Off Spaces in Freiburg: Ein Tourguide zu den unabhängigen Kunsträumen der Stadt STADTGEPLAUDER | 01.06.2024 | Mario Wachter

Bild von einer Ausstellung. Kuriose Orte für Kreatives: Street Art en masse in der Hilda(straße) 5.

Off Spaces gelten als beliebter Gegenpol zu klassischen Ausstellungsräumen. Kunstschaffende, die sich nicht in der musealen Hochglanzästhetik spiegeln, können ihre Werke in den unabhängigen Kunsträumen Freiburgs ausstellen – sei es in einem Pförtnerhäuschen mit Einschussloch oder auch in einem zweckentfremdeten Toilettenhäuschen.

Einen Steinwurf vom Ballhaus entfernt liegt das Pförtnerhaus mit seiner unverkennbaren „Macke“ – der gesprungenen Scheibe. Das Einschussloch, so Kurator Jürgen Oschwald, zeuge von einer tödlichen Auseinandersetzung am Weihnachtsabend 1990. Bevor das einsame Pförtnerhäuschen auf dem Ganter-Areal zu einem belebten Ausstellungsraum avancieren sollte, verstrichen noch 25 Jahre. Dann war es schließlich so weit: Auf der Suche nach einem Atelier stolperte der bildende Künstler Florian Tathe über die exponierte Räumlichkeit im Bauhaus-Stil, die er in Zusammenarbeit mit Jürgen Oschwald zu einem Ausstellungsort für unabhängige Kunstschaffende „umfunktionierte“.

Ein Bild vom Pförtnerhaus auf dem Ganter-Areal.

„Klein, aber charmant“ – das Pförtnerhaus auf dem Ganter-Areal.

Im Laufe der vergangenen neun Jahre hat sich einiges getan; zwischenzeitlich stemmte Oschwald das Projekt sogar aus eigenen Kräften. Mittlerweile zählt sein Team vier Kunstbegeisterte aus Theorie und Praxis, von denen „drei sogar professionell kuratieren“. Um aufstrebende Talente aus der Region zu fördern, unterstütze man diese mit einem „kleinen Honorar“, welches in Teilen vom Freiburger Regierungspräsidium bezuschusst wird.

Oschwalds wichtigstes Anliegen sei es, den Kunstschaffenden die nötigen schöpferischen Freiheiten zu gewähren, um sich in dem „kleinen, aber charmanten Innenraum mit angrenzendem Kabinett“ kreativ entfalten zu können. Die Panoramascheibe, die das panoptische Interieur umpflügt, soll auch kunstverdrossenen Passanten „einen niedrigschwelligen Zugang zur Ausstellung bieten“.

Wer das Ausstellungskonzept auch inwendig bestaunen möchte, sollte allerdings die Facebook-Seite konsultieren, denn das Häuschen öffnet seine Pforten nur auf Anfrage.

Kunst für Kunstverdrossene

Nach diesem Prinzip agieren auch die Kurator·innen der Kaiserwache – einem Off Space, der sich als obsoletes Toilettenhäuschen aus Zeiten der Weimarer Republik maskiert. Vor drei Jahren fragte das Kulturamt die damaligen Kunststudierenden Christina Sperling und Ilja Zaharov an, ob sie Lust hätten, sich des neu eröffneten Kunstraums anzunehmen. Gefragt, getan. Seit 2023 vervollständigt die bildende Künstlerin Lena Reckord das dreiköpfige Kuratorenteam.

Die Erstausstellung im denkmalgeschützten Gebäude fand bei der Biennale für Freiburg 2021 statt. Um den Ansprüchen einer Galerieatmosphäre im White-Cube-Stil gerecht zu werden, wurden Wände der Kaiserwache weiß überstrichen.

Trotz der Frischekur sei die ursprüngliche Funktion der Kaiserwache noch immer allgegenwärtig in den Köpfen verirrter Klogänger: „Viele Leute nehmen den Ort immer noch als Bedürfnisanstalt wahr. Wenn die Tür offensteht, kommen sie reingelaufen, als wäre die Räumlichkeit noch immer eine öffentliche Toilette“, erzählt Ilja Zaharov. Um diesem Anachronismus entgegenzuwirken, setzt das Kuratorenteam verstärkt auf Öffentlichkeitsarbeit.

Der Kontrast zum mitunter elitären Kunstbetrieb in Galerien und Museen ist unverkennbar – nicht zuletzt aufgrund der „inoffiziellen“ Vergangenheit des Gebäudes, das „nicht nur ein Toilettenhäuschen, sondern auch ein Cruising-Spot und beliebter Treffpunkt für Rauschgiftsüchtige war“.

