»Nationalsozialistischer Musterbetrieb«: Die seltsame Lücke im Geschichtsbild der Schwarzwaldmilch STADTGEPLAUDER | 27.03.2022 | Bernd Serger

Ausschnitt aus einem alten Zeitungsartikel

Firmengeschichte ist ein heikles Gebiet, besonders wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht. Jene, wie es oft so harmlos heißt, „dunklen Jahre“ zwischen 1933 und 1945 werden bis heute in Firmenchroniken gern ausgeblendet – bewusst, denn werben lässt sich damit kaum. Was aber, wenn das Unternehmen selbst offensichtlich nichts (mehr?) von dieser Vergangenheit weiß? Die Freiburger Molkerei Schwarzwaldmilch ist so ein Fall. Ein 1939 von Adolf Hitler persönlich gekürter „nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Der erste in Oberbaden.

Hedwig Weil, 1880 als Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie in Freiburg geboren, bekam im Sommer 1938 unverhofften Besuch. Sie wohnte damals im Haus ihrer Schwiegermutter Rosa Weil in der Ludwigstraße 32. Der Besuch stellte sich als Abgesandter der Breisgaumilch-Zentrale (BMZ, heute Schwarzwaldmilch GmbH) vor. Er präsentierte der Witwe des bereits 1907 mit 35 Jahren gestorbenen praktischen Arztes Dr. Robert Weil ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte – die Nazis waren seit Mitte 1938 daran, die Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschalten und Schritt für Schritt völlig zu enteignen.

Es ging um ihr etwa 5000 Quadratmeter großes Grundstück, das neben dem 1936 eröffneten neuen Milchwerk der BMZ an der Haslacher Straße 12 gelegen war – und das der florierende Milchversorger der Stadt Freiburg für eine Erweiterung des Firmengeländes benötigte. Hedwig Weil verkaufte das Gelände für 3,50 RM pro Quadratmeter – ein Schnäppchen. Den Erlös von knapp 17.000 RM hat sie höchstwahrscheinlich nie gesehen. Derartige Gelder verschwanden damals meist auf Sperrkonten, die sich das NS-Regime später unter den Nagel riss.

Die Stadt Freiburg, die damals die Hälfe des Stammkapitals der Breisgaumilch-Zentrale stellte, bekam 1938 im selben Zug für ihr 1300 Quadratmeter großes Nachbargrundstück 5 RM je Quadratmeter – damals auch schon ein Vorzugspreis.

Doch der Grundstückskauf sollte für die Breisgaumilch noch ein Nachspiel haben. 1949 erhob Dr. Rudolf Weil, der nach England geflohene Sohn von Hedwig Weil (sie wurde 1943 im KZ Theresienstadt umgebracht), vor dem Landgericht Freiburg Klage auf Rückerstattung des Grundstücks. Wie bei vielen Juden, die nicht mehr ins Land der Mörder zurückkehren wollten, endete das Restitutionsverfahren mit einem Vergleich. Die BMZ, erstaunlicherweise noch immer vertreten durch den aus NS-Zeit hoch kompromittierten Geschäftsführer Ernst Schmidt, musste an den Kläger, so dokumentieren Akten im Staatsarchiv Freiburg, einen Betrag von 9500 DM nachzahlen – damals ein erklecklicher Betrag. Schmidt stellte sich vor Gericht als Judenfreund dar und behauptete, Hedwig Weil habe ihn zwei Mal um den Kauf des Grundstücks gebeten. In den im Freiburger Stadtarchiv vorhandenen Akten berichtete Schmidt Ende 1938 genau das Gegenteil.

Alte Zeichnung der Breisgauer Milchzentrale

Ausgezeichnet: Die Breisgaumilch-Zentrale war in Oberbaden der erste Musterbetrieb.

Es lief damals gut für das 1930 von Milchbauern, Milchhändlern und dem Rathaus gegründeten Unternehmen. 1933, gleich nach der Machtübergabe an Adolf Hitler, setzte es sich an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung in Freiburg. Die damals 90-köpfige Belegschaft trat als erste Freiburger Firma geschlossen in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die NS-Volkswohlfahrt ein.

