Drogensumpf im Knast: Insider über ein Netzwerk, in das auch Beamte verwickelt sind Politik & Wirtschaft | 18.06.2021 | Philip Thomas & Lars Bargmann

Drogenübergabe im Gefängnis

Am 9. April verurteilte das Freiburger Landgericht eine Beamtin der Justizvollzugsanstalt Freiburg (JVA) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Wegen Beihilfe zum Drogenhandel. Wegen Bestechlichkeit. Ein 33-jähriger mitangeklagter Häftling bekam zweieinhalb Jahre. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs, in den Drogenhandel sind mehrere Dutzend Bedienstete verwickelt“, behauptet der ehemalige Häftling Gero*. Für das baden-württembergische Justizministerium ist der Drogenhandel hinter Mauern „eine der wesentlichen Herausforderungen des Justizvollzugs“. Laut JVA-Leiter Michael Völkel lässt es sich „nicht vollständig vermeiden, dass Drogen eingebracht werden“. Die Freiburger Staatsanwaltschaft ermittelt auch nach dem Prozess weiter.

Da diese Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, kann die Erste Staatsanwältin Martina Wilke „nähere Informationen momentan nicht mitteilen“. Verfahren gegen weitere Bedienstete der JVA seien aber derzeit nicht anhängig. Die Drogen kommen auf vielen Wegen ins Gefängnis: Auf dem Postweg, durch Besucher oder Externe, im Lieferverkehr oder auch durch Mauerüberwürfe, listet Anstaltsleiter Völkel auf. Aber immer wieder eben auch durch eigene Bedienstete. 

JVA-Leiter Michael Voelkel

JVA-Leiter Michael Völkel: Lücken im System.

2011 stand ein 45-jähriger JVA-Beamter vor dem Freiburger Landgericht, weil er für 1000 Euro einen Sicherheitsverwahrten im Dezember 2008 mit 26 Gramm Marihuana und 30 Subutex-Tabletten beliefert hatte. Die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wurde in zweiter Instanz um zehn Monate verkürzt und zur Bewährung ausgesetzt.  Im Juni 2012 wurde ein Beamter wegen Beihilfe zum Drogenhandel und Bestechlichkeit verurteilt. Zwischen April 2006 und August 2007 hatte sich ein bis über beide Ohren verschuldeter Beamter mehrfach von Häftlingen bestechen lassen, die Insassen mit Tabak, Alkohol, Bargeld und Drogen versorgt – für 800 Euro Darlehen und 900 Euro in bar. Die jetzt verurteilte Beamtin bekam mindestens 2500 Euro. Bei ihr zogen die Ermittler 4000 Euro ein. 

Die verhältnismäßig geringen Summen, mit denen sich einige JVA-Mitarbeiter kaufen ließen, verwundern. Im mittleren Vollzugsdienst verdienen langjährige Beamte monatlich 4750 Euro brutto im Monat. 

„Es ist immer was da, du musst entweder Beziehungen nach draußen oder was zum Tauschen haben, Kaffee, Tabak oder Schokolade“, erzählt der Ex-Gefangene Berri* dem chilli. „Manche haben den ganzen Schrank voll damit“, sagt er. Das Monopol auf Zigaretten werde von den russischen Insassen gehalten. Der Drogenhandel ist wohl fest in türkischer Hand. Auch die verurteilte Beamtin habe einen türkischen Hintergrund. Das Landgericht konnte der 36-Jährigen nachweisen, dass sie 2018 und 2019 mehrere hundert Tabletten, 580 Gramm Marihuana und auch Handys reingeschmuggelt hatte. In Raviolidosen, Milchtüten oder Schokoladeverpackungen. Am frühen Sonntagmorgen des 8. September 2019 wurde sie in flagranti erwischt. Die Handschellen klickten. 

Tabletten

Auch ein hochrangiges Mitglied der Hells Angels aus Lahr, erzählt Gero, sei 2019 maßgeblich in den schwunghaften Handel involviert gewesen. Der Mann sei bei einem Autounfall schwer verletzt worden, der am Unfallort eintreffenden Polizei lag ein internationaler Haftbefehl vor. So kam er nach Freiburg, auf die Krankenstation. Dort soll – nach 16 Uhr – auch der Chef der Türken, dem ein „Ehrenmord“ nachgesagt wird, regelmäßig gewesen sein – „in Begleitung einer Person mit Schlüssel“, wie es in einem Brief eines weiteren Häftlings, Caspar*, an den Sicherheitsdienst heißt. Caspar schrieb viele Briefe, an die Staatsanwaltschaft, ans Justizministerium, an den Sicherheitsdienst, an die Leitung. Sie liegen dem chilli vor.

Darin nennt Caspar namentlich zentrale Köpfe des Drogenrings, Zellennummern, die als Kommunikationszentrale dienen, zuweilen sogar das Datum, an dem die nächste Lieferung reinkommen wird. Ein Zugriff von sechs Einsatzkräften an einem Morgen im August 2019, als ein Inhaftierter mit einem illegalen Handy mit seinem Dealer telefonierte, geht wohl auch aufs Konto eines Mitgefangenen. Gefangene, die eine exponierte Position haben, haben stets völlig reine Zellen. Sie nutzen die von Mitgefangenen zum Telefonieren, Organisieren, Dealen. 

