Freiburgs scheidende Umwelt- und Bildungsbürgermeisterin Gerda Stuchlik im Interview Politik & Wirtschaft | 19.04.2021 | Philip Thomas

Gerda Stuchlik Umwelt- und Bildungsbürgermeisterin in Freiburg Verlässt nach 24 Jahren das Freiburger Rathaus: Gerda Stuchlik zieht es im Ruhestand auf „ihre“ Ruhebank im Wald.

Stolze 24 Jahre lang war Gerda Stuchlik in Freiburg für Umwelt, Jugend, Schule und Bildung verantwortlich. Nach knapp 500 Gemeinderatssitzungen ist die Bürgermeisterin nun im Ruhestand. Im Interview mit chilli-Redakteur Philip Thomas berichtet die 62-Jährige, wie sich die Stadt in drei Amtszeiten verändert hat, von Schulen in schlechtem Zustand und Fundstücken aus ihrem Büro.

chilli: Frau Stuchlik, was hat Sie vor 24 Jahren dazu bewogen, in Freiburg Politik zu machen? 
Stuchlik: Ich war zuvor schon einige Jahre politisch aktiv. Vier Jahre lang baute ich als Geschäftsführerin das „Klima-Bündnis der Europäischen Städte mit den Indigenen Völkern Amazoniens“ auf, mit dem Schwerpunkt auf Klimaschutz und Erhalt der Regenwälder. Danach bin ich in die Kommunalpolitik und -verwaltung gegangen und war als persönliche Referentin von Tom Koenigs tätig, dem damaligen Frankfurter Umweltdezernenten. Die Bürgermeisterstelle für Umwelt und Bildung in Freiburg umfasste die Handlungsfelder, die ich gerne ausgestalten wollte – Klimaschutz realisieren und Bildungsteilhabe ermöglichen, und so kam ich nach Freiburg.

chilli: Sie sind die erste Bürgermeisterin in der 901-jährigen Stadtgeschichte. Hat das für Sie eine Rolle gespielt? 
Stuchlik: In den ersten acht Jahren musste ich mich intensiver vorbereiten und umfangreicher argumentieren als meine Kollegen. Und einige Bürger und Bürgerinnen waren viel mehr daran interessiert, was ich anhatte, wie ich frisiert war und ob ich geschminkt bin. Das ist heute kein Thema mehr. Nach dieser Anfangsphase hatte ich mein Feld bestellt und Akzeptanz gefunden. 

chilli: Wie hat sich Freiburg in Ihren drei Amtszeiten verändert?
Stuchlik: Im Klimaschutz zum Beispiel konnten wir die CO2-Emissionen um rund 38 Prozent pro Bürger und Bürgerin reduzieren. Während es in meiner ersten Amtszeit um die Nutzung der Solarenergie im Rahmen der Solar Region Freiburg und den Bau erster Windräder ging, so stehen in den letzten Jahren das umfangreiche Klimaschutzmaßnahmenpaket mit über 160 Einzelmaßnahmen in sechs Handlungsfeldern im Mittelpunkt. Und auch finanziell haben wir mit über sechs Millionen Euro einen viel größeren finanziellen Rahmen für Klimaschutzaktivitäten zur Verfügung. Und der Höhepunkt war unstrittig die Verabschiedung des Klima- und Artenschutzmanifests sowie die Einführung von Prüfkriterien für den Klima- und Artenschutz bei gemeinderätlichen Beschlussvorlagen. Der Gemeinderat wird in Zukunft all seine Entscheidungen vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf Klima- und Artenvielfalt treffen müssen.