Und nicht nur das: Sie beteiligte sich 1937 auch sofort unter der Parole „Wir marschieren mit!“ als eines der ersten Unternehmen an dem von Robert Ley ausgelobten reichsweiten „Leistungskampf der Betriebe“. Für ihre Leistungen verlieh NS-Gauleiter Robert Wagner 1938 am Nationalfeiertag, dem 1. Mai, der „Gefolgschaft“ unter der Geschäftsführung des Parteigenossen Ernst Schmidt das „Gaudiplom für hervorragende Leistungen“.

Schmidt kam im Geschäftsbericht 1938 geradezu ins Schwärmen: „Im Jahr 1938 stand das ganze deutsche Volk unter dem gewaltigen Eindruck der Schaffung ‚Großdeutschlands‘. In tiefer Dankbarkeit gedenken wir des Führers, dessen Tatkraft dem deutschen Volke den Frieden und damit den weiteren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg sicherte. Die großen geschichtlichen Ereignisse steigerten die Schaffens- und Willenskraft im Kampf um die Unabhängigkeit und Freiheit des deutschen Volkes auf das höchste. Auch unser Unternehmen als kleine Zelle des deutschen Wirtschaftslebens fasste alle Kräfte zusammen, um durch restlosen Einsatz höchste Leistungen zu erzielen.“

Dieser Einsatz blieb nicht unbeachtet. 1938 erhielt die Breisgaumilch-Zentrale zudem das „Leistungsabzeichen für vorbildliche Förderung“ der NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Am 1. Mai 1939 wurde Ernst Schmidt nach Berlin eingeladen. Im Mosaiksaal der Neuen Reichskanzlei wurde er mit den 99 anderen ausgezeichneten Betriebsführern aus dem Reich von Adolf Hitler, Hermann Göring und Robert Ley, dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront, persönlich empfangen.

Alte Auszeichnung

Sie alle erhielten die Urkunde für die Auszeichnung als „nationalsozialistischer Musterbetrieb“ – die Breisgaumilch-Zentrale als erstes Unternehmen in Oberbaden. „Der Führer reichte nun jedem die Hand und wechselte einige Worte mit jedem.“ Schmidt war, so las man tags darauf im Freiburger NS-Kampfblatt „Der Alemanne“, gepackt von der Begegnung mit dem „größten deutschen Staatsmann der Weltgeschichte“.

Schon zuvor hatte der Betriebsobmann der BMZ die Flagge der Deutschen Arbeitsfront mit goldenem Rad und goldenen Fransen erhalten, die wenig später bei einer Großkundgebung der DAF in der Freiburger Festhalle stolz präsentiert wurde.

Ein Höhepunkt der Firmengeschichte, zweifellos. Wer sich auf der Homepage der Schwarzwaldmilch, in die die BMZ 2010 umbenannt wurde, umschaut, findet dort zwar eine Rubrik „Geschichte“ – deren Chronik endet jedoch 1932 und geht erst 1957 weiter. Für Moritz Collmar, den amtierenden Pressechef, kein Problem: „Auf unserer Homepage liegt der Fokus der historischen Darstellung derzeit auf der Sortiments- und Markenentwicklung – die Zeitgeschichte wird hier nicht beleuchtet.“ Man werde im Zug des für kommenden Herbst vorgesehenen Relaunchs „entscheiden, ob wir zusätzliche Aspekte aufnehmen“.

Nicht beleuchtet wurde die so bemerkenswerte NS-Zeit der Firma auch in der veröffentlichten „Chronik“ zum 90-jährigen Jubiläum im Jahr 2020. Collmar: „Inwiefern diese Informationen den Kolleginnen und Kollegen bei der Erstellung vorlagen, ist noch nachzuvollziehen. Auch hier wird zu entscheiden sein, wie die Jahre 1933 bis 1945 in künftigen Chroniken adäquat hinterlegt werden können.“

Die Schwarzwaldmilch GmbH, mit 220 Millionen Euro Umsatz und rund 440 Beschäftigten eines der größten Unternehmen Freiburgs, ist seit 2016 Hauptsponsor des SC Freiburg und damit auch für das Image dieses sympathischen Vereins mit zuständig.

Fotos: © Universitätsbibliothek Freiburg, Sammlung Serger