„Das Volk verkennt die Lage“: Wirtschaftsrat diskutiert in Freiburg über Brexit Politik & Wirtschaft | 25.05.2018 | Lars Bargmann

Die Sektion Freiburg-Emmendingen des Wirtschaftsrats der CDU hatte geladen und es kamen rund 100 Interessierte ins Jaguar- und Land-Rover-Autohaus Kollinger. Das Thema: Wie hart wird der Brexit?

Es ist keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe, den Brexit zu verteidigen. Das war Cosima Cassel, erste Sekretärin für Wirtschaft an der Britischen Botschaft Berlin, anzumerken. So versuchte sie aufzuzeigen, dass Großbritannien schon immer eine gewisse EU-Scheu hatte, aus „wirtschaftlichen Gründen“ erst spät in die EU eingetreten sei, Nein zum Euro und zum Schengen-Abkommen gesagt hatte. Und dass nun eben der Punkt gekommen sei, aus der EU wieder auszutreten. „Wir fühlen uns aber als Europäer und wissen, dass unser Wohlstand von Europa abhängt.“

Deutschland sei mit einer Handelsbilanz von rund 180 Milliarden Euro der weltweit zweitwichtigste Partner. 630.000 Menschen arbeiten in England für deutsche Firmen oder in Deutschland für englische, England exportiere nach Deutschland mehr als nach Brasilien, Russland, Indien und China zusammen. So weit, so wenig begründend. Erst spät erklärte sie, dass der Hauptgrund für den Brexit der fehlenden Kontrolle über die Einwanderung geschuldet sei. Dass es beim – bei der Einwanderungsgeschichte auf der Insel durchaus nachvollziehbaren – Plan Kontrollgewinn zum Brexit keine Alternative gegeben hätte, sagte sie nicht. Wenn es nach ihr geht, gibt es einen weichen Brexit.

Konturierter präsentierte sich Andreas Meyer-Schwickerath, Geschäftsführer der britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG). Er kritisierte die Regulierungswut der EU („das hat den Brexit beschleunigt“), forderte, dass die sieben wirtschaftlich stärksten Nationen in der EU mehr Einfluss bekommen müssten („Bisher müssen 27 Länder gleichberechtigt etwa über Finanzströme beschließen, dabei haben die sieben stärksten mehr Gewicht als die 20 anderen“) und zitierte aus einer neuen Forsa-Studie, wonach die deutschen Unternehmen mehrheitlich mit einem harten Brexit rechnen, die Bevölkerung hingegen eher mit einem weichen. „Das Volk verkennt die Lage.“ 43 Prozent der Wirtschaftsvertreter und Mitglieder der BCCG rechnen mit einem Bedeutungsverlust der EU nach dem Brexit, 73 Prozent erwarten Schäden für die deutsche Wirtschaft. Im Volk sind es nur 27 beziehungsweise 33 Prozent.

Für Meyer-Schwickerath geht es bei den zähen, bisher vor allem von Taktikgeplänkel geprägten Austrittsverhandlungen nicht um Rosinenpickerei, sondern um einen Kompromiss, der langfristig die Interessen der Engländer und der EU ausbalancieren muss. Und wenn die britische Regierung nicht in der Lage sei, konkret zu werden, dann müsse die EU das machen und nicht einfach dasitzen und kritisieren. Auch für ihn geht es dabei aber „nur“ um Schadensbegrenzung.

Der Wirtschaftsratssektionssprecher Frank O. Bayer würde auf den Brexit generell „gern verzichten“. Wenn die Verantwortlichen die enorme Zeit, die sie nun mit dem Brexit verbringen müssen, dafür einsetzten, die EU, Europa zukunftsfähiger und akzeptierter zu machen, „wäre das deutlich besser“. Bayer glaubt: „In 15 Jahren wollen die wieder zurück.“

Es gab wohl keinen im Autohaus mit den britischen Fahrzeugen, der das nicht unterschrieben hätte. Formal ist der Brexit auf den 30. März 2019 datiert. Immerhin ist jetzt eine Übergangszeit bis Ende 2020 vereinbart worden. Um die Folgen des mit sehr knapper Mehrheit bestimmten Austritts abzufedern. Aber: Allein in London nach den Schuldigen für diese antieuropäische Entwicklung zu suchen, greift viel zu kurz. Wer braucht aus Brüssel wirklich eine 52-seitige Norm für Schnullerketten? Oder Vorschriften zur elektrischen Leitfähigkeit von Waldhonig?

Bild: © Pixabay/freestocks-Photos