„Manchmal geht es um Sein oder Nichtsein“: Freiburgs Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach im Interview STADTGEPLAUDER | 24.12.2021 | Lars Bargmann

von Kirchbach

Schon seit der Gründung des Freiburger Stadtmagazins interviewen wir in der Weihnachtsausgabe traditionell den Kulturbürgermeister. Zum 18. Mal also sprach Chefredakteur Lars Bargmann mit Ulrich von Kirchbach (SPD).

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, wie viel Spaß macht es in diesen pandemiedurchtränkten Zeiten, Kulturbürgermeister zu sein?
von Kirchbach (lacht): Nun ja, die Tages-, Wochen- oder Monatsbilanz stimmt meistens. Ich habe mir meine letzte Amtszeit aber natürlich anders vorgestellt.

cultur.zeit: In Österreich gibt es schon wieder einen harten Lockdown, befürchten Sie das für Freiburg auch bald wieder?
von Kirchbach: Nein, das wäre wieder nur reiner Aktionismus. Wir neigen leider dazu, immer von einem Extr­em zum anderen zu gehen. Ende November sind noch 50.000 Leute ohne Maske im Stadion, Anfang Dezember kommt dann wieder das ganz große Besteck? Weil wieder viel zu spät reagiert wurde? Nein, wir brauchen einen Mittelweg.

cultur.zeit: In den langsam überquellenden Intensivstationen liegen bis zu 90 Prozent Ungeimpfte. Ist es jetzt an der Zeit für eine Impfpflicht?
von Kirchbach: Ja. Und zwar nicht für einzelne Berufsgruppen, sondern für alle. Leider hat die Politik da falsche Versprechungen gemacht. Die Einschränkung von Freiheitsrechten ist gekoppelt an die Überlastung des Gesundheitssystems. Es gibt einfach zu viele Skeptiker, bei denen kommt man mit rationalen Argumenten nicht weiter.

cultur.zeit: An der Messe wird schon wieder fleißig geimpft.
von Kirchbach: Es wäre besser gewesen, die Zentralen Impfzentren auf Standby zu lassen, nun haben wir als Kommune mit der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH und dem Uniklinikum die ganze Arbeit und sind auch ­finanziell in Vorleistung gegangen.

cultur.zeit: In vielen Kultureinrichtungen gilt derzeit 2G+. Wie schwer ist die Kulturszene jetzt schon beschädigt?
von Kirchbach: Schwer, und es gibt nicht nur schwere wirtschaftliche, sondern auch schwere psychologische Folgen. Niemand, der sein Leben lang als Kulturschaffender gewirkt hat, will plötzlich dem Staat zur Last fallen und Arbeitslosengeld beantragen.

cultur.zeit: Klingelt heute noch das Telefon und es geht um existentielle Sorgen?
von Kirchbach: Vereinzelt ja. Die nerv­liche Anspannung ist riesengroß. Manchmal geht es um Sein oder Nichtsein. Heute Morgen hat ein Veranstalter angerufen und darum gebeten, ein Konzert zu untersagen, dann gebe es immerhin einen Ausgleich, weil er weiß, dass er mit 2G+ Minus machen wird.

cultur.zeit: Das Rathaus hat bisher zusätzlich zu Bundes- oder Landesprogrammen durch verschiedene kommunale Hilfen etwa 800.000 Euro für die Kulturszene bereitgestellt. Sind weitere Hilfen nötig, und können diese auch geleistet werden?
von Kirchbach: Wenn es nötig ist, werden wir helfen. Wir helfen ja auch jetzt schon durch die verlängerten Stundungen für Mieten in städtischen Liegenschaften oder auch reduzierte Mieten.

cultur.zeit: Äußerst reduziert war das 900-Jahr-Jubiläum. Vor einem Jahr hatten Sie im chilli-Interview noch gehofft, dass Freiburg immerhin den Höhepunkt des Stadtjubiläums noch mit einem großen Festwochenende feiern kann. Auch das fiel Corona zum Opfer. Das Drehbuch des Jubiläums kommt eher einer Tragödie denn einem Lustspiel gleich …
von Kirchbach: Ich sehe das nicht als Tragödie. 60 Prozent der Projekte sind gelaufen. Wir hatten ein schönes Finale mit dem Aktionstheater Panoptikum, eine tolle Gala im Livestream und ein Münstermapping mit 75.000 begeisterten Besuchern. Das waren wichtige emotionale Momente. Auch die Briefaktion (Bürger konnten Briefe an Menschen schreiben, die erst zum 1000-Jährigen der Stadt geöffnet werden sollen, d. Red.) mit rund 2000 Schreibenden war ein Erfolg.

