Konzerttätigkeit an rund 100 Abenden pro Jahr als Opernorchester in Erscheinung. Die Musiker gestalten zudem eine eigene Kammermusikreihe und engagieren sich mit Musikvermittelungsprojekten an Schulen. Seit 2008 leitet Fabrice Bollon als Generalmusikdirektor das Ensemble.

Fotos: © Britt Schilling, Till Neumann