Auf dem Bild ist die Kaiserwache am Dreisamufer.

Nicht nur von außen ein Hingucker: die Kaiserwache am Dreisamufer.

Die ausgestellten Kunstwerke müssen keinen spezifischen Anforderungen gerecht werden, allerdings sollten sie mit dem „besonderen“ Naturell des Ortes vereinbar sein: „Eine Hochglanzskulptur aus Marmor wäre vielleicht fehl am Platz.“

Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Rudi Raschke, Mitglied des Vereins „Sumpfkultur“. Letzterer habe es sich zur Aufgabe gemacht, das kulturelle Erbe des identitätsstiftenden Swamp-Gründers Carmelo „Chico“ Policicchio am Leben zu erhalten – ob in Form von Lesungen, Live-Auftritten oder Vernissagen. Der Fokus der Ausstellungen weise – Chicos Wesen entsprechend – einen popkulturellen Bezug auf: „Man kann sich sicher vorstellen, dass wir im Swamp keine Alten Meister oder die Klassische Moderne ausstellen.“

Der Verein setzt sich aus Chicos Freundeskreis zusammen und umfasst insbesondere „Leute aus Medienzusammenhängen, dem SC-Kosmos und der Kulturszene Freiburgs“. So machte sich „Chico“ nicht nur als Kneipenbetreiber einen Namen, sondern auch als Journalist sowie Kunst- und Konzertveranstalter.

Ein halbes Jahr nach seinem Ableben im Herbst 2021 hätten sich die Mitglieder von „Sumpfkultur“ entschlossen, das Kunst- und Kulturleben im Swamp mit einem breitgefächerten Programm erneut ins Leben zu rufen. Als Kultureinrichtung sei es dem Verein ein wichtiges Anliegen, die urige Kneipe weiterhin als einen Ort der Zusammenkunft und des Austauschs zu pflegen und nicht lediglich „zwei Konzerte im Monat spielen zu lassen“. Im Idealfall könne man vier bis fünf Ausstellungen im Jahresrhythmus kuratieren, wobei es längere „kunstlose“ Übergangsphasen zwischen Vernissagen zu verhindern gilt. Durch die Ausstellungen, Lesungen und Musikauftritte möchte man jungen Talente aus der Region die Möglichkeit geben, ihr künstlerisches Schaffen in einer ungezwungenen Kneipenatmosphäre zu präsentieren.

Street Art, so weit das Auge reicht

Auch der ehrenamtliche Verein „kulturaggregat“ widmet sich der Förderung junger Kunstschaffender. Das Herzstück des Projekts bilden die weitläufigen Räumlichkeiten der Hilda(straße) 5, die auf 500 Quadratmetern alles beherbergen, was das Kunst- und Kulturleben so auszeichnet – von Vernissagen über Konzerte bis zu Lesungen und Podiumsdiskussionen. Abgerundet wird der Kunst- und Kulturraum durch einen urigen Plattenladen, der symbiotisch mit dem angrenzenden Off Space „aggregiert“, jedoch nicht Teil des ursprünglichen „kulturaggregats“ ist.

Im Juni feiert das etwa 20 Mitglieder umfassende Kollektiv schon sein zehnjähriges Bestehen. Zeit, Bilanz zu ziehen: Nach Zwischennutzungen im Bertelsmann-Gebäude und der Atriumspassage am Augustinerplatz hat man hier den perfekten Ort gefunden, um sich kreativ ausleben zu können – ohne den Hintergedanken, zeitnah wieder ausziehen zu müssen. Dafür sind sie dem Freiburger Kulturmäzen Heiner Sanwald sehr dankbar:  „Schließlich hat er sich aktiv dafür eingesetzt, dass in diesen Räumlichkeiten Kunst und Kultur stattfinden kann“, resümiert Vereinsmitglied Albert Fiebig. Mittlerweile ist das „kulturaggregat“ zu einer wichtigen Anlaufstelle für Szenekünstler·innen herangewachsen, die nicht nur aus dem Dreiländereck stammen, sondern auch aus inländischen Kulturzentren wie München oder Berlin anreisen.

Dennoch versteht man sich im engeren Sinne als „lokale Kunstförderung“ für aufstrebende und ergründenswerte Talente aus der Freiburger Subkulturszene. Der stilistische Grundtenor der Ausstellungen, so Fiebig, spiegle „die künstlerischen Wurzeln der Vereinsmitglieder wider: Graffiti, Street Art und Contemporary Art.“

Ein Bild von Innen vom Swamp.

Das Swamp in der Talstraße 50 bietet Kunst und Kultur in gemütlicher Kneipenatmosphäre.

Fotos: © Mario Wachter, Christina Sperling