Flinte, Fernrohr, Vogelgezwitscher: Wie ein Jäger Rehen auf dem Hochsitz auflauert Politik & Wirtschaft | 26.06.2019 | Till Neumann

Jäger ziehen heute mit Hightech-Instrumenten in den Wald. So hieß es kürzlich bei einem Vortrag im Waldhaus Freiburg. Was für Geräte sind das? Wie hat sich die Jagd gewandelt? Um das herauszufinden, hat das chilli einen Abend lang Hermann Linder begleitet. Der passionierte Jäger aus dem Glottertal nimmt uns mit auf einen Hochsitz. Das Ziel: einen Rehbock schießen.

Zum Termin erscheint Hermann Linder später als geplant. Der Grund liegt auf dem Verdeck seines Pick-ups: ein frisch geschossener Rehbock. „Der ist mir über den Weg gelaufen“, sagt der Jäger. Mit einem glatten Schuss durch Herz und Lunge habe er ihn erlegt. Danach sei das Tier noch 150 Meter weiter gelaufen. Es dauerte, bis er ihn im Wagen hatte.

Gekonnt hebt Linder seine Beute von der Ladefläche. Dann bringt er das Reh in seine Metzgerei in Glottertal. „Ein spezielles Kühlhaus für Wild“, sagt der 56-Jährige und spritzt den Boden mit Wasser ab. Schon sitzt er wieder am Steuer – auf in den Wald.

„Die Jagd ist meine große Leidenschaft“, sagt der Mann im dunkelgrünen Outfit. Auf dem Rücksitz liegt sein Gewehr. Im Getränkehalter sind Patronenhülsen. Seit 40 Jahren pflegt er das Hobby. Was er heute schießt, liegt morgen an der Theke. Oder im eigenen Kochtopf. Fleisch isst Linder täglich. „Ich übertreibe es ein bisschen“, sagt er und lacht.

Wartet und genießt: Jäger Hermann Linder aus dem Glottertal emtspannt auf dem Hochsitz

Den Wagen parkt er im Wald vor seiner Jagdhütte. Dort hat er sich Küche, Bett und Wohnraum eingerichtet. An der Wand hängen Geweihe. Linder legt erst mal Würstchen und Reh­rücken auf den Grill. „Es gibt nix Ökologischeres als die Jagd“, sagt Linder. Man sei im Einklang mit der Natur. Die Tiere wachsen natürlich auf. Und finden hier Nahrung im Übermaß.

Gepachtet hat er 1300 Hektar. So viel wie kaum ein zweiter in Baden-Württemberg, erzählt Linder. Das Gebiet teilt er sich mit anderen Jägern. Fast jeden Tag sei er draußen, erzählt der Familienvater. Das Hobby ist auch Verpflichtung: Als Pächter muss er den Tierbestand regeln. „Würden wir nicht jagen, könnten die Tiere krank werden.“ Schließlich vermehrten sie sich schnell. Und bedrohten somit die Arbeit von Landwirten. Beschädigen Tiere Felder, müsse er dafür aufkommen. 

Als die Dämmerung hereinbricht, geht’s zum Hochsitz. „Hier müssen wir leise sein, Rehe sind sehr scheu“, flüstert Linder. Nahezu lautlos bewegt er sich über den Waldweg. Das Gewehr über der Schulter. Das Fernrohr vor der Brust. Den schwarzen Jägerhut auf dem Kopf.

Absolute Stille ist angesagt. Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Vor sich hat Linder eine saftig grüne Wiese. „Rehe sind totale Feinschmecker, die essen vor allem frisches Gras und Kräuterle“, erklärt er beim Blick durchs Fernrohr. Nur grasende Kühe sind zu sehen. Doch die Chance, einen Rehbock vor die Flinte zu bekommen, ist hoch. Wetter und Uhrzeit seien ideal. Das Warten ist für ihn „totale Entspannung“.

Erwischt: Ein erlegter Rehbock neben der Flinte des Jägers (Symbolbild)

„Die Jagd hat sich im Wesentlichen nicht geändert“, sagt Linder. Doch die Instrumente seien deutlich besser geworden. Dank des Zielfernrohrs könne er auf bis zu 150 Meter Distanz schießen. Was er jedoch nicht immer tut. „Ich hasse es anzuschweißen, dann lasse ich den Finger lieber gerade.“ Anschweißen steht für einen nicht tödlichen Schuss. Schweiß ist Jägerjargon für Blut.

Immer wieder lässt Linder die Blicke über das Grün schweifen. Das Gewehr mit Schalldämpfer lehnt vor seinen Beinen. Eilig hat er es nur selten. „Wenn die Rehe kommen, fressen sie meistens in Ruhe.“ So könne er warten, bis die Schussposition optimal ist. Nur wenn sie aufgeschreckt werden, müsse es schnell gehen. Kleinere seien dabei leichter zu jagen als ältere mit Erfahrung. „Junge sind noch dumm“, scherzt Linder.

Plötzlich bellt es im Wald. Was wie ein Hund klingt, macht Linder als Reh aus. „Vielleicht warnt es andere vor Wildschweinen“, erklärt Linder. Zu sehen bekommt er es nicht. Als die Dunkelheit hereinbricht, ist es gewiss: Das wird heute nichts mehr. „So isch der Wald, man kann’s net erzwinge“, sagt Linder. Deswegen sei sein Hobby auch so spannend.

Ein Reh erblickt er dann aber doch noch. Bei der Heimfahrt steht es unerschrocken auf dem Waldweg. Linder macht es als Geiß aus, also ein Muttertier ohne Hörner. Die haben gerade Kitze und sind deswegen geschützt. Schießen können hätte er das eh nicht.

Fotos: © Till Neumann & Ulrich Schraml