Wie der Recyclinghof St. Gabriel den Corona-Ansturm meistert STADTGEPLAUDER | 27.06.2021 | Till Neumann

Recyclinghof Freiburg "Guten Nerven habe ich": Mitarbeiter Albert Cakoli auf dem Recyclinghof St. Gabriel.

Hunderte wollen gleichzeitig rein. Vielerorts erleben Recyclinghöfe zu Pandemiezeiten ein Riesengedrängel. Wie kommt das Team von Freiburgs größtem Abfallsortier-Platz damit klar? chilli-Redakteur Till Neumann hat sich das auf dem Recylinghof St. Gabriel angeschaut. Er hat Männer getroffen, die trotz Verbalattacken ruhig bleiben. Die Polizei rufen sie nur, wenn es handgreiflich wird.

Headset im Ohr, Lage im Blick

Freitagmorgen, 9 Uhr. Rund 15 Autos stehen Schlange vor St. Gabriel. Für das Team von Hans-Michael Ganter ist das der normale Wahnsinn. „Gute Nerven sind hier gefragt“, sagt der Chef der drei Freiburger Recyclinghöfe in seinem Büro. Das Headset im Ohr, die Lage im Blick. Vor der Tür geht’s zu wie im Ameisenhaufen: Über den Recyclinghof schwirren Menschen, die ihren Müll entsorgen wollen und oft erst mal verstehen müssen, was wo hinkommt.

„3500 Leute schleifen wir pro Woche durch die drei Höfe“, sagt Ganter. Viel weniger waren es vor der Pandemie nicht. Aber die Autos seien voller geworden, der Stress größer. Wegen der Abstandsregeln dürfen weniger rein. Das sorgt für Wartezeiten und dicke Luft. Wie oft sie angepöbelt werden? „Jeden Tag, auf jeden Fall“, sagt Klaus Giesler. Er ist Vorarbeiter auf St. Gabriel. Beleidigungen wie „dummes Arschloch“ seien nicht selten, erzählt er.

Körperlicher Angriff

Erst vor ein paar Tagen sei ihm ein verärgerter Besucher mit einem Transportwagen absichtlich über den Fuß gefahren. „Wir haben die Polizei geholt“, berichtet Giesler gelassen. Meistens schaffe er es jedoch, zu deeskalieren. „Bitte bleiben Sie ruhig“, beschwichtige er dann. 

Klaus Giesler

Ein Besucher ist ihm über den Fuß gefahren: Vorarbeiter Klaus Giesler muss Ruhe bewahren.

Viele seien gereizt, wenn sie auf St. Gabriel kommen, berichtet Giesler. Das habe in der Pandemie zugenommen. Lange Wartezeiten am Eingang seien ein Grund. Die Preise für die Entsorgung ein weiterer. Altkleider, CDs oder Metallteile sind umsonst. Bauschutt, Autoreifen oder Restmüll dafür kostenpflichtig. 

„Ihr seid konsequent“

Viele Besucher·innen seien freundlich: „Der größte Teil der Leute ist super“, sagt Giesler. Seit 13 Jahren ist er auf St. Gabriel. Er mag die Abwechslung dort. Die „Stammgäste“ fördern das nicht: „Manche Leute kommen täglich, einige sogar zwei, drei Mal am Tag“, berichtet er. Nebenbei erklärt Giesler einem Besucher, wo er seinen Rigips entsorgen kann. Der ist begeistert: „Riesenkompliment: Ihr seid konsequent, habt Geduld und Ruhe – Respekt!“

Ein weiteres Problem auf St. Gabriel: Wer einmal drin ist, lässt sich oft Zeit: „Manche hängen am Handy, andere kommen nicht gut vorbereitet“, sagt Ganter. Das Exempel: Ein älterer Herr sortiert gemütlich seine alte CD-Sammlung. Die Silberlinge müssen von den Hüllen getrennt werden. Das sollte man vor dem Besuch erledigen, sagt Ganter.

Hans-Michael Ganter

Braucht gute Nerven: Recyclinghof-Chef Hans-Michael Ganter hat sein Büro direkt am Hof St. Gabriel.

„Abfangjäger“ sind arm dran

Das Telefon des schwungvollen Mannes klingelt oft. Viele wollen wissen, wann die Wartezeit am kürzesten ist. Er antwortet dann: „Kommen Sie im September“ und lacht. Wer trotzdem kommen wolle, könne es um halb 8 versuchen. Dann komme man vielleicht mit dem ersten Rutsch um 8 Uhr rein. Der Geheimtipp: Wer zu Fuß oder mit dem Rad anreist, kann über eine Extrawarteschlange direkt auf den Hof.

Ein Dorn im Auge sind Ganter die „Abfangjäger“ vor dem Hof. Menschen, die mit Nachdruck um Elektrogeräte bitten, bevor sie entsorgt werden. „Arme Kerle“ seien das, findet Ganter. „In der Kette ganz unten.“ Das Netzwerk der Schatten-Elektro-Händler sei verzweigt. „Der Handel mit EDV ist so groß und schlimm wie der mit Waffen“, sagt Ganter. 

„Gute Nerven habe ich“

Damit auf dem Hof alles geordnet läuft, geben seine Mitarbeiter Vollgas. Mittlerweile regnet es, als Unterschlupf haben sie einen Sonnenschirm aufgespannt. Giesler macht gerade „fliegende Pause“ mit einem Kaffeebecher in der Hand. Wirklich zur Ruhe kommt auch sein Kollege Albert Cakoli nicht. Mit Baseball-Cap auf dem Kopf leitet er die Autos in die Parkbuchten und beantwortet viele Fragen. „Das bleibt den ganzen Tag so, gute Neven habe ich“, sagt der 31-Jährige. 

Zum Durchschnaufen kommt hier kaum einer auf dem Freiburger Ameisenhaufen des Abfalls. „Eine gewisse Gelassenheit ist wichtig“, betont Ganter. Im Büro hat er eine kleine Schachtel für Notfälle. Auch der Reporter bekommt einen Schokoriegel. Falls die Nerven mal blankliegen.

Abfall ohne Ende

Laut ASF-Pressesprecher Peter Krause hatten die drei Freiburger Recyclinghöfe im Jahr 2020 insgesamt rund 125.000 Besucher*innen. Coronabedingt seien das weniger als noch 2019: Da kamen rund 175.000 Personen.

Die Abfallmengen zeigt die Grafik rechts. Sie listet unter anderem fünf Tonnen CDs und DVDs sowie 147 Tonnen Informations- ind Telekommunikationsgeräte. Auch neun Tonnen Photovoltaikmodule sind angenommen worden. Hinzukommen weitere 267 Tonnen an Schadstoffen.

Fotos: © tln ; Grafik: Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg