„Pulver trocken halten“: Lars P. Feld im Interview Politik & Wirtschaft | 16.06.2020 | Lars Bargmann

Deutsche Bundesbank und Lars Feld

Wer ins Büro von Lars P. Feld eintritt, der steht vor dutzendweise meterhohen Papiertürmen. Der Leiter des Freiburger Walter-Eucken-Instituts und Vorsitzender der deutschen Wirtschaftsweisen ist ein gefragter Gesprächspartner in diesen pandemischen Tagen.Er, der so viel von Wirtschaft versteht, wäre aber selbst wohl kein erfolgreicher Unternehmer geworden. Er sei risikoavers, seine Frau sei in der Hinsicht deutlich versierter, erzählt der 53-Jährige im Gespräch mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann.

chilli: Herr Feld, die Corona-Pandemie hat eine weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst …
Feld: … die schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben die Wirtschaft massiv runtergefahren, der Einbruch ist enorm. Bestimmte Beschränkungen bestehen noch länger fort, die Menschen sind verunsichert, wir erleben eine starke Konsumzurückhaltung. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr vielleicht bei minus 6 bis minus 7 Prozent liegen. Allenfalls mildert das Konjunkturpaket den Einbruch etwas ab.

chilli: Trotz des millionenfach in Anspruch genommenen Kurzarbeitergelds gehen die Arbeitslosenzahlen nach oben, die Zahl der neuen Ausbildungsstellen steil nach unten. Die Krise wird auch weit in der Zukunft noch wirken.
Feld: Die Hoffnung ist, dass nach einem kurzen, heftigen Einbruch im zweiten Quartal 2020 die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung und der EZB darauf hinwirken, dass man die Klippen umschiffen kann, dass die Anzahl an Insolvenzen gering bleibt. Wir haben mit der Kurzarbeit die Arbeitslosigkeit aufgeschoben. Es kommt wahnsinnig viel darauf an, die Unternehmen am Leben zu erhalten; das ist der entscheidende Teil des Konjunkturprogramms.

chilli: Die Koalition hat gestern ein historisches 130 Milliarden schweres Strukturhilfepaket beschlossen. Wie bewerten Sie es?
Feld: Wir haben in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, was die Grundpfeiler eines solchen Pakets sein sollten. Vieles finden wir jetzt wieder. Etwa die Erleichterung eines Verlustrücktrags für Unternehmen.

chilli: In erster Linie „nur“ eine Liquiditätshilfe …
Feld: Ja, aber es lässt sich auch so einrichten, dass es eine steuerfreie Corona-Rücklage ist und dann ist es eher solvenzstärkend, weil in der Bilanz dann das Eigenkapital ansteigt. Und wir haben gefordert, dass die Ausgaben zukunftsorientiert sein müssen …

chilli: … also etwa keine Kaufprämie für Diesel und Benziner.
Feld: Ja. Da sind viele andere Maßnahmen besser.

Lars Feld Leiter des Freiburger Walter-Eucken-Instituts und Vorsitzender der deutschen Wirtschaftsweisen

Lars P. Feld: „Draghi hätte die massiven Anleihenkäufe schon 2018 beenden können.“

chilli: Wie die Verdopplung der Elektroauto-Kaufprämie auf 6000 Euro?
Feld: Das kann man machen, tut nicht weh, bringt aber auch nicht viel. Mehr werden die Maßnahmen für Digitalisierung und Klimaschutz bringen, die Senkung der EEG-Umlage ist richtig, die stärkere Berücksichtigung der CO2-Bilanz bei der KFZ-Steuer auch. Manche Dinge sind allerdings fragwürdig, etwa die Förderung des Tierwohls …

chilli: … ein Bonbon für die Bauern …
Feld: Ja. Das ist keine Aufgabe einer Konjunkturpolitik.

chilli: Ein Bonbon für Familien sind die 300 Euro Kinderbonus. Kostet den Bund 4,3 Milliarden Euro. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 Prozent bis Jahresende stolze 20 Milliarden. Gut investiertes Geld?
Feld: Das Kindergeld wird aufgestockt, aber es gilt weiter die Günstigerprüfung. Wer mehr als 64.000 Euro als Familienhaushalt versteuern muss, für den spielt das keine Rolle, weil der Kinderfreibetrag besser wirkt. Bei Geringverdienern und Beziehern von Grundsicherung aber kann das gut sein. Wie bei der Mehrwertsteuer ist hier die Konsumzurückhaltung ein begrenzender Faktor. Das Einkaufserlebnis wird durch die Maskenpflicht deutlich reduziert. Risikogruppen gehen auch nicht gerne raus. Wir haben Beschränkungen in Restaurants, beim Reisen, Kultur und Kunst.

