Vom besetzten Haus ins Große – Die Gründer der Schönen verabschieden sich Kultur | 21.12.2024 | David Pister

Spiel mit den Geschlechterrollen: Herbert Wolfgang und Leopold Kern in „V.I.P. – Phonie“, 1979 Spiel mit den Geschlechterrollen: Herbert Wolfgang und Leopold Kern in „V.I.P. – Phonie“, 1979

Vor fast 50 Jahren haben Herbert Wolfgang und Leopold Kern in Freiburg das Musiktheater Die Schönen gegründet. Ende dieses Jahres übergeben sie die Leitung. Von Olivenöl, dem perfekten Datum, um aufzuhören und Unterhaltung mit politischem Anspruch.

Die Schönen sitzen im Zuschauerraum ihres zweiten Wohnzimmers. Auf Leopold Kerns Wange klebt ein Pflaster. Ein Hautarzt-Besuch – kein Grund zur Sorge. „Das kommt eben dabei heraus, wenn man sich als junger Mann in Griechenland mit Olivenöl einschmiert“, sagt Kern. Olivenöl als Sonnenschutz missbrauchen, in besetzten Häusern spielen, sich von der spontanen Performance zum Tourneetheater zur festen Spielstätte hangeln. Kurz: die Freiburger Theaterszene aufmischen. Was man eben so gemacht hat damals.

Vor 47 Jahren gründeten Leopold Kern und Herbert Wolfgang das Musiktheater noch unter dem Namen: Die Schönen der Nacht. Das Ensemble gehört zu den ältesten unabhängigen Theatergruppen Deutschlands. Ende des Jahres hören die beiden Gründer als Leiter auf.

Warum? „Weil es reicht“, sagt Wolfgang und lacht. Es gebe zwei Seiten der Geschichte, sagt Kern. Natürlich sei die Zeit spannend, bereichernd und wahnsinnig gewesen, aber, sagt er, während er mit beiden Händen einen Trichter formt: „Organisation, Planung und Finanzierung nehmen sehr viel Raum ein“, seine Hände nähern sich immer weiter an, bis kaum ein Haar dazwischen passt, „und nur so ein Stückerl ist die Kunst.“

Wolfgang, mit 69 Jahren der Jüngere, wird noch bis 2026 auf der Bühne stehen. Und vielleicht auch darüber hinaus: „Wenn Hollywood anruft, spiele ich mit“, sagt er. Für Kern (74) ist der Abschied endgültig. „Ich möchte kein Heesters werden“, sagt er und imitiert den Schauspieler und Sänger mit zitternder Hand und Stimme. „Furchtbar“, bewertet er abschließend. Am Freitag, den 13. Dezember, stehen Kern und Wolfgang das letzte Mal gemeinsam auf der Bühne. „Ein super Datum, um aufzuhören“, findet Kern.

Was sich im Lauf der Zeit als fester Teil des kulturellen Lebens in Freiburg entwickelt hat, begann 1977 als spontane Aktion auf dem Musikhochschulfest. Drei Wochen später erhielten Kern und Wolfgang einen Anruf. Das Angebot: Stadttheater, großes Haus, abendfüllendes Programm. Im damaligen Theatercafé bezog das Ensemble eine vorläufige Spielstätte. „Es gab einen Sturm auf die Programme“, sagt Wolfgang. Um 23 Uhr fing ihre Show an. Weil die so gut ankam, spielten sie ihr Programm um halb 2 einfach nochmal.

Anfangs waren Die Schönen ein reines Tourneetheater. Standesgemäß tourten Kern und Wolfgang mit einem alten VW-Bus und traten national und international auf. Es war die Zeit, als die Theaternormen aufgebrochen wurden, das bürgerliche Theater infrage gestellt wurde. Die Ausläufer der 68er-Bewegung, Proteste gegen das Kernkraftwerk Whyl, besetzte Häuser: Befreiung. Wo Eltern früher die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, verdrehen heute die Kinder ihre Augen. „Die Leute sind mit uns alt geworden“, sagt Kern.