Eingeschmuggelte Handys kosten mehr als 1000 Euro. Zur Bezahlung werde ein spezielles Bankkonto genutzt. Meldet der Kontoinhaber draußen den Erhalt des Betrags, wechseln drinnen Drogen, Medikamente und Mobiltelefone den Besitzer. Es gibt zwar täglich unangekündigte Zellenkontrollen, aber auch Tipps. „Das Zeug wird dann einfach eine Zelle weiter gelagert oder dem Nachbarn in die Hand gedrückt“, erzählt Gero.

Gefängnis: Café-Fünfeck

Aktuell 550 Inhaftierte: Café-Fünfeck heißt das Gefängnis im Volksmund.

„Für die Erhellung subkultureller Strukturen und zur Identifizierung insbesondere auch von Betäubungsmittelgeschehen sind Hinweise aus den Reihen der Gefangenen ein wichtiger Baustein“, sagt Ministeriumssprecher Robin Schray. Die nähere Prüfung und das Einschalten von Ermittlungsbehörden erfolge durch die Anstaltsleitung und den Sicherheitsdienst. Dieses System hat offenbar Lücken.

Ein Gramm Hasch kostet hinter den Mauern 50, 60 Euro. Damit der Joint nicht riechbar ist, werden Ableger geraucht. Dabei wird eine Haschkugel außen an eine Zigarette geklebt und sobald sie brennt durch einen Strohhalm direkt inhaliert. Begehrt sind auch Subutex-Pillen, ein sehr starkes Schmerzmittel, das auch Leute nehmen, die heroinsüchtig sind. Subutex sei ein tägliches Thema, sagt Berri. Wenn der Arzt Gefangene aus dem Methadon-Programm nimmt, „dann müssen die sich das Zeug anders besorgen“. Eine Packung werde für 200 Euro gehandelt.

Gerichtsbekannt wurde zuletzt, dass 38 Insassen von Oktober 2012 bis September 2013 in den Handel verstrickt waren. Allein in diesem Jahr sollen über Kontaktpersonen Tabletten im Wert von 20.000 Euro bestellt worden sein. Manche Gefangene verkaufen sogar Fentanyl-Pflaster weiter, die der Doc ihnen auf die Haut geklebt hat. 

Laut Gero gelangen die meisten Drogen durch die Beamten der JVA in das Gefängnis. „Die haben die Taschen voll“, betont er, „und untereinander kontrollieren die sich nicht.“ Die Hauptaufgabe einer JVA besteht darin, dafür zu sorgen, dass es hinter dem Stacheldraht ruhig läuft: „Und durch diese Mittel läuft es ruhig.“ So werde der Drogenkonsum von einigen Beamten billigend in Kauf genommen: „Viele gucken in die andere Richtung.“ Tatsächlich werden die 317 Staatsdiener, die derzeit in der JVA sowie den Außenstellen Lörrach und Emmendingen arbeiten, beim täglichen Dienstantritt nicht durchsucht, heißt es aus dem Ministerium. 

Besuche nur am Glastisch

Auch Besuche bieten Gelegenheit, unerlaubte Dinge in den Knast zu bringen. „Die ersten drei Besuche werden komplett überwacht, da steht ein Beamter einen Meter neben dir und hört zu. Da sitzt du mit deinem Besucher an einem Glastisch. Wenn es da keine Probleme gibt, wird’s danach gelockert. Später überwacht nur eine Kamera“, erzählt Berri. 

Die JVA von innen

Im Herzen der Anstalt: Der Intensität von Personendurchsuchungen sind auch gesetzliche Grenzen gesetzt.

Der Intensität von Personendurchsuchungen seien auch gesetzliche Grenzen gesetzt, so Völkel. Teilweise erfolgten sie stichprobenartig, aber Ehrenamtliche, Rechtsanwälte oder auch Bauarbeiter würden nicht bei jedem Anstaltszutritt vollständig durchsucht. Über die konkreten internen Sicherheitsmaßnahmen kann Völkel „aus Sicherheitsgründen grundsätzlich keine Informationen an externe Personen weitergeben“. Seit vergangenem Dezember arbeitet der auf Drogen trainierte Schäferhund-Rüde Dexx an der Leine des JVA-Beamten Boris Wieczorek in der JVA. Er kann 13 verschiedene Drogen schnüffeln – auch wenn sie etwa im Kaffeepulver versteckt sind. 

„Jeder Drogenkonsum hat negative Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Gefangenen. Das gilt insbesondere bei der Arbeit oder beim Schulbesuch“, so Völkel. Auch eine positive Sozialprognose nach der Entlassung oder die Verlegung in den offenen Vollzug werde durch Drogenkonsum erschwert oder unmöglich. 

Wie viele der 550 Häftlinge im geschlossenen Vollzug der JVA drogenabhängig sind, weiß Völkel nicht: „Ein Großteil der Gefangenen bringt aber Betäubungsmittelerfahrungen in den Justizvollzug mit.“ Die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht geht davon aus, dass fast jeder dritte Häftling in Deutschland drogenabhängig ist, nahezu jeder zweite (44 Prozent) trete seine Strafe mit Suchtproblemen an. Das wären in Freiburg rund 240. 

*richtiger Name der Redaktion bekannt

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