Simplicissimus-Haus – ein ganz besonderes Literatur-Museum Kultur | 15.10.2024 | Erika Weisser
In Renchen erzählt ein ganz besonderes Literatur-Museum die Geschichte von Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen und seinem abenteuerlichen Simplicissimus.
Am Eingang begrüßt eine gar abenteuerlich anmutende Kreatur die Besucher: Ein gehörntes und geflügeltes Mischwesen mit gefiedertem Vogelleib und schuppigem Fischschwanz, mit einem dürren Krallen- und einem behuften Pferdefuß. Oberkörper, Hände und Gesicht sind menschlich, allerdings geht der Kopf oberhalb der Nase in einen Eselsschädel mit riesigen Ohren über. In den Händen hält die gleichermaßen fabel- wie rätselhafte Fantasiegestalt ein aufgeschlagenes Buch.
Die Figur im großen Frontfenster des 1998 eröffneten und 2015 erweiterten Simplicissimus-Hauses im Herzen der Stadt Renchen ist der Grafik nachempfunden, die die Erstausgabe des „Abentheuerlichen Simplicissimus Teutsch“ von 1669 ziert. Sie illustriert den „seltsamen Vaganten / genannt Melchior Sternfels von Fuchshaim“, der sich in stets wandelnder Gestalt und mit viel List durch das Leben und allerhand damit verbundener Unbill schlägt. Verfasst hat diesen Klassiker der Barockliteratur Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen – und nicht German Schleifheim von Sulsfort, wie auf dem Titelblatt des oft vergnüglichen Anti-Kriegs-Epos aus dem 30-jährigen Krieg zu lesen ist. Bei diesem Namen handelt es sich – wie auch bei dem des Helden – um ein Anagramm: um ein aus den Buchstaben seines Namens zusammengesetztes Pseudonym Grimmelshausens – ohne Johann und Jakob.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des „Simplicissimus“ lebte Grimmelshausen bereits in Renchen. 1667, in seinem 44. Lebensjahr, trat er als Schultheiß in den Dienst des Fürstbischofs von Straßburg und war bis zu seinem Tod 1676 für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig: für das Eintreiben von Steuern und Abgaben und das Einhalten der öffentlichen Ordnung. Und er hatte offenbar genug Zeit zum Schreiben: Fast alle seine literarischen Werke entstanden in seiner Renchener Zeit.
Dass sie bis heute wirken, zeigt die Dauerausstellung im Simplicissimus-Haus. Es gilt als erstes rezeptionsgeschichtliches Museum in Deutschland und ist in einem 1760 erbauten und sorgfältig sanierten Ackerbürgerhaus untergebracht. Auf zwei Ebenen sind mehr als 250 Druckgrafiken, Zeichnungen, Lithografien, Malereien und Skulpturen und bibliophile Ausgaben des „Simplicissismus“ zu bewundern, in denen sich bekannte Künstler des 20. Jahrhunderts bildnerisch mit dem Thema auseinandersetzen. Mehrere Sonderausstellungen im Jahr und monatliche Veranstaltungen ergänzen das Programm dieses ganz besonderen und ganz besonders lebendigen Literatur-Museums.
Simplicissimus-Haus
Hauptstr. 59, 77871 Renchen
Öffnungszeiten: So., 15 bis 18 Uhr
www.simplicissimushaus.de
Sonderausstellung:
Aus den Schätzen des Simpli-
cissimus-Hauses: Walther Klemm begegnet Grimmelshausen.
18.10.24 bis 2.2.25
21. Renchener Lesenacht:
Fr., 15. November, 20 Uhr, zum 125. Geburtstag von Erich Kästner
Fotos: Erika Weisser