Socialize, Influencer, Pöbler – Tom Brane, seine Murals, sein Leben Kultur | 19.05.2020 | Anna Henschel

Graffiti in Freiburg

Tom Brane hat mit seinen Wandbildern das Stadtbild Freiburgs auf besondere Weise geprägt und Sehenswürdigkeiten geschaffen, vor denen Touristen und Einheimische gleichermaßen anhalten. Interessant ist vor allem, was man nicht sieht. Über ein Leben im Wimmelbild.

Wer durch Freiburg flaniert, kommt irgendwann an Tom Brane nicht vorbei. Das von ihm kreierte Fassadenbild am Eckhaus an der Kirchstraße war wochenlang in den Medien, in der Ganter-Unterführung oder auch an einer Hausmauer gegenüber dem Schwabentor – es sind Sehenswürdigkeiten der besonderen Art. Riesengraffiti im kubistischen Stil, sogenannte Murals, die vor Leben, Bewegung und Protagonisten nur so sprühen. Unter dem Titel „To all dreamers following their passion“ feiern Menschen in Senf- und Ockerfarben unter dem Freiburger Himmel, man könnte meinen, Brane habe sogar den „Höllentäler“ abgebildet. Der Blick lässt sich bei diesem Wimmelbild schwer bändigen. „Ein Wimmelbild ist das Leben für mich“, sagt der Künstler.

„Ich will nicht nur eine Person zeigen, sondern das, was die Person umgibt und das, was die Person zu dem macht, was sie ist.“ Meist sind die Bilder von einer positiven Stimmung geprägt. „Mir ist es wichtig, dass die Bilder zugänglich sind und ich den Menschen damit Freude bereite“, erzählt Brane, dem man das abkauft in seiner Tweedjacke, mit V-Pullover und gemustertem Hemd.

Der Wolf wäre aber nicht gefährlich, wenn er nicht im Schafspelz daherkäme. Dahinter versteckt Brane auch schlechte Erfahrungen. „Das ist meine Art der Therapie. Zeichnen ist für mich eine Schutzfunktion gewesen, seit ich Kind war. Das ist eine Möglichkeit, sich eine eigene Welt zu definieren. Sonst wird man gefressen von der Negativität.“

Brane fand kürzlich ein paar Bilder, die er vor über 25 Jahren gemalt hatte. „Die zeigen eher das, was mich umgeben hat in der Zeit.“ Was darauf zu sehen ist und welche Erfahrungen er mit dem „ziemlich heftigen Hintergrund“ seiner Kindheit in München andeutet, möchte er nicht mit Worten ausführen, obwohl er genug davon im Repertoire hat: Sein Erzählfluss ist kaum zu bändigen.

Graffiti in Freiburg

Vor einem seiner Wimmelbilder am Schwabentor the artist himself

Branes Element ist dennoch das Bild. Was er wahrnimmt und erlebt, verarbeitet er irgendwo auf Wänden oder Papier und verfremdet es in „Komponenten“, dem Leitbegriff seines Narrativs. Er speichert ab, was er sieht, formt es neu, lässt weg, fügt hinzu – er komponiert. Im Motiv mögen die Werke gefällig wirken, im Kontext aber will Brane den Rezipienten herausfordern. „Am schönsten ist daran das Rätsel, das der Betrachter selbst für sich entschlüsseln muss.“ Spätestens da ist die Maschine in einem Kopf heiß gelaufen. Er will alles auf einmal sagen, die Sprache kommt seinen Gedanken nicht hinterher.

In klaren Formen ordnet Brane alles neu, als könnte er mit Kunst korrigieren, was nicht nur im eigenen Leben schlecht lief. „Wenn sich die Gesellschaft durch die Wände verändert, ist das gut.“ Brane nimmt gerne Einfluss. Er ist ein Macher, der mit seinem lausbübischen Charme gerne die Gemüter in Bewegung setzt. Er war Kurator der Graffiti-Jam im vergangenen Herbst in Landwasser, wo 80 Künstler das totgeweihte Einkaufszentrum mit Graffiti gestaltet hatten. „Dann sind die Leute aufgetaucht und haben miteinander geredet. Es ist immer wieder ein Traum, wie die Leute durch solche Aktionen verbunden werden“, schwärmt er.

Brane bringt gerne zusammen, was zusammengehört, egal ob als Künstler, Kurator oder Kumpel. „Er kann Leute gut leiten und weiß, wer für was geeignet ist“, sagt Graffiti-Kollege Julian Holm, der ihn seit mehr als zehn Jahren kennt. Damals hatten sie in einem Künstlerkollektiv auf Branes Initiative in einem Shirtshop noch T-Shirts mit ihren Motiven bedruckt. „Er war der Motor für solche Sachen“, erinnert sich Holm. „Er ist mega der Socializer.“

„Ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hyde“

In Branes Augen spiegelt sich die Euphorie dieser Erfahrung, möglicherweise garniert mit etwas Wahnsinn, der ihm aus seiner exzessiven Zeit geblieben ist. Das ist inzwischen über 15 Jahre her. Damals öffnete Brane die Tür zu einem neuen Lebensabschnitt, als er seinen Beruf als Grafikdesigner in München an den Nagel hängte und zum Grafikdesign-Studium nach Freiburg ging. Seinen Rhythmus fand er jedoch erst mit der freien Kunst und der Liebe, die ihn seit 18 Jahren erdet.

Die Ambivalenz zwischen Genie und Wahnsinn ist eine Aura, mit der wohl jeder Künstler gerne kokettiert. „Es ist ein bisschen wie bei Dr. Jekyll and Mr. Hyde, es gibt das Chaos und die Disziplin, und ich bin beides im Extremen.“

Als Mr. Hyde unterwegs in Unterführungen mit Obdachlosen und Junkies, als Dr. Jekyll zu Gast bei Kulturvertretern wie Hans-Jörg Jenne. Der Fachbereichsleiter Familie, Kultur und Stadtmarketing im Emmendinger Rathaus erinnert sich gerne an den „hervorragenden, bescheidenen Künstler“, der für die „Stadt der Tagebücher“ ein Auftragsdenkmal gegenüber dem Bahnhof geschaffen hat: Das riesiges Mural in leuchtend blauen Farbtönen ist durchzogen von langen Linien, die über die ganze Wand verlaufen und an Lebenslinien erinnern.

Eine Liebesgeschichte, Momente aus Kindheitstagen, eine Szene aus der badischen Revolution 1848, Näherinnen einer Textilfabrik verbinden sich zu einem Gewusel aus Erinnerungen, wie man sie im Tagebucharchiv in Biografien lesen kann. Ohne die Medienpräsenz durch die Kirchstraße in Freiburg wäre Jenne vielleicht kaum auf Brane aufmerksam geworden. Auch viele Passanten nicht, mit denen er den Dialog genießt. „Manchmal braucht es jemanden, der charmant pöbelt.“

Ob das in Freiburg besonders viel Spaß macht? Schließlich ist der Herumtreiber nicht umsonst schon fast sein halbes Leben Dauergast in „klein Gallien“, wie er die Stadt nennt, weil deren Bewohner ihn an Figuren aus Asterix erinnern. „Weil sie diesen besonderen Charakter haben“, sagt er. Sie sind ihm ans Herz gewachsen.

Fotos: © Rebekka Dold