Im Land der tiefen Risse: Dort, Dort 4Literatur & Kolumnen | 12.11.2019 | Erika Weisser

„Wir kennen das Rauschen des Freeway besser als das der Flüsse, das Heulen von Zügen in der Ferne besser als das der Wölfe, wir kennen den Geruch von Benzin, frisch beregnetem Beton und verbranntem Gummi besser als den von Zedern oder Salbei.“

Tommy Orange, 1982 als Sohn eines zum Stamm der Cheyenne gehörigen Vaters und einer weißen Mutter in Oakland geboren, erzählt die Geschichten der ersten Bewohner Amerikas neu: Sie seien längst urban geworden, schreibt er, und mit jeder Skyline „vertrauter als mit jedem heiligen Bergzug“. Dass diese Urbanität für viele Native Americans aber Zerrissenheit und Verlorenheit bedeutet, wird bei den zwölf mehr oder weniger gestrandeten Figuren manifest, die Oranges Roman zu einer großartigen Geschichts- und Gesellschaftslektion machen.

Da ist etwa die trockene Alkoholikerin Jacquie Red Feather, die ihrer einst zur Adoption freigegebenen Tochter Blue begegnet, ohne sie zu erkennen. Da ist der Drogendealer Tony Loneman, dessen Gesicht vom fetalen Alkoholsyndrom gezeichnet ist. Da ist aber auch der junge Dokumentarfilmer Dene Oxendene, der nach Spuren indianischen Lebens sucht. Sie alle treffen zusammen beim Powwow, dem jährlich gefeierten großen Traditionsfest in Oakland, das dieses Mal in einer Schießerei endet.

 

Cover  Dort, Dort
von Tommy Orange
Verlag: Hanser Berlin, 2019
288 Seiten, gebunden
Preis: 22 Euro