Handwerker in der Zwickmühle: Unkalkulierbare Baupreise und Lieferengpässe Politik & Wirtschaft | 17.02.2022 | Lars Bargmann

Handwerker

Materialpreisexplosionen und ausufernde Lieferzeiten für Baustoffe sind aktuell beherrschende Themen auf Südbadens Baustellen. „Für beide Risiken tragen die Bauunternehmer die Konsequenzen, da sie deren Risikosphären zuzuordnen sind“, weiß Johannes Büscher von der Baurechts-Spezialistenkanzlei Steiger, Schill und Kollegen in Staufen. Können diese Konsequenzen in Einzelfällen auch auf den Bauherrn übergehen?

Die nahezu unkalkulierbare Steigerung von Materialpreisen treibt im Bausektor kuriose Blüten: So schenken Fertighausanbieter aktuell ihren Kunden 30.000 Euro und die Baugenehmigung, wenn diese von ihren Verträgen zurücktreten, wie die Redaktion aus Bankenkreisen erfuhr. Denn andernfalls würde die Fertigstellung noch größere Löcher in die Bilanz fressen.

Auch viele Baufirmen befinden sich in einer „Zwickmühle“, wie Nicolas Schill, einer der vier Kanzlei-Inhaber, formuliert: Auf der einen Seite seien sie gegenüber ihrem Auftraggeber, dem Bauherrn, dazu verpflichtet, die Bauleistung wie vertraglich vereinbart zu erbringen, auf der anderen Seite sind sie von Baustofflieferanten abhängig.

Ein aktuelles Beispiel: Ein Bauherr hat einen Zimmermann mit dem Ausbau des Dachstuhls beauftragt. Nachdem der Zimmermann mit den Arbeiten begonnen hat, meldet sich der Holzhändler und teilt mit, dass er für die nächste Holzbestellung aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise einen Aufschlag von 15 Prozent erheben muss.

Solche unvorhersehbaren Preissteigerungen sind grundsätzlich das Risiko des Bauunternehmers. Die rechtlichen Regelungen und auch die Rechtsprechung sind da unerbittlich. Bislang kann dieses Risiko lediglich in ganz engen Ausnahmefällen auch auf den Bauherrn übertragen werden.

Im aktuellen Fall hat der Unternehmer das Interesse, den gestiegenen Holzpreis an den Bauherrn weiterzugeben. Rechtlich durchsetzbar wäre das aber nur, wenn eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ gegeben wäre. Wenn sich also nach Abschluss des Vertrages Umstände schwerwiegend verändert und die Parteien den Vertrag nicht abgeschlossen hätten, wenn diese Veränderung absehbar gewesen wäre.

Voraussetzung dafür wäre – auf den ersten Blick – allerdings, dass die Zusammensetzung des Preises, die Kalkulation und deren Grundlagen zur Geschäftsgrundlage des Werkvertrags geworden wäre. Die herrschende Rechtsprechung hat dies jedoch abgelehnt. Auch der Materialpreis als Grundlage der eigenen Kalkulation habe grundsätzlich der Bauunternehmer zu verantworten.

Wandele man den Fall so ab, dass dem Werkvertrag die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B) zugrunde gelegt ist und sich der ursprüngliche Vertragsinhalt dadurch geändert hat, dass für die Erbringung der Leistung mehr Holz als zunächst geplant erforderlich ist oder die Planung oder der Ausführungszeitraum geändert wurde oder auch eine weitere Leistung hinzukommt, dann können sich für den Bauunternehmer Möglichkeiten ergeben, gestiegene Materialpreise weiterzureichen, so Büscher. Nach der jüngeren Rechtsprechung bemisst sich diese Vergütung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten, sodass für diese Leistungen auch die zwischenzeitlich gestiegenen Materialpreise angesetzt werden können.

Zudem hat die Corona-Krise auch dazu geführt, dass die globalen Lieferketten aus dem Tritt gekommen sind und erhebliche Wartezeiten für Baumaterial bestehen. Hier stellt sich für den Bauunternehmer die Frage, ob er von seinem Auftraggeber in Anspruch genommen werden kann, wenn er die Baustoffe von seinem Lieferanten nicht erhält, also dem Zeitplan hinterherhinkt?

Die Antwort: nein. Wenn der Unternehmer das nicht zu vertreten hat, er alle zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung ergriffen hat, kann er vom Bauherren auch nicht wegen Verzugs in Anspruch genommen werden. Allerdings könnte der Bauherr vom Werkvertrag zurücktreten – was bei der Lage auf Südbadens Baustellen jedoch eher eine theoretische Möglichkeit ist. „In beiden Situationen führt die aktuelle Rechtslage aber zu unerträglichen Ergebnissen für den Bauunternehmer“, sagt Schill. Die geltende Rechtsprechung sei im Prinzip eine Katastrophe für einen mittelständischen Handwerksbetrieb „und einige werden hierdurch auch vor existenziellen wirtschaftlichen Belastungen stehen“.

Die Baurechtsexperten raten derzeit allen Bauunternehmern, zunächst eine einvernehmliche, dem „kooperativen Grundgedanken von Werkverträgen“ entsprechende Lösung anzustreben. Diese sei „vielfach interessengerecht“, da hierdurch auch zugunsten des Bauherrn etwa das Risiko des Ausfalls seines Bauunternehmers gemindert oder abgewendet.

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