Konstantin Wecker im ausverkauften ZMF-Zirkuszelt Kultur | 18.07.2017

Konstantin Weckers diesjähriges ZMF-Konzert begann nicht erst auf der Bühne: Singend bahnte er sich den Weg dorthin – und verkündete dabei den dicht an dicht sitzenden Menschen im komplett ausverkauften Zirkuszelt, dass „Kein Ende in Sicht“ sei. Dieses Versprechen wird er halten: Nach zwei Stunden regulärer Auftrittszeit verlängern der 70-jährige Musiker und seine fantastische Band noch einmal um eine geschlagene Stunde – mit entsprechender Resonanz im Zuschauerraum.

Emotionales Kraftwerk: Konstantin Wecker beim ZMF.

Schon zum fünften Mal tritt der offenbar unermüdliche Barde beim ZMF auf, begrüßt die Fangemeinde wie alte Vertraute – und verabschiedet sie hernach mit einem besonderen Dankeschön: Nicht überall, freut er sich, gebe es „so viele Leute, die sich drei Stunden lang so geduldig und so begeistert Gedichte anhören“. Wobei das eigens zu seinem jüngst gefeierten 70. Geburtstag bestens arrangierte Tourneeprogramm „Poesie und Widerstand“ sehr viel mehr als Gedichte umfasst: Zu sehr lyrischen, sehr persönlichen, teilweise wehmütigen und immer liebevollen Texten über seine Kinder, seinen Vater und einige andere wichtige Weggefährten stehen regelrechte Appelle, aktiv zu werden, zusammenzustehen für eine Herrschafts- und Grenzenlose Welt, gegen Nationalwahn und Nazis, gegen Patriotismus als „folkloristische Ausgabe des Nationalismus“, gegen Hass und Neid. Und Mahnungen zur Vorsicht vor Kriegstreiberei und Kriegsgeschrei, versteht sich: Wecker ist, wie schon sein immer wieder besungener Vater, überzeugter Pazifist – und diese Überzeugung atmet förmlich aus seinen leisen, poetischen Liedern, unabhängig davon, ob er die Liebe, das Leben, die Menschen, Bäume oder Flüsse besingt.

Diese Überzeugung atmet aber auch aus den dramatischen, lauten Liedern, in denen er die vernichtenden Schrecken der Kriege thematisiert – bei seiner Interpretation von Georg Heyms aufrüttelndem im Jahr 1911 entstandenen Untergangs-Epos „Der Krieg“ spürt man schon Schauder auf der Haut. Das liegt zum Einen an der Inszenierung: Beim stimmgewaltigen Vortrag dieses verstörenden Werks wird der weißhaarige Sänger einzig von einem weißen, von oben kommenden Spotlight beschienen und wirkt dadurch wie eine mahnender Geist der Vergangenheit. Das liegt aber vor allem auch an der unglaublichen dramatischen, geradezu apokalyptischen Dichte der Musik, die Fany Kammerlander am Cello, Marcus Wall auf der Geige, Jens Fischer am Schlagzeug, Severin Trogbacher mit Bratsche und E-Gitarre sowie Weckers „pianistisches Alter Ego“ Jo Barnikel dazu spielen – oder eher lautmalen.

Diese Weltklasse-Band aus Weltklasse-Musikern findet überhaupt zu jedem Lied, zu jedem Sprechgesang Weckers den richtigen und absolut passenden Ton. Mit sichtlicher – und hörbarer Spielfreude begleiten sie ihn auf seiner emotionalen und dennoch politischen Zeitreise durch sein Leben und Werk. Eine Zeitreise, die den Liedermacher auch selbstironisch auf so manche Ungereimtheit zurückblicken lässt: So sei ihm, sagt er etwa, heute ein Rätsel, warum er in den 70er Jahren linke Texte verfasste und gleichzeitig mit knöchellangem Nerzmantel durch München schicke Flanier- und Partymeile zog. Er habe, fügt er unter Beifall hinzu, „aber nicht mit den Liedern gelogen, sondern mit meiner Lebensweise“.

Schon hier, bei solcherlei Selbsterkenntnissen, begann der Funke überzuspringen. Und tat es vollends und nachhaltig, als das emotionale Kraftwerk Wecker zur Melodie von „Freude, schöner Götterfunken“ zum Zusammenhalt gegen Rechts aufrief, zur Überwindung von Hass und Rassismus, zum „Tun, bei dem es nicht um Siege geht“. Standing Ovations am Ende.

Text: Erika Weisser, Foto: Carmen Giesin