»Brauchen höhere Schlagkraft«

chilli: Welche Projekte fallen Ihnen noch ein? 
Stuchlik: Auch in der Abfallentsorgung hat sich in 24 Jahren viel verändert. Der kleine 35-Liter-Behälter wurde durch rollbare Restmülltonnen ersetzt, die Biotonne eingeführt, die Recyclingquote von 20 Prozent auf 70 Prozent erhöht, die Mülldeponie Eichelbuck rekultiviert und zum Energieberg weiterentwickelt. Hinzu kommt der massive Ausbau von Betreuungsplätzen in Krippen, Kitas und Schulkindbetreuung, die Schulsanierung und die Stärkung der Umweltbildung durch den Bau des WaldHauses Freiburg, die Förderung der Ökostation, den Abenteuerspielplatz oder den Kinderabenteuerhof.

chilli: Wie würden Sie Ihren Politik-Stil beschreiben? 
Stuchlik: Das Besondere an unserer Arbeit ist, dass wir nicht kurzatmig, projektbezogen arbeiteten. Wir haben selten Projekte angestoßen, die nur drei Jahre gingen und dann wieder eingestellt wurden. So ist es uns beispielsweise vor 15 Jahren gelungen, ein Förderprogramm für energetische Sanierung aufzulegen, mit dem wir Hausbesitzer durch Zuschüsse zur energetischen Sanierung motivieren und unterstützen. Durch diese kontinuierliche Arbeit erreichen wir in Freiburg mit 1,6 Prozent eine viel höhere Sanierungsrate als auf Bundesebene mit 1,2 Prozent.

chilli: Dennoch steht der Klimaschutz in Freiburg nicht immer an erster Stelle. Stichwort Dietenbach.
Stuchlik: Ganz im Gegenteil, Dietenbach wird ein klimaneutraler Stadtteil werden. Was Sie meinen, ist die damit einhergehende Flächenversiegelung, die kritisch diskutiert wird. Aber wir haben nun einmal einen hohen Bedarf an preiswertem Wohnraum in Freiburg.

chilli: Beim Umweltschutz kommt auf ihre Nachfolgerin Christine Buchheit viel Arbeit zu. Zahlreiche junge Menschen fordern Freiburger Klimaneutralität bis 2035.
Stuchlik: Freiburg wird klimaneutral, das Ziel ist derzeit 2050. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen auf EU- und Bundesebene werden wir den Forderungen von Fridays For Future, Klimaneutralität schon 2035 zu erreichen, nicht nachkommen können. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich die Bedingungen ändern, die Diskussion ist mittlerweile eineinhalb Jahre her.

chilli: Inwiefern? 
Stuchlik: Durch den Green Deal auf europäischer Ebene. Auch die neue Landes- und Bundesregierung werden Klimaschutz an erste Stelle stellen. Vor diesem Hintergrund werden wir auch auf kommunaler Ebene eine neue Geschwindigkeit bekommen.

chilli: Reicht diese Geschwindigkeit aus?
Stuchlik: Das muss sie, denn wir brauchen auf jeden Fall eine höhere Schlagkraft, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Wenn wir es nicht schaffen, das Ruder rumzureißen, haben wir in den 40er-Jahren richtig große Probleme. Deshalb müssen jetzt Regelungen auf Bundes- und auf Landesebene getroffen werden, dann können wir die Klimaneutralität auch in Freiburg früher erreichen.

chilli: Welche Voraussetzungen haben Sie im Freiburger Bildungsbereich vorgefunden?
Stuchlik: Als ich nach Freiburg kam, waren die Schulen in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Wir hatten wirklich viele Probleme. In den vergangenen 24 Jahren konnten wir immerhin mehr als die Hälfte der 70 Schulgebäude sanieren, erweitern oder neu bauen, Ganztagesschulen einrichten und mit der Digitalisierung beginnen. Insgesamt haben wir dafür 500 Millionen Euro investiert.

chilli: Gegenüber den Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro in Freiburgs Schulen steht ein Sanierungsstau von rund 1,4 Milliarden Euro. Können Sie damit wirklich zufrieden sein? 
Stuchlik: Ja, denn würde man die verausgabten 500 Millionen Euro auf heute projizieren, Preissteigerungen und höhere Kosten insgesamt einkalkulieren, würden wir von rund einer Milliarde Euro sprechen, die wir investiert haben. Wir bauten im Durchschnitt mit 2000 Euro pro Quadratmeter, heute müssen wir das Doppelte zugrunde legen, und somit kommt die aktuell erhöhte Summe von 1,4 Milliarden Euro zustande. Aber Sie haben natürlich recht: Wir können uns nicht ausruhen.

