Kleiner Piks, großer Klang: Ralf Schumann behandelt Streich­instrumente mit Akupunktur Kultur | 23.12.2020 | Philip Thomas

Geigenbauer Ralf Schumann Aus dem Münstertal in die Welt: Auch in der Oper von Sydney ist eine Schumann-Geige zu hören.

Seine Patienten sind aus Holz. Seine Methode ist unerhört. Ralf Schumann behandelt Geigen, Bratschen und Celli mit feinen Nadeln und vermag so, verstimmte Instrumente wieder sauber erklingen zu lassen. Das klingt verrückt, für zahlreiche Musiker trifft der Geigenbaumeister aus dem Münstertal allerdings genau den richtigen Ton.

„Ich habe irgendwann auf alten Fotos Einstiche an Geigen entdeckt und mich gefragt, ob die Auswirkungen auf den Klang haben“, erzählt Ralf Schumann in seiner Werkstatt. Seit rund 20 Jahren führt der 65-Jährige dort auch Klangbestimmungen durch und pikst Misstöne aus Instrumenten heraus. Von Berlin bis Basel haben Musiker das kleine Münstertal deswegen schon besucht. Mehr als 1000 Instrumente – darunter auch eine echte Stradivari von 1724 – hat der Geigenbaumeister dort mit seinen Nadeln schon behandelt.

Schumann spielt vor. Der heutige Patient, eine Geige, klingt ein wenig heiser: Ein Ton ist zu scharf. Der Geigenbaumeister beginnt, das Musikinstrument mit einem kleinen Holzstab abzuklopfen. „Ich höre, wie das Holz schwingt“, erklärt er. An einem Streichinstrument entstehen Töne durch Schwingung, die Form bestimmt den Klang. Wird diese verändert, klingt auch das Instrument anders. Schumann erklärt es so: „Eine angeschlagene Saite ist wie ein ins Wasser geworfener Stein. Das Wasser ist die Geige, in der sich die Wellen dann ausbreiten.“ In dieses Gewässer „pikse“ er nun gewissermaßen ein kleines Schilfrohr, das die Klang-Wellen breche.

Der Geigenbauer greift zum Zahnarztbohrer. „Es ist Millimeterarbeit“, sagt er, klopft noch einmal auf das edle Holz und bohrt dann vorsichtig drei kleine Löcher in das Griffbrett und den Steg der Geige. Mit bloßem Auge sind die kleinen Stiche kaum zu sehen. Hörbar seien sie allerdings schon: „Durch Reflexionspunkte ändere ich das Obertonspektrum.“

90 Euro lässt sich Schumann den Service pro Stunde kosten. Beim Stechen ist für Schumann nicht Schluss. Gerade experimentiert er an Stegen. Wölbungen und Vertiefungen auf der Stegoberfläche. „Manchmal reicht eine Aktion, es ist schon verrückt.“

Tatsächlich wirkt die Suche nach dem perfekten Klang ein bisschen bizarr. Eine Analyse aus dem Jahr 2004 gibt Schumann allerdings recht. Damals ließ der Geigenbauer seine Methode vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg mit Laptop und Frequenzmesser überprüfen. Und siehe da. „Insgesamt kann von einer deutlichen Veränderung des Klangbildes gesprochen werden“, attestiert das Papier, merkt allerdings auch eine geringe Datengrundlage an.

Schumann spielt die behandelte Geige noch einmal. Ein scharfer Ton ist nicht mehr zu hören. Musiker, die seine Werkstatt für eine Behandlung besuchen, seien von der Akupunktur oftmals begeistert. Das rufe natürlich auch Skeptiker auf den Plan: „Die Musiker erzählen ihren Kollegen davon und die lachen dann manchmal darüber“, sagt er. Auch die Bezeichnung „Der Spinner aus dem Münstertal“ sei schon gefallen. Schumann ist unbeirrt: „Das macht mir nichts aus, ich glaube es ja manchmal selber nicht.“ 

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