Ewig Jung

In „Ewig Jung“ feiert eine Seniorentruppe eine abgedrehte Ü-90-Party. „Die Fledermaus“: Große Operette auf kleiner Bühne.
Hochaktuelle Parabel über gesellschaftliche Tendenzen: „Cabaret“.

Die Schönen unternahmen Gastspielreisen nach Österreich, Frankreich, Italien und Griechenland, aber auch nach Indonesien, Brasilien und Thailand. Der Impuls, sesshaft zu werden, kam von jenseits des Atlantiks: In Berlin lernten Kern und Wolfgang „Las Divas“ kennen, eine lesbische Theatergruppe aus Mexiko. Liebe auf den ersten Blick, wie Wolfgang sagt. Die Divas empfahlen den Schönen also, eine eigene feste Spielstätte zu eröffnen. Das klappte dann auch 1989 im E-Werk an der Eschholzstraße. „Ständig ein- und auszupacken ist zwar lustig“, sagt Kern, „aber auch nervtötend“, ergänzt Wolfgang.

Einige Gäste waren skeptisch: Ein Musiktheater mitten im Stühlinger, der Eingang über einen dunklen Parkplatz. Genau das aber gefiel den Schönen: Club-Atmosphäre und wenig Distanz. Wolfgang schenkte Sekt aus – dann sang er. Kern half seinen Gästen aus dem Mantel und mimte den Platzanweiser. „Sprich: Sozialarbeiter. Wenn Gäste Zoff hatten, hab’ ich das gemerkt und vermittelt“, sagt Kern.

Das Portfolio der Schönen besteht zum großen Teil aus Stücken des unterhaltenden Musiktheaters der 20er- und 30er-Jahre. Im Theater war zu dieser Zeit viel Bewegung: Die Trennung zwischen E- und U-Musik, also ernster und Unterhaltungsmusik, wurde aufgehoben. Und auch die Gesellschaft war sehr offen. Berlin galt als Zentrum des offen schwulen und queeren Lebens. „Zack!“, ruft Kern, „wurde das alles durch den Faschismus zerstört.“ Die Nazis verunglimpften und verfolgten Künstler wie Kurt Weill und bezeichneten ihre Werke als „entartete Musik“.

Das Musical „Cabaret“ im aktuellen Programm beschreibt diese Zeit – zwischen politischer und erotischer Freiheit und aufkommendem Faschismus. „Wir zeigen das Stück nicht eins zu eins, sondern aktualisieren den Stoff. Keine Nostalgie, sondern eine Parabel über aktuelle gesellschaftliche Tendenzen“, sagt Kern.

Zuspruch für die AfD, Fake-News in den sozialen Medien und der sich anbahnende Faschismus machen den beiden Theaterleuten Sorgen. Umso wichtiger ist ihnen ihre Kunst: „Gute Unterhaltung, bei der man das Denken nicht an der Garderobe abgibt“, so Kern.

Martin Schurr und Stefanie Verkerk werden das Musiktheater in Zukunft leiten. Beide sind schon lange Teil des Ensembles. „Ich denke, die machen das sehr in unserem Sinn weiter“, sagt Wolfang, „diejenigen, die uns nicht kennen, werden gar nicht merken, dass wir weg sind.“ Bei solch intimen Vorstellungen werden das wohl die wenigsten sein.

Was bleibt nach so vielen Jahren? Unzählige Shows, Begegnungen mit Nina Hagen, Udo Lindenberg. Oder das eine Mal, als sie einen Sarg auf den VW Käfer geschnallt haben, um nach Mannheim zu fahren und von der Polizei für RAF-Terroristen gehalten wurden. Das größte Highlight ist für Herbert Wolfgang aber ein anderes: „Das ein Leben lang durchzutragen. In aller Freiheit und Verrücktheit. Ich bin nie Taxi gefahren. Ich habe nur gesungen. Das alles hat das Theater ermöglicht. Das ist das große Wunder“, sagt Wolfgang. Leopold Kern schaut seinen Partner an: „Das hast du schön gesagt.“

Fotos: © Die Schönen