chilli: Die Mehrwertsteuersenkung soll alle, auch kinderlose Verbraucher entlasten.
Feld: Das bleibt abzuwarten. Wir haben ganz unterschiedliche nationale und internationale Evidenz.

chilli: In Großbritannien wurden zuletzt 75 Prozent weitergegeben.
Feld: Bei uns hatten wir spezifische Senkungen für Hoteliers, die sogenannte Mövenpicksteuer, die haben die Hoteliers so gut wie gar nicht an ihre Gäste weitergegeben. Als wir aber von 16 auf 19 Prozent erhöhten, zeigte sich ein starker zusätzlicher Konsum vor der Erhöhung. Gerade zu Weihnachten könnte es demnach deutlich nach oben gehen.

chilli: Was halten Sie von der auf 5,3 Milliarden Euro taxierten Deckelung der Sozialbeiträge auf 40 Prozent?
Feld: Das ist ja ganz nett, aber wenn man auf der Leistungsseite immer neue Belastungen beschließt, bedeutet das ja bloß eine größere Steuerfinanzierung der Sozialversicherungen über den Bundeshaushalt. Seit 2009 weiten wir etwa in der Rentenpolitik die Ansprüche immer mehr aus. Jetzt gibt es noch die Grundrente, die heute schon jährlich 1,5 Milliarden Euro, bald sogar 2,5 Milliarden Euro kostet. Die Demografie belastet die Rentenversicherung. Wer deckelt und gleichzeitig Kosten treibt, schafft eine Finanzierungslücke, die der Finanzminister und seine Steuerzahler schließen müssen.

chilli: Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte vorgeschlagen, dass Bund und Länder Altschulden überschuldeter Kommunen übernehmen. Das kam nicht durch. Stattdessen gibt es nun ein anderes Paket, in dem Bund und Länder ihre Beteiligung an den Unterbringungskosten für Sozialhilfeempfänger von 50 auf 75 Prozent aufstocken (4 Mrd.) und Gewerbesteuerausfälle (6 Mrd.) kompensieren.
Feld: Das Kommunalpaket bewerte ich deswegen positiv, weil die Altschuldenregelung nicht gekommen ist. Grundsätzlich liegt die Anreizproblematik dieser Regelung bei den Ländern. Sie müssen die Kommunen finanziell so ausstatten, dass diese ihre Aufgaben bewältigen können. Die Länder sollten zudem größere Anstiege der Kassenkredite nicht genehmigen, vor allem nicht mit zehnjähriger Laufzeit wie in NRW. Es gibt Länder, die strikter sind, etwa Bayern, Baden-Württemberg (BW) oder Sachsen. Aufgeholt haben Schleswig-Holstein, Niedersachen und Hessen und mit Abstrichen sogar das Saarland. Nur NRW und Rheinland-Pfalz halten sich raus und hätten nun profitiert. Das halte ich für falsch. Dagegen hilft die teilweise Übernahme der Kosten der Unterkunft den Kommunen wirklich.

»Das halte ich für falsch«

chilli: Zum Kommunenpaket gehört auch der teilweise Ausgleich weggebrochener Gewerbesteuern. Freiburgs Finanzbürgermeister Stefan Breiter hatte dieses Jahr rund 190 Millionen gerechnet. Jetzt mit mindestens 20 Millionen weniger.
Feld: Das hilft den Kommunen natürlich, ihre Investitionen weiter zu tätigen. Insofern ist es vertretbar. Über die Gewerbesteuer kann man viel diskutieren. Die starke Konjunkturreagibilität ist seit Jahren ein Thema. Bei einer besseren Beteiligung an Körperschaft-, Lohn- und Einkommensteuer wäre das nicht so.

chilli: Brauchen wir nicht gerade jetzt Investitionen der öffentlichen Hand, um Arbeitsplätze zu sichern?
Feld: Das kommt auf die Art der Investitionen an. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Stromtrassen, des Straßennetzes, neue Gewerbegebiete, alles richtig. Aber es gab und gibt auch andere wie die riesigen Ausgaben für Regionalflughäfen, von denen kaum einer in die schwarzen Zahlen kommen wird. Die bräuchten rund eine Million Fluggäste pro Jahr. Kassel hat 50.000, die werden da nie hinkommen, auch Dortmund oder Münster nicht. Das sind Fehlinvestitionen, getrieben von Landräten und Oberbürgermeistern, die so etwas im Sinne der Wirtschaftsförderung haben wollten, nur es bringt kaum etwas. Es ist absolut wichtig, dass wir in den richtigen Bereichen investieren.

