Nachgewürzt: Das Ende der Volkspartei Politik & Wirtschaft | 18.11.2018 | Florian Schroeder

Florian Schroeder

Alle reden vom Niedergang der Volksparteien und ob der jetzt wirklich echt bevorsteht. Nein, er hat längst stattgefunden. Die Parteien merkens bloß erst jetzt. Volksparteien stammen aus einer Zeit, in der alles einfach war: Da wollten alle das Gleiche: mein Auto, mein Haus, mein Urlaub. Man war festangestellt – und am Wochenende gehörte Papi der Familie. Es gab drei Fernsehprogramme und drei Biersorten. Heute gibt es mehr Craft-Beer-Sorten als Fernsehsender.

Man hat gelebt, um zu arbeiten. Heute arbeitet man, um zu leben. Man wollte Karriere machen, heute will man Yoga in der Mittagspause. Damals zählte Disziplin, heute Selbstentfaltung. Einen Weltkrieg kennt meine Generation nur noch aus „Game of Thrones“.

Willkommen in der neuen Mittelschicht, bei denen, die schuld sind am Niedergang der Volksparteien. Wir sind einfach zu gut dafür! Wir sind für Migranten, wohnen aber da, wo keine sind. Wir sind für Inklusion, schicken unsere Kinder aber lieber quer durch die halbe Stadt, bevor sie auf einer Schule mit zu vielen Doofen landen.

Unsere drei großen As sind: Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Authentizität. Wir trennen den Müll und schützen das Klima, achtsam und aufmerksam – nur beim Urlaub, da muss man auch mal an authentische Orte wie Kanada oder Kambodscha. Und hin und wieder ein Städtetrip, einfach für die Work-Life Balance. Wir wohnen in Altbauwohnungen, machen dreimal die Woche Pilates, hören französischen Hip-Hop und trinken Chai-Tea-Latte nach dem Tai Chi.

Unterschicht finden wir doof, deshalb rauchen wir nicht und essen gesund, so gesund, dass wir unsere Kinder bald mit Chia-Samen zeugen. Kurz: Das Ende der Volksparteien wird beschlossen von Menschen, die mit Flipflops zum Bergsteigen gehen und deren wichtigste Frage lautet: Welches Skigebiet passt zu mir?

Die alte Mittelschicht gibt es auch noch, die lebt in Kleinstädten im Reihenhaus, ist auch zu was gekommen, fühlt sich aber abgehängt von unseren crazy lifestyles. Das letzte Aufbäumen dieses Milieus ist jetzt Friedrich Merz, die Wiedergeburt des Spießers und Aufsteigers, der Studienabbrecher und 68er hasst. Man hat zwar keinen röhrenden Hirsch mehr an der Wand, aber man will einem zujubeln, wenn er im TV kommt. Ein Mann, der nicht diskutiert – nicht #metoo, sondern #meganzallein.

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