Das schwere Erbe: Wie der Beschluss für Erbbauvergaben bezahlbares Wohnen konterkariert Politik & Wirtschaft | 09.02.2020 | Lars Bargmann

Die Explosion der Bodenrichtwerte und das historisch billige Geld bergen enorme Sprengkraft für das altbewährte Modell der Erbpacht. Der Freiburger Gemeinderat hatte im Oktober 2018 beschlossen, dass die Stadtverwaltung Grundstücke nicht mehr verkaufen, sondern nur noch verleihen darf – im Erbbaurecht.

Nun treibt der gesetzte Samen erste Blüten: Im Januar wurde am Beispiel des Alten Sportplatzes in Ebnet erstmals offenbar, dass das mit den bisherigen Parametern gar nicht funktioniert. Die Stadtverwaltung musste nach empörten Reaktionen aus dem Gemeinderat das Vermarktungskonzept wieder einkassieren. Weil es bezahlbares Wohnen eher verhindert denn ermöglicht. Mit den bisherigen Regelungen würde man beim neuen Stadtteil Dietenbach ins Desaster steuern.

In Ebnet geht es 14 Häuser. Im Dietenbach wird es um Hunderte oder Tausende Wohnungen gehen. Im Dezernat von Finanzbürgermeister Stefan Breiter zerbrechen sich derzeit Mitarbeiter die Köpfe darüber, wie ein machbares Modell aussehen könnte. Kein beneidenswerter Job: Denn wer kann 75 Jahre in die Zukunft schauen? Jahrelang brachte der Verkauf von städtischen Grundstücken 20 bis 26 Millionen Euro ein. Die fehlen nun in der Kasse. Stattdessen stünden ja die Erbbauzinsen auf der Habenseite, argumentierten die Stadträte, die den Beschluss gefasst hatten. Bei den aktuellen Bodenpreisen bricht aber schon das Fundament der Berechnung auseinander – lange, bevor die statische Grundlage für neuen Wohnraum in Wohnungsnot-City hergestellt werden kann.

Ein Beispiel: Wenn wie in Ebnet der Bodenrichtwert bei 900 taxiert wird, darauf wie üblich vier Prozent Erbbauzinsen angerechnet werden und das Grundstück vergleichsweise bescheidene 300 Quadratmeter groß wäre, müssen die „Käufer“ – zusätzlich zu Zins und Tilgung für die Gebäude – jährlich 10.800, im Monat mithin 900 Euro Erbbauzinsen ans Rathaus bezahlen. Bei einer Laufzeit von 75 Jahren zahlen sie 810.000 Euro. Das Grundstück würde, auf einen Schlag bezahlt, 270.000 Euro kosten. Sie zahlen es also dreifach.

Das mag für die Rathausschatulle – wie für die von Stiftungen und Kirchen – einträglich sein, ist aber für die Käufer heutzutage ein schlechter Deal. 270.000 Euro lassen sich derzeit – wenn die Bank ihre Sicherheit grundbuchrechtlich verankern kann – mit 1,5 Prozent gut finanzieren. Das belastet die Haushaltskasse im Jahr mit 4050, im Monat mit 337,50 Euro. Im Erbbaurecht sind es 900. Früher oder später.

Weil das Grundstück weiter der Stadt gehört, kann die Bank den Beleihungswert auch nicht zu 100 Prozent, sondern nur zu 80 Prozent ansetzen. Kosten Grundstück und Haus zusammen 500.000 Euro, fehlen 20 Prozent oder 100.000 an Sicherheiten. Um diese Summe erhöht sich dann der Eigenkapitalbedarf der Kaufwilligen. Zudem wird die Finanzierung auch noch teurer und das Haus aus Sicht der Bank gleichsam kleiner, weil es auch nur eingeschränkt verkaufbar ist.

Kaum vorzustellen, dass im Gemeinderat nun großer Jubel ausbricht. Denn das Ziel, im Dietenbach – wo der Boden wohl mindestens 900 Euro wert sein wird – vor allem bezahlbares Wohnen zu ermöglichen, wird so kolossal konterkariert. „Vier Prozent Erbbauzins wird nicht gehen“, räumt Baubürgermeister Martin Haag ein. Es gebe aktuell einen „Zielkonflikt“ zwischen bezahlbarem Wohnen und Erbbaurechten.

„Wir haben zwei Stellschrauben“, sagt Breiter: entweder den Bodenwert drücken oder die vier Prozent. Keine der drei Freiburger Baugenossenschaften, Garanten des bezahlbaren Wohnens, würde übrigens bei vier Prozent Zinsen Erbbaurechte kaufen. „Das kann sich nicht rechnen“, heißt es von den Vorständen. „Erbbaurechte sind für Genossenschaften in hohem Maße unattraktiv“, weiß auch Breiter. Nicht nur für Genossenschaften. Er will spätestens im Juni ein machbares Modell auf den Tisch legen. Keine triviale Aufgabe. Nicht zuletzt, weil die Zeitläufe so lang sind. Erbbaurechte gelten über 60, 75 (wie in Ebnet) oder 99 Jahre. Wer heute zwei Prozent Zinsen auf die komplette Laufzeit verlangen würde, verschenkt vielleicht Millionen. Steuergelder.

Das Modell wird vermutlich so aussehen, dass die vier Prozent im Grundbuch zwar dinglich gesichert werden, schuldrechtlich aber X Prozent für Y Jahre von den „Käufern“ nicht zu bezahlen sind. Das X wäre vielleicht an den Kapitalmarkt anzulehnen, etwa an den 12-Monats-Euribor (Zinssatz, zu dem sich Banken gegenseitig Geld leihen, aktuell bei -0,269 Prozent) oder den EZB-Leitzins (0 Prozent.) Die Erbbauzinsen könnten etwa während der Laufzeit immer 1,5 Prozent über diesen Werten liegen. Oder nur solange, bis das Y erreicht ist (10, 25 Jahre?). Hinzu könnten Vergünstigungen für Haushalte mit Wohnberechtigungsschein oder kinderreiche Familien kommen. „Wir brauchen Verträge, die atmen können“, erzählt Breiter. Und atmet selber tief durch.

Wie immer das Modell am Ende aber aussieht, unterm Strich wird es eine weitere Lücke in die Finanzierung des über 700 Millionen Euro teuren Stadtteils Dietenbach reißen. „Dietenbach ist finanzierbar“, sagt Breiter zwar. Es sei aber die Frage, ob dabei bezahlbarer Wohnraum rauskomme.

20 Prozent der Flächen gehören überdies dem Land. Ob das Land dem Freiburger Rathaus die Flächen verkauft, damit Freiburg dann Erbbaurechte vergibt und daran kräftig verdient, ist eine durchaus spannende Frage. Erbbau kann das Land auch selber. Es wird nicht nur ein Gespräch zwischen Spitzenvertretern aus Freiburg und Stuttgart geben.

Foto: © Neithard-Schleier