chilli: Im Paket stehen insgesamt 50 Milliarden für Zukunftsthemen: Wasserstoff (9 Mrd.), E-Ladesäulen (2,5 Mrd.), umweltfreundlichere Flugzeuge (1 Mrd.), KI-Forschung. Musste erst Corona kommen, um den Innovationswillen der Regierung zu wecken?
Feld (lacht): Man muss sich die Details anschauen. Die Investitionen ins Thema Wasserstoff setzen da an, wo Unternehmen nicht ansetzen würden. Sie sollen Grundlagen legen, das kann man befürworten. Aber ob Wasserstoff wirklich ein Wirtschaftsmotor werden wird, ob sich E-Autos durchsetzen, muss man abwarten. Mit gewissen Abstrichen halte ich das Paket gleichwohl für relativ gut gelungen.

chilli: Die schwarze Null von Scholz im Bundeshaushalt wurde von der Krise hinweggefegt. Auf der einen Seite fehlen nach aktuellen Schätzungen bis 2024 rund 320 Milliarden Euro Steuern, auf der anderen sind Milliardenpakete geschnürt worden. Das Grundgesetz aber fordert, dass die hohen Schulden, die jetzt gemacht wurden, wieder zurückgezahlt werden. Dem Vernehmen nach ab 2023. Ist das realistisch?
Feld: Es kommt darauf an, die Schuldenquote (Schulden in Prozent des BIP, d. Red.) wieder zurückzuführen. Wir waren unter 60 Prozent, kommen jetzt schnell an die 80, so langsam wird man aufpassen müssen. Wichtig ist die langfristig positive Entwicklung des BIP, allein wird sie aber nicht reichen.

chilli: Andere Wirtschaftsforscher wie Peter Bofinger und Jens Südekum sagen sinngemäß: Schulden, auch wenn es statt heute zwei morgen drei Billionen sind, seien gar kein Problem …
Feld: Das sehe ich anders. Wir müssen das Pulver trocken halten, also in der Lage sein, auch zukünftig, wenn nötig, expansive Fiskalpolitik zu betreiben.

chilli: Die EZB macht schon seit zehn Jahren eine sehr expansive Geldpolitik. Die haben ihr Pulver so gut wie verschossen …
Feld: … die können immer noch, es gibt noch viel Spielraum für die EZB.

chilli: Die Chefs der Regionalbanken bezeichnen die EZB-Politik als Angriff auf ihr Geschäftsmodell. Die Niedrigzinspolitik entwertet die Spareinlagen, Versicherer können ihren Kunden kaum noch Überschussbeteiligungen anrechnen. Billiges Geld ist ein Instrument der Notenbanker, um Krisen zu überstehen.
Feld: Ich bin bei der Kritik an der EZB–Politik zurückhaltender. Wir haben im Euroraum Länder mit schwierigen Entwicklungen, die eine expansive Geldpolitik rechtfertigen. Was wir vonseiten des Sachverständigenrats aber kritisiert haben, waren Ausmaß und Dauer der geldpolitischen Lockerung. Unseres Erachtens hätte man schon 2018 die massiven Anleihekäufe beenden können. Dann hätten wir leichte Zinserhöhungen gehabt, keine Negativzinsen, neue Spielräume. Anders als bei der FED in Amerika ist uns das im Euroraum leider nicht gelungen.

chilli: Das Bundesverfassungsgericht hat der EZB unlängst die Leviten gelesen und gesagt, die seit 2015 massiv gestiegenen Käufe von Staatsanleihen müssten besser begründet werden. Sonst seien sie verfassungswidrig. Wie bewerten Sie das?
Feld: Die EZB wird 2020 für 1,35 Billionen Anleihen aufkaufen. Das Urteil beschränkt sie, nicht im Volumen, aber in der Struktur. So soll sie nicht mehr als 33 Prozent der Anleihen eines Emittenten kaufen. Diese Begrenzungen sind schon wichtig.

chilli: Der Lockdown verschlingt weltweit Billionen. Wäre es richtig, auch bei, nennen wir es mal COVID 23, so zu handeln wie jetzt gehandelt wurde?
Feld: Der richtige Ansatz muss sein, gesundheitspolitisch so zu agieren, sodass wir keinen zweiten Lockdown haben, also bei einer zweiten Infektionswelle einen Lockdown verhindern können. Und dabei sind nicht nur die Politik, sondern auch die Bürger gefragt.

chilli: Herr Feld, vielen Dank für dieses Gespräch.

Zur Person

Lars Peter Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des Walter Eucken Instituts. Seit 2011 ist er Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch „Rat der Wirtschaftsweisen“ genannt. Im März übernahm der dreifache Familienvater dessen Vorsitz. Feld gehört dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium an, ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Sprecher des „Kronberger Kreises“. 2014 und 2015 war er Mitglied der Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Feld lebt in Freiburg an der Lorettostraße in der Wiehre.

Fotos: © Deutsche Bundesbank, Sachverständigenrat