künstlerische Metamorphose – Aktuelle Ausstellungen in der REGIO Kultur | 11.11.2024 | Erika Weisser

Matisse: „Luxe, Calme et Volupté“

Die Ausstellung „Matisse – Einladung zur Reise“ der ­Fondation Beyeler ist laut Direktor Sam Keller ein „Glanzlicht im internationalen Kunstkalender“.

Dass er sich bei dieser Einschätzung nicht nur auf die unbedingt sehenswerte, in vier Jahren vorbereitete Retrospektive mit mehr als 70 Werken aller Schaffensphasen des französischen Künstlers Henri Matisse bezieht, wird gleich im ersten Saal deutlich: Das 1904 entstandene Bild „Luxe, Calme et Volupté“ strahlt mit seinen flirrenden, wie getupft wirkenden lichten Farben in einem ganz besonderen Glanz.

Der Titel des in pointilistischer Technik gemalten Bildes, das in nur angedeuteten Konturen Badende an einem Mittelmeerstrand zeigt, stammt aus dem Refrain von Charles Baudelaires Gedicht „Einladung zur Reise“, das das Leitmotiv für die Ausstellung liefert. Denn es war oft Leitmotiv für Matisses Bilder: die Begriffe Überfluss, Ruhe und Genuss sind Themen, die Matisse immer wieder variierte. 

Glanz und Schatten bei Matisse: „Luxe, Calme et Volupté“ (o.) und „Interieur avec Bocal de Poissons Rouges“.

Glanz und Schatten bei Matisse: „Luxe, Calme et Volupté“ (o.) und „Interieur avec Bocal de Poissons Rouges“.

Immer wieder variiert hat der 1954 mit knapp 85 Jahren verstorbene Künstler auch das Sujet Goldfische im Glas: Auf mehreren Bildern haben sie einen Platz – in ganz unterschiedlicher Umgebung und sogar im Zusammenhang mit einem weiteren beliebten Motiv dieses bedeutenden Malers des 20. Jahrhunderts: dem weiblichen Akt. Gerade anhand der Akte ist nachvollziehbar, wie sich die Farbe allmählich verselbstständigt, wie sie „vom Motiv befreit wird“, wie Kurator Raphaël Bouvier sagt. Eine großartige Reise durch 60 Jahre persönliche Kunstgeschichte, vom Figürlichen zur Abstraktion. 

www.fondationbeyeler.ch

Modern Times

Die Ausstellung im Freiburger Museum für Neue Kunst mutet in Teilen sehr aktuell an: Die vor 100 Jahren entstandenen Bilder, Holzschnitte, Grafiken und Kleinskulpturen spiegeln eine durch Kriege, Krisen, soziale Unsicherheit, drohende Rechtsradikalisierung verursachte Zerrissenheit der Gesellschaft jener Zeit, der angeblich „goldenen“ 1920er-Jahre.

Die Werke von Max Beckmann, Otto Dix, Conrad Felixmüller, George Grosz, Lea Grundig,  Käthe Kollwitz, Hanna Nagel, Karl Schmidt-Rotluff und vielen anderen kritischen Künstlern sind nach Themenschwerpunkten sortiert:  Um anhaltende Kriegstraumata geht es, um gescheiterte und erhoffte Revolutionen, um den Widerspruch von Kapital und Arbeit, um Armut und Reichtum, um Verelendung und Utopien, um reale oder vermeintliche Unvereinbarkeiten. Aber auch um demokratischen Aufbruch, um das Frauenwahlrecht und die neue Rolle der Frauen, um Freiheit und Individualität – und die Rolle der Cafés und Kneipen als Orte des künstlerischen und politischen Diskurses, als Umschlagplätze für Informationen und neue Ideen.

Conrad Felixmüllers „Zeitungs­junge“ thematisiert Kinderarmut, sein
„Maidemonstration“ den Wunsch nach Ende der Ungleichheit.

Conrad Felixmüllers „Zeitungs­junge“ thematisiert Kinderarmut, sein „Maidemonstration“ den Wunsch nach Ende der Ungleichheit.

Viele Künstler, auch das wird deutlich, führten wie heute ein Leben am Existenzminimum. Das öffnete ihren Blick für andere Menschen, die am Rande der Gesellschaft vegetierten. Auf Kinder, die zum Familienunterhalt arbeiten mussten. Auf die ungerechte Verteilung des Wohlstands. Eine Ausstellung mit vielen Denkanstößen. 

www.freiburg.de/museen

Machtspiele

Paula Rego ist hierzulande noch eine eher unbekannte Größe. Höchste Zeit, dies zu ändern: Im Kunstmuseum Basel bietet sich bis zum 2. Februar nun erstmals in der Schweiz die Gelegenheit, die vor zwei Jahren 87-jährig verstorbene portugiesische Künstlerin, Feministin und Aktivistin durch ihr Werk kennenzulernen.

In der internationalen Kunstwelt gilt die kompromisslose Schöpferin üppiger, manchmal rätselhafter und oft beunruhigender Bilder als eine der einflussreichsten Malerinnen der letzten Jahrzehnte. Ihre großformatigen Bilder und technisch brillanten Druckgrafiken sind geprägt von den Extremen menschlicher Erfahrung, von den Gegensätzen zwischen Unterwerfung und Dominanz, Fatalismus und Aufbegehren.

Ambivalent und kraftvoll: Paula
Regos „Company of Women“

Ambivalent und kraftvoll: Paula Regos „Company of Women“

„Machtspiele“ lautet denn auch der Titel der Ausstellung, in der etwa 120 Schlüsselwerke Paula Regos aus mehreren Jahrzehnten gezeigt werden. Darunter sind beispielsweise ihre sehr kritischen Arbeiten, mit denen sie die klerikal-faschistische Salazar-Diktatur in Portugal thematisierte, die fast 50 Jahre währte und 1974 endete. Und der sie entkam, indem sie ins britische Exil ging. Doch auch hier war sie unbequem und malte mit großer emotionaler und politischer Wucht gegen Kriege und Ungerechtigkeiten an, etwa gegen die Beteiligung Großbritanniens am Irakkrieg.  Eine außergewöhnliche Ausstellung, die man nicht verpassen sollte. 

www.kunstmuseumbasel.ch

Fotos: © Succession H. Matisse / 2024, ProLitteris, Zürich; Fotos: © RMN-Grand Palais (Musée d’Orsay) / Hervé Lewandowski; © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMNGrand Palais / Philippe Migeat; © VG Bild-Kunst Bonn 2024, Foto: Bernd Sinterhauf; © Paula Rego, 2024 / Brodgeman Images