chilli: Welche Projekte in den Schulen haben Sie umgesetzt? 
Stuchlik: Ein Schwerpunkt waren die massiven Investitionen in die Betreuung. In den letzten zehn Jahren haben wir die Anzahl der Krippen-Betreuungsplätze verdoppelt und bei den Drei- bis Sechsjährigen um 50 Prozent erhöht, insgesamt über 11.000 Plätze geschaffen. Und in der Schulkindbetreuung gibt es ein hochwertiges pädagogisches Nachmittagsangebot, und die Betreuungsquote ist von 25 Prozent auf 75 Prozent gewachsen. Die Stadt investiert allein für die Schulkindbetreuung jedes Jahr rund 14 Millionen Euro. Das ist ein klares Statement für die Kinder und Familien unserer Stadt. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Ausbau der Durchgängigen Sprachbildung von der Krippe bis zur Grundschule im Quartier.

»Wir können uns nicht ausruhen«

chilli: Am 25-jährigen Dienstjubiläum sind sie knapp vorbeigeschrammt. Was würde über Ihrer Festschrift stehen? 
Stuchlik: Die wird es nicht geben. Gäbe es sie, wäre der Titel: „Empathie für unsere Umwelt durch Bildung.“

chilli: OB Martin Horn sagte bei Ihrer letzten Gemeinderatsitzung, Sie hätten um Dinge regelrecht gekämpft. Welche Debatte ist Ihnen besonders im Kopf geblieben? 
Stuchlik: Da fallen mir ganz viele ein: Klimaschutz, immer noch eine rein freiwillige kommunale Aufgabe, mit ausreichend Personal und Finanzen zu hinterlegen. Oder die Neudefinition von Schulträgerschaft, sodass die Kommune auch mit eigenem Personal wie Schulsozialarbeitern und Schulsozialarbeiterinnen und Sprachförderkräften die Schulgemeinschaft unterstützt und bessere Bildungsteilhabe ermöglicht. Hierzu gab es zahlreiche Gespräche verwaltungsintern und mit all unseren Partnern, den Freien Trägern, der Kultusverwaltung und mit den Gemeinderäten und Gemeinderätinnen. Bis ich alle überzeugt hatte, konnte gut ein Jahr ins Land gehen. Immer ging es aber letztlich darum, mit kreativen Lösungen und guten Argumenten zu überzeugen. 

chilli: Werden Sie das alles vermissen? 
Stuchlik: Die oftmals langatmigen Debatten und Bedenkenträger werde ich nicht vermissen, die konzeptionellen Gespräche und engagierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hingegen werden mir sehr fehlen.

chilli: Sie räumen gerade Ihr Büro aus. Sind Sie dabei auf Fundstücke gestoßen? 
Stuchlik: Ich habe einen vergoldeten Besen in der Ecke gefunden. Den hat mir die Freiburger CDU-Fraktion vor fünfzehn Jahren mit dem Hinweis überreicht, Freiburg sollte sauberer werden. Auch das hat sich gewandelt: Seit vergangener Woche ist die Stadtreinigung mit dem „Gässleflitzer“ unterwegs, mit Ökostrom betriebene Lastenräder.

chilli: Was haben Sie sich für den Ruhestand vorgenommen?
Stuchlik: Vor Jahren habe ich ein kleines Heft angelegt. Darin stehen all die Dinge, die mich bewegen, interessieren und die ich jetzt entdecken möchte. Dazu zählen Wanderungen und Radtouren durch die Region und Deutschland, mit Interrail Europa entdecken, in Mailand in die Oper gehen oder in Neuchâtel das Centre Dürrenmatt besuchen.

chilli: Zahlreiche Politiker sind auf -Social Media unterwegs. Wäre das etwas für Sie? 
Stuchlik: Nein. Ich werde nichts posten oder kommentieren. Ich werde mit einem guten Buch unterwegs sein und auf „meiner“ Ruhebank im Wald dem Gesang der Vögel lauschen und die Seele baumeln lassen.

chilli: Frau Stuchlik, vielen Dank für das Gespräch. 

Foto: © Stadt Freiburg, Patrick Seeger