Einäugig surfen: Al Jawala schwimmen mit und gegen den Strom Kultur | 09.05.2018 | Till Neumann

Psychedelische Farben flackern über die fünf Musiker. Das Saxofon dröhnt, die Gitarre krächzt, ein Hund chillt vor einer Couch. Auf der schlürft Sängerin Steffi Schimmer Schampus. Im ersten Musikvideo zur neuen Scheibe der Jawalas geht’s lässig zu.

Seit 18 Jahren sind sie im Geschäft, aber längst nicht müde, zeigt ein Besuch in ihrem Freiburger Proberaum. Kurs halten und sich zugleich neu erfinden – so die Devise.

Der Ofen bollert im Proberaum an diesem kalten Märzabend. Die CD ist im Kasten, das Feilen am Bühnenprogramm läuft auf Hochtouren. Erst kürzlich ist die Band umgezogen, hat jetzt mehr Platz, um sich auszutoben. Doch nicht nur der Raum ist neu – auch der Sound der Freiburger Musikveteranen hat ein Update bekommen: „Die Musik hat sich gewandelt“, sagt Steffi Schimmer. „Auch wenn wir immer noch eine non-mainstreamige Band sind.“ Der größte Wechsel betrifft sie selbst: Statt Saxophon zu spielen, greift sie neuerdings zum Mikro.

„Die Vocals sind tragend geworden“, erklärt die 40-jährige Bandgründerin. Ein nächster konsequenter Schritt sei das. Seit den Anfängen als Straßenband habe man sich immer weiter entwickelt. Stück für Stück haben bei der energiegeladenen Liveband Vocals Einzug gehalten. Auf der jüngsten Tour waren von sechzehn Tracks schon sechs mit Gesang, erzählt Schimmer. Jetzt gibt es nur noch einen ohne Vocals.

Dass Al Jawala mit der Zeit gehen, zeigt auch der Vocoder-Einsatz. Die Maschine, mit der Stimmen einen Leiereffekt bekommen, wird im Proberaum feinjustiert. Noch klingt nicht alles, wie es soll, sagt Bandleader Markus Schumacher (40). Auf dem Album ist das Ergebnis jedoch schon zu hören: Im Titeltrack „Lovers“ singt Schimmer eine Widmung für alle Liebenden. Der Album-Opener ist eine Ansage: Wir gehen neue Wege.

Altbekannt ist das Digderidoo. Die Balkan-Beat- und Gipsy-Vergangenheit der Band ist weiter präsent. Dennoch klingt „Lovers“ erfrischend modern. Der größere Ohrwurm ist aber die erste Single „Zyklop Surfers“. „Banga Banga Banga“, singt Schimmer im Refrain. Jamaikanischer Slang für „Kumpel“. Der Track kombiniert eine Surfer-Gitarre mit einem griechischen Rembetiko-Thema und indischen Banghra-Grooves. Exotisch-bunt. Pflicht bei den Jawalas. Neben Schumacher und Schimmer sind das Bassist Ben Krahl, Saxofonist Krischan Lukanow und Schlagzeuger Daniel Pellegrini.

Ihre CD ist ein musikalischer Regenbogen: „Road To Civilisation“ verbindet Dancehall mit orientalischen Klängen, „Shooting Stars“ bietet effektbeladenen Rock mit Rapeinlagen, „Cumbia Corazon“ kommt mit Latino-Vibes und dem Freiburger Gastsänger Tatán González Luis von Flecha Negra daher. Bei „Mama Mea“ gibt’s Balkan-Beat mit rumänischem Gesang. Der Sound klingt saftig, modern, erfrischend.

Bunt für die Liebe: „Lovers“ heißt das neue Album der Multi-Kulti-Band Al Jawala.

„Magischen Crossover“, nennt die Band ihren Multi-Kulti-Sound, „tanzbarer Kulturschock“.

„Keiner hat immer nur Bock auf Polka“, sagt Steffi Schimmer. Das sei zwar geil, sie hätten es aber lange genug gemacht. Dazu kommt: „Wir stehen einfach auch auf andere Musik.“ Sie holt sich die Inspiration in ihrem Freiburger Garten oder bei Trips nach Jamaika. Die Sängerin ist die unabhängigste der fünf, die anderen sind bereits Familienväter.

Die Band-Devise: Sich treu bleiben, die Fans überraschen. Das Recording machen sie weiterhin allein. In ein Profistudio zu gehen, schränke ein, finden die Musiker. Im Proberaum klinge es organischer. Dort probieren sie viel aus, feilen an Details, nehmen in Ruhe alles auf. „Wir haben da unsere Recording-Sklaven“, scherzt Schimmer und zeigt auf zwei Bandkollegen. Alle lachen. Das Knowhow dafür haben sie sich über viele Jahre selbst beigebracht.

Die Branche hat sich in fast 20 Jahren Bandgeschichte gewandelt, ist schnelllebiger und digitaler geworden. „Heute kann jeder Dubel mit einem Rechner Musik machen“, sagt Schimmer. Etwas Druck hätten sie schon gespürt, noch einen draufzulegen. „Presse und Veranstalter wollen was Neues“, sagt sie. „Wir hatten aber einfach auch viele geile Ideen“, ergänzt Schumacher.

Eine davon kam Schimmer in Jamaika: ein einäugiger Riese aus griechischen Sagen. „Der Zyklop ist das dritte Auge, das sehende“, sagt sie. Verbunden mit der Surfergitarre entstand der Song „Zyklop Surfer“. Auf der Welle der ersten Album-Single wollen die Jawalas nun auf größere Bühnen reiten.

Rund 1500 Gigs haben sie gespielt bisher. Vergangenes Jahr traten sie in Karlsruhe nach Sido auf, 25.000 Menschen standen vor der Bühne. So etwas würden sie gerne wiederholen: „Jetzt sind wir bereit“, sagt Schimmer. Auch wegen des Gesangs, der ihnen neue Türen öffnen soll.

Ob sie politische Musik machen? „Vor ein paar Jahren habe ich Nein geantwortet“, sagt der Frontmann. Die Antwort sei ihm länger nachgegangen. Die Liebe sei dem Planeten ganz schön abhanden gekommen, findet er. „Es passieren brandgefährliche Dinge“, betont Schimmer. Auf dem Cover ist deswegen ein Herz, das laufen kann. Was das bedeutet, erkennt selbst ein ­einäugiger Zyklop auf dem Surfbrett.

Info: Live am 4. August spielen Al Jawala im Spiegelzelt des ZMF.

Foto: © Felix Groteloh