Klimawandel in Freiburg: Forscher fordert mehr Radikalität STADTGEPLAUDER | 18.06.2019 | Till Neumann

Auch in Freiburg können wir viel tun. Davon ist Umweltsozialwissenschaftler Philipp Späth überzeugt. Der 48-Jährige ist Forschungsgruppenleiter am Lehrstuhl für Sustainability Governance der Uni Freiburg. Im Interview mit Till Neumann fordert er deutlich mutigere Ansätze in der Freiburger Stadtplanung.

Forscht in Freiburg: Philipp Späth

chilli: Herr Späth, Fridays for Future und Extinction Rebellion machen Druck auf die Politik. Freut Sie das?

Späth: Ich bin absolut einverstanden mit dem Protest. Es wundert mich eher, dass er 20 Jahre lang nicht stattgefunden hat. Politiker der großen Parteien haben sich über viele Jahre hinweg nicht an große Schritte herangetraut. Ein Wunder, dass sie trotzdem gewählt wurden. Jetzt wird Klimapolitik endlich als Generationenkonflikt breit diskutiert. Wenn wir uns immer noch zu fein sind für radikalere Schritte, werden wir bald die Konsequenzen tragen.

chilli: Wie sehen Sie die Lage in Freiburg?

Späth: Ich habe beobachtet, dass lange die Grenzen des politisch Machbaren sehr vorsichtig gezogen wurden. Freiburg will die Zahl der Parkplätze einschränken. Doch geht es gegen den Autoverkehr, wird’s ungemütlich. Auf allen politischen Ebenen ist es so, dass eher eine Förderung addiert wird statt bestehende Strukturen abzubauen. Zum Beispiel kam das Erneuerbare-Energien-­Gesetz (EEG). Es ist politisch einfach opportuner, neue Nischen lautstark zu fördern als bestehende Strukturen zu beenden.

chilli: Es müssen bestehende Regelungen wegfallen?

Späth: Ja, wir Transitionsforscher suchen zunehmend nach Exnovationen. Also den Abbau bestehender Strukturen statt dem Aufbau neuer Innovationen. Wir müssen zum Beispiel schauen, dass die Bahn billiger wird als Flugzeuge, die ja steuerlich begünstigt werden (Anm. d. Red.: Kerosin ist steuerfrei).

chilli: Wie groß sind die Hebel für einen Wandel in Freiburg?

Späth: Viele große Themen wie Landwirtschaft oder Flugverkehr werden in Straßburg, Brüssel oder Berlin entschieden. Aber vieles kann man auch in den Kommunen ändern. Bemühungen gibt es in Freiburg schon lange. Doch zum Beispiel im Verkehrsbereich ist viel mehr möglich. Die Grenzen werden jetzt neu vermessen. Wir können nicht alle Gewohnheiten beibehalten. Es geht nicht weiter, dass eine Person alleine mit einem Zweitonnengefährt durch die Stadt rollt. Wir müssen uns von der Gewissheit verabschieden, dass die Technik das mit der Umwelt schon regelt.

chilli: Was fordern Sie für Freiburg?

Späth: Wir müssen den öffentlichen Raum weiter umgestalten. Seit den 70er-Jahren weiten wir Fußgängerzonen aus – das ist gut. Der Münsterplatz ist autofrei geworden. Auch der Rotteckring ist auto­frei. Der Friedrichring wurde aber wieder vierspurig ausgebaut und Parkhäuser teuer saniert. Dabei ist die Zeit für Privatautos in Innenstädten vorbei.

chilli: Sind auch die neuen Stadtteile richtungsweisend?

Späth: Ja, der Stellplatzschlüssel für Parkplätze ist entscheidend. Wir müssen runter auf maximal 0,5 Parkplätze pro Wohneinheit. Bei Dietenbach sind meines Wissens 0,8 angesetzt. Einen Parkplatz zu bauen, kostet etwa 30.000 Euro. Jeder einzelne ist ein Anreiz, ein Auto zu haben. Bei Gutleutmatten ist es das gleiche Problem.

chilli: Bis 2050 will Freiburg klimaneutral sein. Reicht das?

Späth: Das mag ambitioniert sein. Aber trotzdem zu spät. Wir haben vielleicht noch 10, 15 Jahre, um das zu schaffen. Viel mehr Zeit bleibt nicht. Es braucht radikalere Maßnahmen. Die Diskussionen seit der Europawahl haben Mut gemacht, dass es klappen kann.

Fotos: © Till Neumann & privat