„Das waren wichtige emotionale Momente“

cultur.zeit: Das könnte man fast als bleibend bezeichnen. Aber viel Bleibendes hat das Jubiläum nicht gebracht …
Kirchbach: Wir hatten nie vor, ein Haus zu bauen. Mit drei Millionen geht das auch nicht. Aber wir haben angesichts der schwierigen Randbedingungen und des Budgets das Maximum rausgeholt. Dass wir mit 300.000 Euro im Plus abgeschnitten haben, finde ich bemerkenswert. Und viele Ideen wie besondere Neujahrsempfänge werden auch bleiben. Auch die Lichtevents würde ich als bleibend einschätzen.

cultur.zeit: Wird es ein Buch geben?
von Kirchbach: Wir hätten ausreichend Material.

cultur.zeit: Das NS-Dokumentations­zentrum wird nun fast fünf ­Millionen Euro kosten. Dazu kommen 900.000 Euro für die Ausstattung, ab 2024 jährlich 400.000 Euro fürs Personal und knapp 300.000 laufende Kosten. Ist das verhältnismäßig?
von Kirchbach: Das ist nicht nur verhältnismäßig, sondern überfällig. Die Kosten sind ja nicht neu, die waren schon zu den Haushaltsberatungen bekannt. Von den 300.000 Euro zahlen wir auch Abschreibungen und Zinsen für den Kauf des Gebäudes, schaffen also Werte, und wir bekommen auch mehr als 120.000 Euro Miete von der Landeszentrale für politische Bildung. Das ist ja eben nicht nur ein Dokuzentrum. Das ist ein Quantensprung für die Geschichtsaufbereitung in Freiburg. An einem idealen, authentischen Ort.

cultur.zeit: Sie hatten damit gehadert, dass das Land das Kurzarbeitergeld fürs Stadttheater als Zuschuss interpretiert hatte und damit bei der Förderung 600.000 Euro gegengerechnet hat. Blieb es beim Hadern?
von Kirchbach: Wir hatten mehrere Gespräche mit der Staatssekretärin Petra Olschowski. Das soll eine einmalige Aktion gewesen sein. Das habe ich auch als Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins als klare Erwartungshaltung formuliert. Die Theater müssen auch Rücklagen bilden können. So aber wurde das, was sie an Plus hatten, abgezogen. Uns in Freiburg wurde insgesamt fast eine Million Euro genommen, das ist bitter, zumal wir dieses Geld dringend benötigt hätten. Das ist vom Land aber nun so entschieden und mit Haushaltsvorschriften begründet worden. Aus meiner Sicht wäre das aber eine Sache des politischen Willens gewesen. Wenn ich so mit unseren Zuschussempfängern umgegangen wäre wie das Land mit den Theatern, dann wäre ich wahrscheinlich auf dem Münsterplatz an den Pranger gestellt worden.

cultur.zeit: Die 2014 installierte Kunstkommission ist Mitte November geschlossen zurückgetreten. Ärger gab es etwa um Podcasts, die, so das Rathaus, Persönlichkeitsrechte verletzten. Die Vorsitzende Angeli Janhsen kritisierte die fehlende Unabhängigkeit bis hin zur Zensur. Wie bewerten Sie den Vorgang?
von Kirchbach: Ich bedaure das. Der Ärger hatte sich unter anderem an einer temporären Ausstellung im Sedanquartier entzündet. Der Empfehlung der Kunstkommission, die Ausstellung zu beenden, bin ich in Absprache mit dem Kulturausschuss nicht gefolgt. Wir haben beschlossen, die Ausstellung bis zum Sommer 2022 zu verlängern. Diese Entscheidung hat die Kunstkommission nicht akzeptieren wollen. Sie hat aber nur eine beratende Funktion. Zudem hat die Kommission auf der Homepage der Stadt Podcasts veröffentlicht, die in der Tat Persönlichkeitsrechte von Künstlerinnen tangieren. Ich wurde schon mit Schadensersatzforderungen konfrontiert. Deshalb haben wir die Podcasts von der städtischen Seite genommen. Die Kommission hätte sie ja auf einer eigenen Homepage weiterhin veröffentlichen können. Wenn sie daraufhin zurücktritt, ist das ihre Entscheidung.

cultur.zeit: Steht die Kommission als Ganzes in Frage oder wird sie neu besetzt?
von Kirchbach: Sie soll neu besetzt werden. Aber letztlich bleibt die Entscheidungsbefugnis immer beim Bürgermeisteramt und dem Gemeinderat.

Persönlichkeitsrechte von Künstlerinnen tangiert

cultur.zeit: Gab es für Sie auch einen schönsten Moment des Jahres 2021?
von Kirchbach: Der größte Lichtblick war, dass wir in wenigen Wochen das Kultur-Los!-Festival auf drei städtischen Plätzen auf die Beine gestellt haben und als eine der wenigen Städte die Höchstförderung (500.000 Euro, d. Red.) bekommen haben. Da haben alle Beteiligten einen super Job gemacht, das war schon toll, auch emotional. Wir waren eben nicht in der Kulturwüste. Es hat sich auch innerhalb der Verwaltung in den Köpfen viel bewegt, wir haben Dinge in Wochen geschafft, wozu wir sonst Jahre gebraucht hätten. Die Wiedereröffnung vom Haus der Jugend war auch ein ganz, ganz wichtiges Zeichen.

cultur.zeit: Wie lauten Ihre Ziele für 2022?
von Kirchbach: Wir reden viel über Klimaschutz und haben da auch einen Schwerpunkt in unserem Handeln. Aber Soziales und Kultur müssen mit in die Nachhaltigkeitsprozesse aufgenommen werden. Gerade eine Stadt wie Freiburg muss da klare Akzente setzen.

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.

Foto: © bar